Dörte Hansen – Zur See (Buch)


Dörte Hansen – Zur See

Mehr als “nur” ein Heimatroman

(C) Pengiun Random

Für viele Menschen ist das Meer der Sehnsuchtsort schlechthin. Ein Ort, an dem man gerne leben möchte. Doch was bedeutet dieser Ort für diejenigen, für die er immer Heimat ist?

Exemplarisch für diese Menschen stellt Dörte Hansen die Familie Sander ins Zentrum ihres Romans. Hanne und Jens und ihre erwachsenen Kinder Ryckmer, Eske und Henrik. Eine Familie, bei der jedes Mitglied eine repräsentative Rolle einnimmt:

Hanne ist eine enttäuschte, ein Leben lang auf Veränderung und ihren Mann wartende Frau. Jens ist ein verbitterter ehemaliger Kapitän, den der Seemanns-Beruf von seiner Familie und sich selbst entfremdet hat. Tochter Eske, aufbegehrend, empathisch und gefangen zwischen Freiheitswillen und Heimatliebe, schafft es selbst im Alter von dreißig Jahren nicht, ihr eigenes Leben zu etablieren. Der älteste Sohn Ryckmer, in den viel zu großen Fußstapfen der Familientradition gescheitert, kämpft gegen seine Alkoholsucht. Nur der jüngste Sohn Henrik lebt als Künstler frei von allen Konventionen ein nahezu realitätsfremdes Leben.

Hansens Erzählen gleicht einer Wellenbewegung. Es ist ein ständiges Vor und Zurück und ein Immer wieder, Gegenwart und Vergangenheit fließen ineinander. Nur sehr allmählich zeichnet sich die Chronologie der Ereignisse ab. Der Roman ist eher eine Zustandsbeschreibung, ein Mosaik, welches sich aus den vielen Biografien zusammensetzt, die jeder einzelne Akteur als sein Schicksalspaket mit sich herumträgt.

Es wird wenig gesprochen bei Dörte Hansen. Die Autorin lässt ihre Leser:innen trotzdem am Seelenleben der Protagonisten teilhaben. Als auktoriale Erzählerin lenkt sie die Aufmerksamkeit in die Tiefe. Allen Figuren haftet eine bodenlose Einsamkeit an. Ihre Heimatliebe ist kein verklärtes Ideal sondern eher ein trotziges Festhalten, ein Lieben gegen alle Widerstände und Wunden, die ihnen das Leben in ihrer Heimat zugefügt hat.

Jeder Satz in diesem grandiosen Roman ist atmosphärisch perfekt platziert. Hansen verwebt die einzelnen Handlungsstränge und Beschreibungen zu einer dichten Einheit. Die Insel mit ihrer Flora und Fauna ist stets präsent und auch die See agiert als  eine ebenso unbestechliche wie unberechenbare Protagonistin.

Thematisch verbindet der Roman Historisches mit Hochaktuellem: traditionell gewachsene Gesellschaftsmuster contra individueller Freiheit, Strukturwandel, Klimakrise, Gentrifizierung.

„Zur See“ ist mehr als eine regionale Milieustudie. „Zur See“ ist ein Gesellschaftsroman, der geschickt den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart spannt und dabei bereits die wesentlichen Fragen nach der Zukunft stellt.

  • Autor:  Dörte Hansen
  • Titel:  Zur See
  • Verlag:  Penguin Verlag
  • Erschienen:  September 2022
  • Einband:  Gebundene Ausgabe
  • Seiten:  256 Seiten
  • ISBN:  978-3328602224


Wertung: 13/15 dpt


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