Volker Pesch – Der letzte Grund
Die Schrecken des Krieges wirken noch immer nach
Als die „Sansibar“ im Rostocker Stadthafen sinkt, wundert sich der zuständige Kommissar der Wasserschutzpolizei zunächst über die Anwesenheit der Kriminalpolizei. Doch der Bootsmann Clemens Kasten wird vermisst und die kurz darauf entdeckte Leiche unter Deck, rechtfertigt den Einsatz von Hauptkommissarin Doro Weskamp und ihres Kollegen, zumal die Ursache für den Untergang des Schiffes offenbar ein Sabotageakt war. Eine erste Spur nach dem vermissten Kasten führt Doro zu einer Klinik mit angeschlossener Psychiatrie im nahegelegenen Gehlsdorf, wo sich Kasten lange Zeit in Behandlung befand. Unverhofft hat sich dieser dort erneut selbst eingeliefert, da er sich zur Tatzeit an Bord des Schiffes befand und nur mit Mühe retten konnte. So klärt sich auch schnell die Identität des Toten; ein syrischer Flüchtling, dem Kasten eine Kabine zur Übernachtung angeboten hatte.
Derweil wird ein Kommissar eines anderen Bereichs festgenommen, da bei diesem ein erhebliches Waffenarsenal gefunden wurde. Tage später gibt es einen weiteren Toten namens Waschow. Dieser Name elektrisiert Doro, denn er taucht auch in Tagebuchnotizen von Kasten auf, die sich auf dessen Großvater beziehen. So führt eine Spur in das Jahr 1943, dessen schreckliche Ereignisse noch immer nachwirken.
Von Reichsbürgern, Epigenetikern und Kriegsenkeln
„Der letzte Grund“ ist eine kurzweilige und durchaus spannende Krimilektüre, die einen weiten Bogen von den Kriegsgeschehnissen des Zweiten Weltkrieges bis zu den Reichsbürgern unserer Tage spannt. Hinzu gibt es noch das interessante Thema der Epigenetik, welche sich unter anderem mit der Frage beschäftigt, inwieweit traumatische Erfahrungen vererbbar sind. Als der Weltkrieg endete haben viele der Kriegskinder, also jene, die kurz vor oder während des Krieges geboren wurden, furchtbare Dinge erlebt und meist nach dem Krieg verdrängt. Kann es sein, dass deren Kinder, überwiegend die 1950er und 1960er Jahrgänge, diese Erlebnisse über die Gene mitvererbt wurden, so dass diese – wie in der vorliegenden Geschichte Clemens Kasten – damit erhebliche psychische Probleme haben? Bei dieser Generation redet man von „Kriegsenkeln“ und wenngleich es hierüber mehrere Bücher gibt, so dürfte das Thema dennoch einer breiteren Öffentlichkeit unbekannt sein.
Thematisch ist das Buch sehr interessant, die Verknüpfungen der einzelnen Themen zueinander ebenfalls. Allein die Umsetzung führt zu leichten Punktabzügen. Ohne spoilern zu wollen, vieles bleibt zu oberflächlich und bei den Ermittlungen verläuft es oft allzu geradlinig. So wird einer der oben geschilderten Handlungsstränge nicht bis zum Ende, ein anderer dagegen auf denkbar simpelste Weise aufgelöst. Hier wären mehr Tiefgang, Ecken und Kanten an einigen Stellen schön gewesen. Ein Beispiel, die eingangs erwähnte Klinik: Die einzige Spur zum Aufenthaltsort des gesuchten Kasten führt prompt zum (überraschenden) Erfolg.
Die Ermittlungsarbeit selbst wird ordentlich dargestellt, aber auch hier wäre mehr Detailliebe möglich gewesen. Interessant ist wiederum, wie sich die Thematik der Kriegsenkel letztlich auch auf Doro selbst durchschlägt, die bei genauerem Nachdenken nicht wirklich weiß, wie ihre Eltern den Krieg erlebt haben und welche Schrecken sie mit ansehen mussten. Bei weiteren Fällen würde man Doro allerdings etwas mehr Professionalität wünschen, denn das sie beispielsweise ein Gemälde mit Millionenwert auf ihrem Büroschreibtisch vergisst, wo es prompt gestohlen wird, macht sie nicht wirklich sympathisch, obwohl sie es eigentlich ist.
Kurzum: Interessantes Thema, dessen Umsetzung im Falle eines weiteren Romans mit Doro Westkamp aber noch reichlich Luft nach oben hat. Als Lektüre für Bus- und Bahnfahrten aber durchaus in Ordnung.
- Autor: Volker Pesch
- Titel: Der letzte Grund
- Verlag: Pendragon
- Umfang: 283 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: April 2021
- ISBN: 978-3-86532-748-2
- Sonstige Informationen:
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Wertung: 10/15 dpt