Stefanie vor Schulte – Schlangen im Garten (Buch)


Stefanie vor Schulte – Schlangen im Garten

Märchenhafte Trauerarbeit

Cover (c) Diogenes Verlag

Trauer und dessen Bewältigung bilden das zentrale Thema des Romans: Johanne Mohn, Mutter dreier Kinder, ist tot. Ihre Familie muss mit diesem Verlust zurechtkommen.

Stefanie vor Schulte hält sich nicht an Oberflächen auf. Vom ersten Satz an transformiert sie die Emotionen ihrer Figuren in märchenhafte Bilder:

„Zum Abendbrot isst er jetzt immer eine Seite aus dem Tagebuch seiner verstorbenen Frau. Er isst sie roh, und er tut es aus Liebe.
Seite 5

Das Innenleben der trauernden Familie wird zum Aktionsraum, wobei jedes Familienmitglied anfangs seinen eigenen Weg beschreitet. Der Jüngste, der etwa 10-jährige Micha, besucht heimlich eine alte Dame im Seniorenheim und liest ihr vor. Die nur etwas ältere Linne reagiert aggressiv und prügelt sich. Der älteste Sohn Steve versucht hilflos das Familienleben zusammen zu halten, während Vater Adam sich in Lethargie ergibt.

Der Trauer-Schmerz verwandelt die Mohns zu Außenseitern. Die Kluft zwischen ihnen und der Umwelt ist unüberbrückbar geworden. Das Gefühl, nicht mehr in die Welt zu passen, wächst und lässt die Familie zunehmend in einer Art Parallelwelt versinken. Vor Schultes Erzählstil nimmt dieses Empfinden kongenial auf. Immer intensiver durchdringen surreale Bilder die erzählte Realität.

Die Anteilnahme ihrer Mitmenschen empfinden die Mohns als übergriffig. Die Erwartungshaltung der anderen wird für sie zur untragbaren Belastung.

„Was sich die Leute nur herausnehmen. Sie als Familie sind ein zerbrochenes Gefüge. Und die anderen stellen Fragen und kommentieren. Suchen sich aus, wie sie mit ihnen umspringen. Bohren in ihren Wunden. Wissen alles besser und nur, weil die noch ganz sind. Noch unbelehrt vom Tod. Sie sind beschränkt, dumm, häßlich, alt, aber vor allem ganz. Vollständig. Vollzählig. (…) Und da durchschießt Adam das Wissen, dass sie einen Schild brauchen. Einen Schild, der sie vor den anderen schützen wird.“
Seite 68/69

Vor Schulte hat für ihre Protagonisten jedoch einen Ausweg parat: Sie lässt die Mohns Geschichten über die Verstorbene erfinden. Tröstliche Lügenmärchen, mit denen sie sich und Johanne dem Zugriff der Außenwelt entziehen. So gewinnen die Mohns ihre Trauer-Souveränität zurück. Die selbstbestimmte Realitäts-Demontage gipfelt am Ende in einer heilenden Katharsis.

Die Autorin macht deutlich: Für Trauer gibt es keinen vorgeschriebenen Weg. Jeder Ansatz von außen einzugreifen wäre falsch. Trauer ist ein Prozess, der von innen heraus verarbeitet wird und einer eigenen Dynamik folgt.

Trotz des ernsten Themas ist die Lektüre durchaus genussvoll. Vor Schultes einzigartige Sprache trägt die Leser:innen durch die Seiten. Viele ihrer Sätze sind von betörender Schönheit. Ihre Prosa besitzt die Mehrdeutigkeit von Poesie. Die ausgeklügelte Ästhetik erzeugt dabei eine große Dichte. „Schlangen im Garten“ ist daher weder eine „schnelle“ noch eine leichte Lektüre.

Empfehlenswert ist sie jedoch unbedingt.

  • Autor: Stefanie vor Schulte
  • Titel:  Schlangen im Garten
  • Verlag:  Diogenes Verlag
  • Erschienen:  August 2022
  • Einband:  Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 256 Seiten
  • ISBN:  978-3257072174


Wertung: 13/15 dpt


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