Unterhaltung für adrenalinsüchtige Tempojunkies
Der französische Kultautor Philippe Djian hat für seinen im November 2023 erschienenen Roman „Ein heißes Jahr“ einen ganzen Reigen hochbrisanter Themen in die Hand genommen. Er siedelt sein Setting um 2030 an, also in der nahen Zukunft. Der Klimawandel ist fortgeschritten, die Welt hat bereits dystopische Züge angenommen. In dieses Themenpaket aus Klimawandel, Protesten und Kapitalismuskritik stellt Djian seine psychisch-labile durch Trauer traumatisierte Hauptfigur Greg, der Mitarbeiter eines giftige Pestizide produzierenden Labors ist. Als Greg sich in die Umweltaktivistin Vera verliebt, gerät er ins Spannungsfeld gegensätzlicher Loyalitäten.
Djians Erzähltempo ist ebenso rasant wie der Fahrstil seines Porscheliebenden Protagonisten. Der Autor ordnet wirklich alles dem Tempo seines Plots unter. Er nimmt sich kaum Zeit, auf die Hintergrundgeschichten seiner Figuren einzugehen. Das erledigt er so nebenbei, mitten im Erzählen, und auch dann nur so viel wie nötig. Seine Protagonisten haben vor allem so zu agieren, dass die Handlung möglichst schnell vorangebracht wird. Nicht immer ist ihr Verhalten dabei psychologisch kongruent.
Hinzu kommen fehlende Satzzeichen bei oft nur angerissenen Dialogen, ständige Perspektiv- und Szenenwechsel und eine Erzählweise, die tragende Ereignisse auch schon mal ganz beiläufig im Nebensatz abhandelt.
Auf diese Weise hält Djian den Adrenalinspiegel seiner Leserschaft hoch. Die Lektüre ist eine Achterbahnfahrt, bei der zu jederzeit alles passieren kann. Als Leser:in darf man nie nachlassen aufmerksam zu sein. Immer bleibt der Eindruck, man könne etwas Wichtiges verpassen. So fliegt die Story wie ein Rennboot über die Oberfläche ohne kaum ein Kräuseln auf dem Wasser zu hinterlassen.
Das mag für manche Leser:innen reizvoll sein, für andere ist das enervierend. Entweder man liebt Djians Stil oder man hasst ihn. Ein Dazwischen ist eigentlich nicht möglich.
Was auffällt ist der männliche Blick, der das Erzählen spürbar dominiert. Ein Blick, der auch weibliche Figuren nach männlichen Denkmustern interpretiert. Dabei fehlt es der Erzählstimme nicht an Empathie und der Hauptfigur nicht an Sehnsucht nach einer emotionalen Heimat. Vielmehr entsteht gerade aus diesem Wunsch und dem Unvermögen, die eigene Emotionalität zu kanalisieren, eine hochtragische Dynamik.
Am Ende fragt man sich, was man da jetzt eigentlich gelesen hat. Ist dieses fiebrig-nervöse Konstrukt eine Lovestory mit Ökotouch? Ein Psychodrama mit Gesellschaftskritik? Eine dystopische Mahnung? Oder ist der Roman eine hastig zusammen gestellte Collage aus Themen, an denen man aktuell nicht herum kommt, nur um die tragische Figur des männlichen Protagonisten zu inszenieren? Das überraschende Romanfinale mit seinem Fokus auf diesen einen Aspekt beraubt nämlich die ganze vorangegangene erzählte Vielfalt um einen Großteil ihrer Bedeutung und verengt den Interpretationsraum auf diese eindimensionale Möglichkeit.
Und das ist schade. So richtig schade. Denn ohne dieses Ende hätte Djian sein Speedboot mit Karacho gegen den metaphorischen Eisberg lenken und ein Feuerwerk an Fragen entfachen können, die allesamt spannender gewesen wären, als die eine lahme Antwort als Resultat seines Plots.
- Autor: Philippe Djian
- Titel: Ein heißes Jahr
- Originaltitel: 2030
- Übersetzerin: Norma Cassau
- Verlag: Diogenes Verlag
- Erschienen: November 2023
- Einband: Gebundene Ausgabe
- Seiten: 240 Seiten
- ISBN: 978-3257072495
Wertung: 9/15 dpt