Die Klangdepesche #03 – Die Prog-Ausgabe


Prog time!

Die Klangdepesche: Heute mal eine Ausgabe, die sich ausschließlich dem Progressive Rock widmet.

 

 
King Crimson: “Red” (1974)
Höchste Zeit für eine Prog-Ausgabe. Fangen wir also gleich mal mit dem größten Monster, das Progressive Rock vermutlich anzubieten hat – jenes akustische Erdbeben, das unter dem Namen “King Crimson” läuft. Das 1974 aufgenommene Album “Red” ist berüchtigt für seinen schonungslosen Sound. Das Line-Up war zu diesem Zeitpunkt weitgehend auf das Trio Robert Fripp (Gitarre/Melotron), John Wetton (Bass/Gesang) und Bill Bruford (Schlagzeug) reduziert, doch mit der vielseitigen Unterstützung von Ian McDonald (Sax) und David Cross (Violine) – die beide zu jenem Zeitpunkt ehemalige Band-Alumni waren. Doch geradezu legendär wurde hier der Beitrag von Mel Collins auf dem Soprano-Saxophon. Das Album hat einen unbarmherzigen Ruf. Robert Fripps Gitarre scheint sich hier in eine Kreissäge zu verwandeln, mit dem Ziel Scheibe für Scheibe mein Gehirn zu sezieren. Und doch sind das nur einzelne Momente, die in der Rückschau überhöht werden. Es ist schon richtig hervorzuheben, wie ungewöhnlich dieser Sound in 1974 war. Bruford ist hier gewohnt gigantisch und sein Schlagzeugspiel ist deutlich härter und aggressiver. Aber das Album besitzt durchaus viele melodische und sichtlich zarte Augenblicke. Doch sind radikale Dynamikwechsel natürlich ein zentraler Aspekt des Crimson-Sounds. Du weißt nie, was als Nächstes passiert. Faszinierendes, stellenweise sehr muskulöses Album, das beinahe eigenhändig den Prog-Metal erfindet. Und ein Beispiel für LPs, die sehr gut reifen. Denn damals in 1974 galt diese LP wohl eher als ein glorreiches Scheitern, das nur wenig Echo fand. Zwei Wochen vor dem Erscheinen löste sich die Band auf. Heute wird dieses Album geradezu verehrt.
 
Genre: Progressive Rock
Track zum Einstieg: “One More Red Nightmare” / “Starless”
 
 
Bruford: “Feels Good To Me” (1978)
In 1978 hob Bill Bruford, beinahe etwas unwillig und sichtlich verwundert, ob das eine so gute Idee ist, seine eigene Band aus der Taufe. Der Schlagzeuger hatte jedoch nicht vor, den charakteristischen Prog-Sound seiner beiden großen Bands (Yes und King Crimson) zu imitieren. Statt dessen brach er endlich zu einer musikalischen Reise auf, die geradezu überfällig war: in die unerschöpflichen Gefilde der Jazz-Fusion. Eine Jazz-Band sollte dies aber nicht werden. Die Mitglieder waren allersamt etablierte Virtuosen des Progressive Rock und in der Tat liest sich das Line-Up wie ein “Who is who” von verschwurbelten Instrumental-Göttern: der epochale Allan Holdworth an der Gitarre, der unbändigbare Jeff Berlin am Bass und der Tastenvirtuose Dave Stewart an den Keyboards. Das Debut-Album das hierbei herauskam, ist einer der wundervollsten Beiträge zur Prog-Rock- und Fusion-Musik der späten 70er. Die LP gleitet mühelos durch Tempowechsel und esoterische Tonleitern. Es wird nicht mit komplexen jazzigen Akkordfolgen gespart. Und doch ist dies absolut kein Kopfschmerz-Album. Im Gegenteil. Über dem Sound schwebt stets auch das lässige Feeling eines groovigen Funk-Albums. Äußerst faszinierend, gar kontrovers, ist die Sängerin Annette Peacock, deren jazziger Gesangsbeitrag nicht von allen gleich gut verstanden wird. Dieses Album ist gigantisch. Ich könnte Jeff Berlin stundenlang zuhören. Lass dich darauf ein. Großartiger Trip!
 
Genre: Progressive Rock / Jazz-Fusion
Track zum Einstieg: “Back To The Beginning” + “Feels Good To Me”
 
 
Asia Minor: “Between Flesh and Divine” (1980)
Die folgenden beiden Alben (von “Asia Minor” und “Osiris“) könnte man leicht als anachronistisch einstufen, da sie letztendlich mit einem Sound aufwarteten, der damals (1980 + 1982) beinahe als verloren galt: die Titanen des Progressive Rock (Yes, Genesis, Camel, ELP) suhlten sich bereits in ihren teilweise verzweifelten und nicht immer würdigen Versuchen, die Pop-Charts zu erobern. Ausgerechnet eine türkisch-französische Band blieb jedoch dem klassischen Prog-Sound treu und nahm ihr phantastisches Album “Between Flesh And Divine” auf. Sichtlich von dem frühen Genesis-Sound, aber auch von Camel beeinflusst, erleben wir hier eine geradezu symphonische Eruption… Vom folkigem Klang 12saitiger Gitarren und melancholisch sinnenden Querflöten, stürzen wir in fieberhafte Zweikämpfe zwischen fräsenden Gitarrensolos und geschmackvollen Keyboards. Diese Platte hat alles. Welch eine Reise! Was für ein Abenteuer! Großartiges Album!
 
Genre: Progressive Rock
Track zum Einstieg: “Northern Lights”
 
 
Osiris: “Osiris” (1982)
Äußerst charmante Band aus … Bahrain. Großartiger, gänzlich unverdünnter Prog-Sound der klassichen Ära – in einer Zeit aufgenommen, als diese Musik nicht mehr gewürdigt wusste. Osiris ist sichtlich von dem melodiösen Sound von Camel beeinflusst, doch sie machen ihr Ding, und so verliert man sich allzu leicht in diesem wundersamen Urwald aus Gitarrensolos und Keyboard-Sounds. Großartige Drums und alles in allem ein dynamischer Sound, der nicht nur ziellos in Solos schwelgt, sondern nie vergisst, auch ein gewisses Drama zu erzeugen. Oder die Zuhörer einfach nur mit einem reizvollen Vibraphon-Spiel zu hypnotisieren. Hervorragende Platte. Damals blieb die LP weitgehend unbekannt. Heute wird sie als ein übersehenes Juwel wiederentdeckt.
 
Genre: Progressive Rock
Track zum Einstieg: “Sailor On The Seas Of Fate”
 
 
Gong: “Shamal” (1976)
Eine Band, die von ihrem Gründer verlassen wird, hat es schwer. Entweder es folgt die Auflösung, oder es folgt ein uncharakteristisches Album, das quer durch die Bank verrissen wird. Und dann folgt die Auflösung. Das ist aber nicht die Story von “Gong“. Eine der schrulligsten Legenden des Psychedelic Rock hätte eigentlich wie ein Kartenhaus zusammenfallen müssen, nach dem Daevid Allen und Gilli Smyth ihrem Herzprojekt den Rücken zukehrten. Doch etwas anderes geschah – die restlichen Mitglieder vereinten sich um den französischen Ausnahme-Schlagzeuger Pierre Moerlen und wurden zu einer der kniffligsten Fusionbands ihrer Ära – unter dem neuen Namen “Pierre Moerlen’s Gong“, oder einfach PMG. Doch da ist noch dieses ungewöhnliche Übergangsalbum, das 1976 erschien, und eine Art Brücke zwischen “Allens Gong” und “Pierres Gong” schlägt. “Shamal” war die erste Scheibe nach dem Weggang von Daevid und Gilli – und im Gegensatz zu den extrem jazzigen Nachfolgern bleibt es der psychedelischen Grundstimmung treu. Zugleich aber unternimmt die Platte sagenhafte Ausflüge in die Hemisphären fernöstlicher und patagonischer Musik (“Bambooji“) und ist auch nicht darum verlegen, einen coolen funkigen Bass in den Vordergrund zu stellen (großartig gespielt von Mike Howlett). Herausgekommen ist dabei ein Album, das die selbe Hitze und Gelassenheit ausstrahlt, wie das Wüstenbild auf dem Cover. Markant ist sichtlich der extrem geschmackvolle Einsatz von Vibraphonen und Xylophonen – Mitglieder der Band hatten Hochschulbildung als Perkussionisten genossen. Unter der Ägide von Pierre Moerlen sollte das hyper-aktive Vibraphon schon bald zu einem echten Wahrzeichen des Projekts werden. Und dann ist da Didier Malherbe, dessen vielseitiges Saxophon- und Flötenspiel immer eine Wucht ist. Und Jorge Pinchevsky an der Violine …? Episch. Diese Platte ist ein Killer! Toller grooviger Sound begegnet hier allerlei Proto-Ambient-Experimenten. Produziert wurde dieser lässige Wurf von dem Pink-Floyd-Drummer Nick Mason. Großartige Band und ein reizvolles Abenteuer, egal in welcher Phase ihrer Existenz.
 
Genre: Jazz-Fusion, Progressive Rock
Track zum Einstieg: “Chandra” / “Shamal”

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