Dieter Armin Müller – Schatten über der Rhön (Buch)


Jagdbilanz: Fünfzig Fasane und ein Graf

Schatten über der Rhön
© Gmeiner

März 1905. Für Wildtiere gilt noch die Schonzeit, Fasane dürfen jedoch geschossen werden und so lädt Freiherr Friedrich Wilhelm von Waldenberg zu einer kleinen Jagdrunde. Revierjäger Roderich Bonifatius „Boni“ Burgmüller leitet die Vorbereitungen und ist überrascht, dass sein Freund Hermann Wagner ebenfalls unter den Jägern ist, vermutete er den Großwildjäger doch in Deutsch-Ostafrika. Die Jagd wird ein großer Erfolg, insgesamt fünfzig Fasane werden geschossen. Allerdings fehlt plötzlich von Graf von Buchen, einem Holzhändler aus Berlin, jede Spur. Am nächsten Morgen folgt eine traurige Entdeckung. In einem Moorloch wird seine Leiche gefunden und der hinzugezogene Königlich-Preußische Stadt-Gendarm Walter Koch erkennt sofort, dass ein Selbstmord vorliegen muss.

Boni erkennt hingegen einmal mehr die Unfähigkeit des Gendarmen und macht sich selber auf die Suche nach Hinweisen. Die tödlichen Verletzungen entstammen einem neuen Gewehr mit noch neuerer Munition, die kaum erhältlich ist. Genau genommen wurden bislang nur erste Militäreinheiten beliefert. Zwei der Teilnehmer an der Jagdgesellschaft sind ein Generalmajor und ein Oberleutnant, die als solche per se nicht verdächtigt sind und so bleibt dummerweise nur Hermann übrig, der zu allem Unglück auch noch ein handfestes Motiv hätte. Boni kämpft um seinen Freund, dem der Tod durch das Handbeil droht.

Mehr Historie denn Krimi

„Schatten über der Rhön“ ist ein historischer Kriminalroman, bei dem der Schwerpunkt auf der Historie liegt, was keineswegs als Kritikpunkt zu verstehen ist. Thematisch vielseitig entführt uns Dietmar Armin Müller in das Jahr 1905 und somit in die Gründerzeit des noch recht jungen Kaiserreiches. Politische und gesellschaftliche Gegebenheiten werden aufgezeigt, das kleine Städtchen Tann und das Rhön genannte Mittelgebirge bilden den geografischen Hintergrund und werden ebenfalls umfassend illustriert. Da der Roman in der Gründerzeit spielt, hat Boni die Gelegenheit über neue Entdeckungen zu staunen, wie beispielsweise den Versandhandel, das Telephon oder die Methode der Daktyloskopie (Fingerabdrücke), die die Kriminalistik langsam voranbringt. Die eigentlichen Schwerpunkte bilden aber die Arbeit des Revierjägers und die Jagd an sich. Fundiert und detailverliebt führt der passionierte Jäger Müller in das Jagdwesen ein; ein vierseitiges Glossar im Anhang dient der fachlichen Genauigkeit.

Das Rhöner Gericht zählte zu seinen Leibspeisen. Es bestand aus Schweineblut, etwas Wellfleisch, Pellkartoffeln und sauren Gurken. Davor wurden eine Einbrennsuppe mit Gries und ein Krug frisches Bier vom Fass gereicht.

Und der Krimiplot? Man muss beachten, dass die Geschichte Anfang des 20. Jahrhunderts spielt und da sah es mit der Polizeiarbeit noch recht mau aus. Erst in den 1920er Jahren wird der legendäre Kommissar Ernst Gennat dies geradezu revolutionär ändern. Doch 1905 gibt es eine Ausbildung, soweit man diese denn überhaupt so nennen darf, nur für die Kriminalpolizei, welche in der vorliegenden Geschichte nur am Rande vorkommt. Der vor Ort zuständige Gendarm Koch ist hingegen ein ehemaliger Soldat ohne jegliche Polizeierfahrung, was bislang mangels Kapitalverbrechen in Tann nicht weiter störte. Aber nun liegt zweifelsfrei ein Mord vor und daher kann es schon irritieren, dass Koch selbst die offensichtlichsten Spuren übersieht oder übersehen will. Er macht sich keinen Stress und ist daher mit einem Urteil schnell bei der Sache. Derweil versucht Boni seine Erfahrungen als Jäger in die aktuellen Geschehnisse zu übertragen. Nicht immer mit Erfolg. Die „Ermittlungen“ sind überschaubar, mehr war damals kaum möglich und so plätschert der kriminelle Strang zeitweise daher und am Ende entscheidet – durchaus angemessen – Kommissarin Zufall in Person von Bonis Mutter.

Ein wichtiger Protagonist wäre noch zu erwähnen, denn diesem ist die, wenngleich unfreiwillig, lustigste Szene des Romans zu verdanken. Bodo, der Deutsch-Drahthaar, der dem Revierjäger wertvolle Dienste leistet. Und da sich Bodo und Boni vom Namen nicht ganz unähnlich sind, kommt es soweit, dass Bodo und nicht Boni das Feuer im Herd schürt und Holzscheite nachlegt. Insgesamt ist „Schatten über der Rhön“ ein gut ausgewogener Krimi, der informativ und kurzweilig in die Kaiserzeit entführt. Boni ist zudem sehr sympathisch, so dass ihm ein weiterer Fall zu wünschen wäre.

  • Autor: Dietmar Armin Müller
  • Titel: Schatten über der Rhön
  • Verlag: Gmeiner
  • Umfang: 281 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: März 2023
  • ISBN: 978-3-8392-0341-5
  • Produktseite


Wertung: 11/15 dpt


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