Speak No Evil (Film, DVD/BluRay)


Bjørn, Louise und die neunjährige Tochter Agnes sind freundliche Dänen auf Sommerurlaub in der Toskana. Dort lernen sie das niederländische Paar Patrick und Karina kennen, deren Sohn Abel etwa im gleichen Alter wie Agnes ist. Die Urlauber verstehen sich gut und verbringen viel Zeit miteinander.

Einige Monate nach dem gemeinsamen Urlaub bekommen Bjørn und Louise eine Einladung der Niederländer. Kurz entschlossen fährt die dänische Familie für einen Wochenendtrip ins Domizil der Urlaubsbekanntschaft. Um dort in einen Strudel aus Fremdschäm-Momenten, Übergriffigkeiten und boshaften Konfrontationen gezogen zu werden.

Die überhastete Abreise misslingt auf denkbar banale Weise, der nächste Versuch einer Annäherung endet nach kurzer Verschnaufpause kläglich in einem Alptraum. Aus dem es möglicherweise kein Erwachen gibt.

Mehr sollte man über den Film von Christian und Mads Tafdrup (beide fürs Drehbuch verantwortlich, Christian auch für die Regie) nicht verraten, um die psychosoziale Abwärtsspirale möglichst unvorbereitet wirken zu lassen. Als den verstörendsten Film der Welt hatten die beiden Brüder “Speak No Evil” (“Gæsterne”) angekündigt. Das ist er nicht geworden, ein höchst unbehagliches Werk schon.

Das “Speak No Evil” keine freundliche Sommerkomödie ist, kündigt sich bereits in der Eingangssequenz an, wird die Anreise doch als irrlichternder Trip gestaltet (Elemente dieser Fahrt werden im weiteren Verlauf immer wieder aufgegriffen), unterlegt mit dramatische-düsteren Fanfarenstößen. Die Atmosphäre wird auf Anhieb ins Bewusstsein der Zuschauer gefräst, lässt allerdings dadurch kaum Raum für Überraschungsmomente. Das ist bedrängend offensiv, aber nicht ungeschickt, da man bereits ab der ersten Minute auf den Ausbruch des Grauens wartet.

Damit lassen sich die Tafdrups Zeit, sorgen nur dezent für Irritationen und Störmomente. Zunächst ist das Beisammensein der freundlichen, alternativ angehauchten dänischen Familie mit ihren niederländischen Pendants geprägt von gut gelaunter Urlaubsstimmung und anregenden gemeinsamen Unternehmungen. Lediglich Abel, der schweigsame Sohn des resoluten Paares Karina und Patrick wirkt leicht befremdlich. Sein Verhalten bekommt aber eine beiläufige Erläuterung, die von Bjørn und Louise verständnisvoll gebilligt wird.

Das Paar möchte nicht unangenehm auffallen und niemand zu nahe treten, besonders Bjørn gibt viel darum, gemocht zu werden. Nicht zu anbiedernd, eher von jener Freundlichkeit, die begierig nach Akzeptanz sucht. Gesellschaftliche Konventionen, die genüsslich seziert werden. Man ist höflich, mischt sich nicht in die Erziehung der Kinder ein, übersieht beflissen Übergriffiges und gezielte Provokationen. Karina und Patrick stellen die zurückhaltende Freundlichkeit ihrer Gäste auf eine harte Probe. Das sind keine fröhlichen, weltoffenen Freigeister, fast jede Handlung ist von hintergründiger Bosheit geprägt. Nicht so, dass man gleich auf Konfrontationskurs gehen müsste, aber dennoch widersprüchliche Reaktionen provozierend. Die weitgehend ausbleiben.

Das Bett für Agnes ist eine lieblos drapierte Matratze, der Vegetarierin Louise bietet Patrick mehrfach ein Bratenstück an, bis Louise es widerwillig annimmt. Ob Voyeurismus, der an Stalking grenzt, rücksichtslose Selbstdarstellung und Entblößung, Lügen und Frotzeleien, es wird keine Gelegenheit ausgelassen, das dänische Ehepaar zu triezen. Die angespannte Situation wird kompromittierend als Louise ihre Tochter im Bett der nackt schlafenden Gastgeber findet. Jetzt erst entschließen sich Bjørn und seine Frau zu handeln, doch der überstürzte Aufbruch scheitert kläglich aufgrund eines irrtümlich angenommenen Verlusts.

Es sind die kleinen Tücken, Blicke, Gesten und beiläufig hingeworfene Sätze, die vom Abgrund erzählen, auf den Bjørn, Louise und Agnes zu taumeln. Wenn Karina zur Unordnung im Haus bei der Ankunft der Gäste sagt: “Tut mir leid, dass es hier so aussieht, es wird noch schlimmer”, dann ist das genauso gemeint. Christian Tafdrup arbeitet meisterlich mit solchen Zweideutigkeiten, die er gekonnt visualisiert. Hilfreich dabei sind die exzellenten Schauspieler. Morten Burian und Sidsel Siem Koch geben ein glaubwürdiges unbedarftes, harmoniebedürftiges Ehepaar ab, dem man seine Hilflosigkeit abnimmt. Fedja van Huêt und Karina Smulders als Widerpart (auch im richtigen Leben verheiratet) benötigen keine dämonischen Grimassen oder aufgeblasene Effekte, um Gefahr auszustrahlen. Erst am Ende gibt es zwei üble Gewaltausbrüche, die geradezu körperlich schmerzen. Auch bedingt durch Bjørns Schwäche, dem es nicht gelingt, Frau und Kind zu schützen. Louise ist der aktivere Part, in jeder Beziehung, doch ihr allein fehlt die Kraft, sich gegen Karina und Patrick durchzusetzen.

Warum tust Du mir das an?” fragt Bjørn kurz vorm Finale verzweifelt.
“Weil Du mich lässt”, antwortet Patrick lapidar.

Eine kurze, passende Parabel darauf, dass sich das Böse seinen Weg bahnen kann, weil die Guten nicht aufbegehren. Chancen dafür gäbe es nicht wenige. Es ist zwar Bjørns Wunsch aus den Konventionen auszubrechen, die sein Leben bestimmen, doch eine Art Urschrei-Therapie mit Patrick an seiner Seite führt nur zu kurzem Wohlbefinden. Es ist wie mit Esoterik-Seminaren: Sie pinseln den Bauch, führen aber zu keiner Verhaltensänderung. Christian und Mads Tafdrup führen das in gnadenloser Manier vor, bauen eine Versuchsanordnung auf, die sie mal analytisch-satirisch, mal horrorhaft einreißen; Michael Hanekes “Funny Games” nicht unähnlich. Allerdings ohne dessen plumpe Medienschelte und Taschenspielertricks.

Die Bilder dazu sind meist warm und sonnendurchflutet, stehen im krassen Gegensatz zur handlungstechnisch voranschreitenden Finsternis. Visuell ist Philip Ridleys meisterlicher “Schrei in der Stille” (“The Reflecting Skin”) ein naher Verwandter. Die Nächte sind geprägt von Unruhe und schlechtem Schlaf. Die Bildästhetik von “Speak No Evil” entwickelt (bei allem Licht) einen dunklen Sog, in dem Bekanntes befremdlich wirkt.

“Speak No Evil” ist ein bitterböses Spiel mit den peinvollen Tücken, die Konventionen innewohnen. Konsequent bis zur Abblende verweigert sich der Film dem erfolgreichen Entkommen der malträtierten Opfer. Keine helfende Hand, keine befreiende (Re)aktion, wenn der Blick von Angst und Zögern getrübt wird. Ob man sich dem aussetzen möchte, sollte man sich vor dem Anschauen gut überlegen. Kino kann wehtun. “Speak No Evil” stellt das, etwas zu lustvoll und manipulativ, dennoch eindrücklich, unter Beweis.

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures


Wertung: 11/15 dpt

 


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