Autorinnen im Porträt: Der stumme Schrei der Marlen Haushofer


Der Literaturpodcast „Autorinnen im Porträt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in jeder Episode eine Schriftstellerin in den Fokus zu rücken. Dabei schauen wir auf das Leben der Autorin und auf ihr Werk. Wer wir sind? Mariann Gáborfi und Sarah Teicher aus Leipzig. Wer mehr über die Entstehung des Podcasts erfahren möchte, schaut am besten noch einmal in die erste Folge der Kolumne: Autorinnen im Porträt und der Begriff der Frauenliteratur
Da wir ebenfalls Redakteurinnen bei Booknerds.de sind, haben wir beschlossen, zu dem im März 2022 gegründeten Podcast eine begleitende Kolumne zu schreiben.
Viel Freude beim Lesen und Hören!

Marlen Haushofer gehört für mich ganz klar zu den unterschätzten deutschsprachigen Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Von der Österreicherin kennt man heute höchstens noch „Die Wand“, und das vor allem durch die bekannte Verfilmung mit Martina Gedeck aus dem Jahr 2012. Es steckt allerdings ein genialer Roman dahinter, der den (zugegeben sehenswerten) Film komplett in den Schatten stellt. Aber fangen wir am Anfang an …

Die komplette Podcastfolge “Marlen Haushofer im Porträt” vom April 2022 könnt ihr euch hier anhören. Erfahrt mehr über das Leben der Autorin und hört, ob ich Mariann mit meiner Begeisterung über “Die Wand” anstecken kann. 😉
Kurz und knackig: Wer mehr über die Autorin erfahren will, greift am besten zum Essay “Das ordentliche Leben der Marlen Haushofer” von Marlene Krisper.

Als Marie Helene Frauendorfer kam die Schriftstellerin 1920 in Oberösterreich zur Welt. Sie begann nach ihrer katholischen Schulbildung ein Germanistikstudium, wurde Mutter zweier Jungen und Ehefrau. Als „Zahnarztgattin“ sorgte sie sich in den 50er Jahren um den Haushalt, ihren Mann und die Kinder. Zeit zu schreiben blieb ihr lediglich früh morgens von halb 5 bis halb 7 oder spätabends, wenn die Familie bereits zu Bett gegangen war und sie ihre Pflichten erfüllt hatte. Als Arbeitsplatz diente der Küchentisch. Marlen Haushofer war ein Ausnahmetalent: nach außen Hausfrau und Mutter, aber eigentlich mit Leib und Seele Schriftstellerin. Und sicherlich hätte sie noch viele weitere überragende Texte hinterlassen, wäre sie nicht bereits kurz vor ihrem 50. Geburtstag im Jahr 1970 nach einer Krebserkrankung und missglückten Operation in Wien verstorben. Neben Kinder- und Jugendbüchern hinterlässt sie fünf Romane sowie einige Erzählungen und wurde zumindest in Österreich zu Lebzeiten mit Stipendien und Literaturpreisen gewürdigt.

Zwei empfehlenswerte Romane, die wir auch im Podcast ansprechen, möchte ich euch kurz nennen:

„Die Wand“, 1963
Ein zeitloses Buch, aber sicherlich von der Nachkriegszeit geprägt. Zusammengefasst geht es um eine Frau, die sich plötzlich durch eine unsichtbare Wand abgeschnitten vom Rest der Welt wiederfindet. Schauplatz ist eine Jagdhütte in alpiner Natur und die Städterin muss lernen, sich dort selbst zu versorgen. Es gibt nur sie, ihre Tiere – allen voran der Jagdhund Luchs – und die Jahreszeiten. Was genau mit der Umwelt passiert ist, bleibt unklar und spielt eigentlich auch keine Rolle. Der Roman besteht aus ihren täglichen Notizen. Noch nie wurde Einsamkeit so spannend erzählt! Und selten hat mich das Ende eines Buches so geschockt. Auf mehreren Ebenen lesenswert!

„Die Mansarde“, 1969
Hier fällt es wirklich schwer, Autorin und Protagonistin des Romans zu trennen. Vielleicht ist das aber gar nicht so schlimm, denn für Marlen war alles Schreiben im weitesten Sinne autobiografisch, wie sie in einem Interview mit dem ORF 1968 sagte. Die Ich-Erzählerin des Buchs ist Ehefrau und Mutter, die ihren Beruf als Illustratorin der Haushaltspflichten wegen aufgegeben hat. Zum Zeichnen geht sie heimlich in ihr Mansardenzimmer – ihr eigenes kleines Reich, ihre Flucht vor dem anstrengenden und eintönigen Alltag. Dann erhält sie Post: Alte Tagebuchaufzeichnungen, die sie in eine längst vergessene Vergangenheit zurückversetzen und beim Lesen atemlos machen…

Zwei absolute Romantipps: “Die Wand” und “Die Mansarde”

Marlen Haushofers Romane sind so still wie sie selbst und ihre Protagonistinnen es sind – zumindest auf den ersten Blick. Auf den zweiten strotzen sie vor Willenskraft und Stärke. Die große Diskrepanz zwischen Schein und Sein dominierte nicht nur das Leben der Autorin, sondern auch das ihrer Figuren. Umso erstaunlicher ist das literarische Werk, welches sie uns hinterlassen hat. In ihrem zweiten Leben, könnte man meinen.

Regelmäßig veröffentlichen wir auch kleine Rätsel rund um die Autorinnen auf unseren Social Media Kanälen, schaut doch mal vorbei:

– “Autorinnen im Porträt” auf Instagram
– “Autorinnen im Porträt” auf Facebook

Wer gern noch tiefer eintauchen will, dem sei der Blogbeitrag “Mein Zorn ist längst verraucht” von Nicole Seifert (Nacht und Tag) ans Herz gelegt, sowie der biografische Abriss von Marlen Haushofer auf fembio.org.

Ich hoffe sehr, dass ich euch auf diese Autorin neugierig machen konnte!
Im April meldet sich Mariann mit einer neuen Kolumne zu Wort. Seid gespannt, wenn es wieder heißt: “Autorinnen im Porträt” auf booknerds.de – ein schlechter Reim, dafür aber herzliche Grüße

von eurer Sarah


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