Najat Abed Alsamad – Kein Wasser stillt ihren Durst (Buch)


Im Kellerraum ihres Elternhauses sitzt die vierzigjähirge Hayat. Die eigene Mutter hat sie dort eingesperrt, um sie zu bestrafen. Denn Hayat hat sich widersetzt. Das erste Mal in ihrem Leben hat sie eine eigenständige Entscheidung getroffen, indem sie ihren gewalttätigen Eheman Khalil verlassen hat. In Hayats Welt gilt jedoch der freie Wille einer Frau bereits als Vergehen. Frauen haben zu gehorchen, den Vätern, den Müttern, die ihren Ehemännern gehorchen, und den eigenen Ehemännern sowie.

Mit ihrem Roman „Kein Wasser stillt ihren Durst“ führt uns Autorin Najat Abed Alsamad in die südsyrische Provinz Suwaida. Die Menschen dort gehören der drusischen Religionsgemeinschaft an. Der Glaube regelt das weltliche Leben nach strengen Regeln. Die gesellschaftliche Rolle von Mann und Frau ist klar definiert:  Die Frau ist dem Manne Untertan in allen Belangen.

Hayats Lebenslauf ist der rote Faden, an dem die Autorin das Schicksal ihrer Geschlechtsgenosssinen darstellt. Trotz guter Schulbildung erhält Hayat keine Chance, eine weitere Ausbildung oder einen Beruf auszuüben. Sie darf ihre Jugendliebe Nasser nicht heiraten und wird gegen ihren Willen in die Ehe mit dem viel älteren Khalil gezwungen, der sie regelmäßig sexuell misshandelt und wie eine Sklavin für sich arbeiten lässt.

Immer wieder durchbricht Alsamad die Chronologie der Ich-Erzählung ihrer Protagonistin Hayat, in dem sie die Schicksale weiterer Personen aus derem Umfeld hinzunimmt. Es entsteht ein komplexes generationenübergreifendes Porträt einer Gesellschaft, die aussichtslos in ihren Strukturen gefangen ist. Die systematische Unterdrückung der Frauen bildet dabei das unheilvolle Fundament. Weder Männer noch Frauen finden unter den geschilderten Bedingungen ihr Glück.

Alsamads Roman geht jedoch weit über die Darstellung einer kleinen marginalisierten Gruppe hinaus. Geschickt bettet sie ihr Erzählen in einen größeren Kontext ein:

Die Armut der ländlichen Bevölkerung zementiert die bestehenden Normen und verhindert den Fortschritt. Der Klimawandel, der den wirtschaftlichen Niedergang der Region noch verstärkt, nimmt den Menschen jede Chance zum realen sozialen Aufstieg. Die jungen Männer suchen ihr Glück im Ausland, wo sie entwerder als Arbeitskräfte ausgebeutet werden oder selbst aktiver Teil eines ausbeuterischen Systems werden, oder sie landen wie Nasser in der Armee, um in einem der zahlreichen militärischen Konflikte der Region verheizt zu werden.

Hayat und Nasser, die von einem selbstbestimmten Leben in der Stadt träumen, stehen exemplarisch für eine ganze Generation junger Menschen, die sich nach Veränderung sehnt. Das Aufbegehren des Einzelnen bleibt jedoch chancenlos. Gegen die äußeren Umstände ist nicht anzukommen.

Alsamad lässt keinen Zweifel daran, dass das größte Übel jedoch in der Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau liegt. Diese Trennung der Geschlechter besiegelt die Unfreiheit aller. Sie verhindert den Dialog und hemmt jedwedes Vorankommen.

Dabei sind die Frauen in Alsamads Roman mehr als nur „stumme“ Opfer. Die Autorin verleiht jeder einzelnen von ihnen eine kraftvolle Stimme. Hayat und ihre Geschlechtsgenossinnen sind eigenständige Persönlichkeiten, Frauen mit unabhängigem Geist, starkem Willen und enormer Widerstandskraft.

Alsamad lässt sie auch beim Tabu-Thema Sexualität zu Wort kommen. Die Frauen in ihrem Roman formulieren ihre sexuellen Wünsche völlig gleichberechtigt.

Nicht selten bilden die Frauen einen äußerst selbstbewußten Gegenpart zu den dargestellten Männern. Deren Lebensgeschichten verlaufen meist wenig gloreich. Die Unterdrückung der Frauen dient ihnen daher oft als Kompensation für die eigenen Unzulänglichkeiten.

Der Roman hallt intensiv nach, denn der metaphorische Durst der Protagonistin bleibt am Ende ungestillt. Und so können auch wir als Leserschaft nicht zufrieden sein. Die Ungerechtigkeit wird weiter fortgesetzt. Es gibt es kein Happy End.

Und doch – oder gerade dadurch – gelingt der Autorin etwas Wesentliches. Sie überwindet das Schweigen der zum Schweigen verurteilten. Ihre Stimme ist am Ende diejenige, die obsiegt. Diejenige, die über die männlichen Stimmen hinweg die Deutungshoheit erlangt.

Der Roman ist ein selbstbewusstes Statement dafür, dass Frauenrechte Menschenrechte sind. Und eindringlich mahnt er vor der Gefahr, die von aktuellen globalen Entwicklungen für genau jene Menschenrechte im Nahen Osten ausgeht.

Najat Abed Alsamad erhielt 2018 für ihren Roman den Katara-Preis für arabische Romane, einen arabischen Literaturpreis, der u.a. von der UNESCO gefördert wird.

  • Autorin: Najat Abed Alsamad
  • Titel: Kein Wasser stillt ihren Durst
  • Übersetzerin: Larissa Bender
  • Verlag: Edition Faust
  • Erschienen: November 2023
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 283 Seiten
  • ISBN: 978-3949774270


Wertung: 13/15 dpt


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