Alex Beer – Unter Wölfen (Buch)
Verfolgter Jude spielt hochrangigen Nazi-Ermittler
März 1942. In der Nürnberger Burg wird in der Wohnung von SS-Obersturmbannführer Fritz Nosske die überaus beliebte Schauspielerin Lotte Lanner mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Nosske selbst findet seine Geliebte tot vor und beauftragt die ehemaligen Kriminalisten Sturmscharführer Gerhard Bade und Scharführer Theodor Oberhausner mit den Ermittlungen. Zwei Dinge sind brisant. Man kann die Burg nur auf einem Weg erreichen, der von dem Pförtner Werner Hildebrandt, einem „Held von Kiew“, bewacht wird. Laut dessen Aussage waren zum Tatzeitpunkt nur Nosske und Lanner in der Burg. Aufgrund der hohen Popularität der Künstlerin und des stockenden Kriegsverlaufs an der Ostfront müssen dringend gute Nachrichten her, weswegen das Führerhauptquartier seinen besten Ermittler schickt: Adolf Weissmann.
Isaak Rubinstein erhält zur gleichen Zeit einen Evakuierungsbescheid für sich und seine Familie. Es geht nach Osten, von wo noch nie jemand zurückkehrte. Erstmals seit ihrer Trennung vor rund drei Jahren wendet sich Rubinstein an Clara Pflüger, die angeblich Kontakte zum Widerstand haben soll. Diese ist bereit zu helfen, verlangt aber eine geradezu unvorstellbare Gegenleistung. Rubinstein, vor seiner Enteignung als Inhaber eines Antiquariats tätig, soll in die Rolle von Weissmann schlüpfen und Arthur Krauss finden. Dieser sitzt im Gefängnis der Gestapo und kennt als Einziger jenen Ort, an dem sich hochbrisante Unterlagen befinden, die an einen britischen Agenten übergeben werden sollen. Außerdem kennt nur er die genauen Angaben zur Übergabe.
Rubinstein wird ins kalte Wasser gestoßen, erhält Weissmanns Pass und SS-Siegelring und begibt sich in die Höhle der Löwen oder – um beim Buchtitel zu bleiben – unter Wölfe. SS-Brigadeführer Georg Merten hätte nichts dagegen, wenn sein Widersacher Nosske als Mörder überführt würde. Dieser wiederum hält den Pförtner für ein Mitglied im „Fränkischen Widerstand“, weswegen dieser verhaftet wurde. Rubinstein sitzt zwischen allen Stühlen, während der vermeintlich vom Widerstand ermordete Weissmann im Krankenhaus seiner schnellen Genesung entgegensieht.
Erster von zwei Romanen mit Isaak Rubinstein
Ja, „Unter Wölfen“ ist sehr konstruiert und Isaak Rubinstein, der sich als Antiquar seiner zahlreichen Kriminalromane erinnert und aus diesen Sprüche einiger bekannter Ermittler zitiert, um als Polizist durchzugehen, bleibt auffällig lange unentdeckt. Nicht nur, dass er von Polizeiarbeit keine Ahnung hat und durchgehend vom Feind beobachtet wird, so kennt er natürlich auch nicht den Hintergrund von Weissmann, kann folglich Fragen zu dessen Erfolgen und persönlichem Umfeld nicht beantworten. Improvisation ist Pflicht, wobei es zudem gilt, kein Jiddisch zu sprechen und nicht beim Boxkampf den linken Arm zu heben, da in Rubinsteins Fall dort die Tätowierung der Blutgruppe, wie bei Angehörigen der SS vorgeschrieben, fehlt. Gleichwohl ist es durchaus „amüsant“, im Kontext der Handlung natürlich das falsche Wort, wie sich Rubinstein schlau aus mancher Notlage befreien kann, während ihm Nosske und seine beiden Handlanger langsam auf die Schliche kommen und der echte Weissmann gesundet.
Bei der Evakuierung der Juden war die Stadt Nürnberg besonders eifrig, was in dem Roman authentisch rüberkommt. Die Angst vor Entdeckung, sei es von Rubinstein oder dessen Familie, ist jederzeit spürbar und bereitet beim Lesen körperliches Unbehagen. Muss noch erwähnt werden, dass es im Widerstand einen Maulwurf gibt? Auch die Frage nach dessen Identität sorgt für Nervenkitzel, wie nicht zuletzt der zu lösende Mordfall. Hier stellt sich indessen weniger die Frage nach dem Täter, sondern vielmehr jene, wie Rubinstein die Widerständler Hildebrandt und Krauss aus dem Gestapogefängnis befreien kann.
„Unter Wölfen“ bietet nervenaufreibende Spannung mit guten Tricks von und glücklichen Zufällen für Rubinstein, um sich aus etlichen Notlagen zu befreien. Vielleicht ein bisschen zu viel des Guten, aber jederzeit anspruchsvoll unterhaltsam. Die Grausamkeit und Effizienz des Machtapparates der Gestapo bei der Frage der Endlösung wird eindringlich beschrieben, ebenso das Leid der Betroffenen. Nichts für empfindliche Gemüter, aber eine bewegende Geschichtsstunde.
Mit „Unter Wölfen. Der verborgene Feind“ findet der Zweiteiler seinen Abschluss, wobei der erste Teil eine ordentliche Auflösung bietet, so dass kaum Fragen offenbleiben. Man kann also problemlos diesen Roman lesen, ohne anschließend den zweiten Band zwingend lesen zu müssen.
- Autor: Alex Beer
- Titel: Unter Wölfen
- Verlag: Limes
- Umfang: 368 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: November 2020
- ISBN: 978-3-7341-0984-3
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Wertung: 12/15 dpt