Sabine Friedrich – Was sich lohnt (Buch)


Sabine Friedrich – Was sich lohnt

Der Kreisauer Kreis und die Vorgeschichte des 20. Juli 1944

Was sich lohnt
© dtv

2012 erschien das Monumentalwerk „Wer wir sind“ vom Sabine Friedrich, ein einmaliger Roman über den Widerstand im Dritten Reich mit über 2.000 Seiten. Der gewaltige Umfang dürfte viele potentiell interessierte Leser abgeschreckt haben. So entstand die Idee einer Romantrilogie über den Deutschen Widerstand, dessen erster Teil „Einige aber doch“ 2019 erschien und sich mit der sogenannten „Roten Kapelle“ beschäftigte.

Im zweiten Teil „Was sich lohnt“ geht es vor allem um den „Kreisauer Kreis“ sowie den zivilen Arm des Attentats vom 20. Juli 1944, verübt durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Der Roman startet 1912 und stellt zunächst die wichtigsten Personen vor. Aus welchem gesellschaftlichen Umfeld kamen sie, welche Erwartungen gab es an ihre Zukunft und wie sahen sie diese selbst?

Auf der Straße gröhlt Nacht für Nacht SA. Die Kinder hat Annedore zu ihren Eltern geschafft. Der Vater hat Annedore dankenswerterweise nicht darauf hingewiesen, dass er dies alles hat kommen sehen und sie sich ihr Unglück selbst zuzuschreiben habe.

Gar nichts hat er kommen sehen. Der Vater hat konservativ gewählt. Wo wäre Hitler ohne die Konservativen? Nicht an der Macht.

Helmuth James Graf von Moltke ist einer der wichtigsten Protagonisten, denn er ist neben Peter Yorck Graf von Wartenburg und Adam von Trott zu Solz die treibende Kraft hinter dem Kreisauer Kreis, der seinen Namen dem Schloss Kreisau zu verdanken hat. Familiensitz des Grafen Moltke und im Mai 1942 erstmals Treffpunkt für einen Kongress der Widerständler. Graf Moltke und seine Mitstreiter trieb die Frage um, wie der deutsche Staat nach dem Kriegsende aussehen könnte.

„Dann ist dieser Weg wohl ungenügend. Dann muss man sich über den Abgrund werfen.“

„Was meinst du damit?“

„Den Versuch, den Abgrund zwischen heute und morgen zu überwinden. Die eigene Auslöschung, um auf der anderen Seite wenigstens das Licht der Opferfackel zu hinterlassen, damit die Zukünftigen wissen: Es hat hier und jetzt auch Menschen gegeben.“

Man wollte eine positive Staatslehre entwickeln, eine neue Reichsverfassung, die als Nachkriegsordnung Grundlage eines neuen Deutschlands sein sollte. Die kontroversen Diskussionen der sehr unterschiedlichen Teilnehmer werden detailreich geschildert. Nach Feierabend traf man sich, um juristische Facharbeiten und Denkschriften zu erstellen, mit denen man hoffte, das Ausland davon überzeugen zu können, dass es eine Alternative zu Hitler gäbe. Mit welcher Ausdauer und Akribie hier ein neuer Staat konzipiert wurde, ist kaum vorstellbar. Aus heutiger Sicht allerdings auch nicht nachvollziehbar, denn warum sollten die Alliierten nach der Kapitulation sich auf derartige Pläne überhaupt einlassen? Sie wurden, wenig überraschend, allesamt nie umgesetzt, gleichwohl ist der Diskurs hoch interessant. Nicht zuletzt, weil die Meinungen sich teils diametral gegenüberstanden.

„Nein, Carlo, ich habe keine Lust, den Kampf der Maus gegen die Katze zu führen. Dieses Regime werden wir nur durch einen verlorenen Krieg los. Und wir siegen. Wir siegen. Ich unternehme nichts. Ich übe mich in der edlen Tugend der Geduld.“

Die Bemühungen wurden im Ausland weitgehend mit Skepsis betrachtet, weil beispielsweise der umtriebige Adam von Trott zu Solz aus beruflichen Gründen der NSDAP beigetreten war und somit als verdächtig galt. Die Diskussionen drehten sich aber nicht nur um die Nachkriegsordnung, sondern angesichts des fortschreitenden Kriegsverlaufs, den unehrenhaften Erschießungen von Gefangenen, dem steigenden, wenngleich nur zögerlichem Widerstand innerhalb der Wehrmacht und – als weitere Initialzündung – der Niederlage von Stalingrad, immer mehr um die Frage, wie man mit Hitler umgehen sollte? Ein Attentat müsse her, doch laut Wehrmachtsangehörigen erst nach dem Krieg gegen Russland. Moltke sah in einem Attentat hingegen gar keinen Sinn, es würden nur unnütz die Beteiligten und deren Umfeld sterben. Zunächst müsse geregelt sein, wie es nach Kriegsende weitergeht – und zuvor das Land untergehen. Dies führte wiederum zu erbittertem Widerspruch der Gruppe Goerdeler, die von alten Zeiten träumte.

Da tut es sich nun wieder vor ihm auf, das ganze unüberwindliche Problem: Popitz ist nett, aber unverwendbar, er ist zu belastet, er war zu lange ins System verstrickt. Goerdeler ist wirklichkeitsfremd und zu ehrgeizig, Jessen gibt sich Wunschträumen hin, und die Herren Feldmarschälle sind Kälber, die sich ihre Metzger selbst wählen. Dagegen wäre ja nichts zu sagen, wenn es nur sie selbst wären, die geschlachtet würden. Mit all diesen Männern ist kein Staat zu machen. Aber bessere sind leider nicht verfügbar.

Aufgrund der Fülle der angeschnittenen Themen ist es unmöglich, hier alle Punkte zu beleuchten. Auch können nur einige Personen beispielhaft genannt werden. Zu erwähnen sind aber noch der Sozialdemokrat Julius Leber, der später zu Moltke hinzustieß, und sein ehemaliger Mitstreiter Herbert Frahm, der die zögerliche SPD im Streit verlies, der SAPD beitrat und in deren Auftrag im April 1933 über Dänemark nach Norwegen floh, um dort einen Parteistützpunkt zu errichten. Hier nahm er seinen „Kampfnamen“ an, unter dem er später weltbekannt wurde: Willy Brandt.

Wer sich für das Dritte Reich, den Widerstandskampf, aber auch für Fragen eines Staatsaufbaus interessiert, findet hier tiefgehende Lektüre. Die Entwicklung des Dritten Reichs sowie der Kriegsverlauf sind stets präsent, so dass „ganz nebenbei“ auch die eigenen Geschichtskenntnisse wieder aufgefrischt werden. Wie schon beim ersten Teil gilt: Anregende Literatur mit Langzeitwirkung!

  • Autor: Sabine Friedrich
  • Titel: Was sich lohnt
  • Verlag: dtv
  • Umfang: 416 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Januar 2021
  • ISBN: 978-3-423-28257-4
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite

Wertung:  13/15 dpt 


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