Shehan Karunatilaka – Die sieben Monde des Maali Almeida (Buch)


Mitreissender Mix aus Politthriller, Historienroman und Gothic Novel

Die sieben Monde des Maali Almeida © Rowohlt
“Maali Almeida, Fotograf, Spieler, Schlampe”

So stellt sich der Protagonist Maali selbst vor und die Beschreibung passt. Fotograf zu sein, war für Maali Beruf und Berufung. Er verdiente mit Kriegsfotos sein Geld und wollte zugleich die bittere Wahrheit über die Situation seines Landes Sri Lanka an das öffentliche Licht zerren. Glücksspiel, Roulette und Poker, war seine Leidenschaft. Für Maali war das Spiel ein Rechenexempel, das es zu verstehen und nutzen galt. Der Begriff Schlampe bezieht sich auf Maalis Gewohnheit, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit schönen Männern Sex zu haben. Schwul ist man in den frühen 90ern in Sri Lanka heimlich. Deshalb gaben Maali und Jaki vor, ein Paar zu sein, obwohl er ihren Cousin DD liebte und mit ihm zusammen war. Zu Dritt lebten in einer Wohngemeinschaft mitten in Colombo.

Wir schreiben das Jahr 1990. Maali ist verstorben und in der Zwischenwelt gestrandet. An seinen Tod kann er sich nicht erinnern, auch die Erinnerung an sein Leben muss er sich Stück für Stück erarbeiten. Dr. Ranee Sridharan, im Leben war sie Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin, nimmt Maali in Empfang. Sie möchte ihn zu einer Untersuchung seiner Ohren schicken, die das Wesentliche seiner Leben offenbaren soll, um ihn anschließend dem Licht und Vergessen zu übergeben. Sena Pathirana, ein ehemaliger Marxist, hat sich der Totengöttin Mahakali verpflichtet. Er versucht Maali für eine Gefolgschaft zu gewinnen und bietet Hilfe für die Aufklärung seines Todes an.

Zwei entscheidende Fragen

“Nicht das Böse sollten wir fürchten. Sondern Geschöpfe mit Macht, die im eigenen Interesse handeln – bei denen muss es uns kalt den Rücken runterlaufen. Wie sonst ist der Wahnsinn der Welt zu erklären?”

Sieben Monde, also sieben Tage und Nächte, bleiben Maali, um zwei entscheidende Fragen zu klären: Wer hat ihn ermordet? Wie kann er Jaki und DD dazu bringen, geheime und brisante Fotos aus 1983, dem Beginn des blutigen Bürgerkriegs in Sri Lanka, zu veröffentlichen?  Maalis Leiche wird gerade im See versenkt, als er mit Sena eine mysteriöse Reise durch das Zwielicht Colombos antritt. Sie treffen Geister, Ghoule und Dämonen und spüren Maalis gefährlichem und ausschweifendem Leben nach. Sowie dem schwierigen, historischen Erbe und dem grausigen Gemetzel in ihrer Heimat.

Mit dem Geist Maalis schweben wir an Plätze, die er zu Lebzeiten besuchte, oder an denen sein Name genannt wird. In gewisser Weise spiegelt sich die reale Welt in der Zwischenwelt. Denn die Dämonen stehen den Bestien in Menschengestalt an Arglist und Gemeinheit in Nichts nach. Es gibt sogar direkte Verbindungen zwischen Dämonen und Politikern. Weltenbau und Funktionsweise der Zwischenwelt muss Maali Almeida erforschen – und mit ihm die Lesenden. Mit der Zeit gibt man die Trennung zwischen Geisterwelt und Realität auf, was den Zugang zur Erzählung erleichtert. Der Erzähler und Protagonist nimmt Abstand zum Geschehen und spricht sich selbst in der zweiten Person an, eine ungewöhnliche Perspektivenwahl. Da Ort und Zeit spontan wechseln, hilft es bei der Orientierung, wenn Maali rückblickend ankündigt, wohin sich die Geschichte als Nächstes wendet.

Krieg und Spiel, Gewalt und Betrug, Lüge und Wahrheit, Sex und Liebe

Die Männer, die weder Polizisten noch Soldaten sind, beziehen an jeder Tür, an jedem Fenster Position. Ein alter Mann in Nationaltracht kommt herein. Könntest du ihn bespucken, bekotzen, ihm ins Maul scheißen, würdest du dafür ein Vermögen bezahlen oder den kläglichen Rest deiner Seele verkaufen. Es ist der Justizminister, seine Ehrlosigkeit Cyril Wijeratne, wackerer Recke der Regierung, zu dessen Leistungen die Korrumpierung der Judikative zählen, der Aufbau der Todesschwadronen und das Anheizen der Pogrome von 1983.

Der Plot orientiert sich zwar an Maalis Vorhaben, seinen eigenen Tod aufzuklären und die politischen Verhältnisse in Sri Lanka durch Veröffentlichung brisanter Fotos zu kippen. Was allerdings der Geschichte ihre besondere Note verleiht, sind Maalis scharfzüngige und vor Zynismus triefenden Gespräche mit ebenfalls in der Zwischenwelt hängengebliebenen Geistern. Und seine klarer werdenden Erinnerungen. Zunächst gleitet die Geschichte sprunghaft in verschiedene Phasen von Maalis Leben: seine Beziehung mit DD, den er liebte und stets mit anderen Männern betrogen hat. Seine Freundschaft zu Jaki, deren Liebe er nicht erwidern konnte, zu der er jedoch eine tiefe und wichtige Verbindung fühlte. Seine Zeit an den Spieltischen des Casinos im Hotel Leo, wo er Geld verlor und wichtige berufliche Aufträge gewann. Seine Reisen an die Kriegsfronten Sri Lankas, die ihn zu schlimmsten politisch motivierten Verbrechen und in tödliche Gefahren brachten.

Die Geschichte Maalis und Sri Lankas konfrontiert mit allen Facetten der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Krieges: Folter und Töten, gewissenloser Waffenhandel und politische Winkelzüge auf Kosten unschuldiger Leben. Daran beteiligt waren nicht nur die singhalesische Regierung und die Separatistenbewegung der Tamil Tigers. Sondern ebenso die sogenannten Friedenstruppen der Indian Peace Keeping Force, die marxistisch-leninistische Befreiungsfront JVP, sowie Kriegsgewinnler und Paramilitärs. Zwischen den Fronten suchte der Fotoreporter und Storyvermittler nach der Wahrheit. Nun eruiert er sie mit Hilfe von Geistern und Gottheiten aus den Mythologien des Hinduismus.

Was für eine Sprache!

Der Autor aus Sri Lanka Shehan Karunatilaka und Übersetzer Hannes Meyer erzählen Maalis Geschichte  mit einer direkten Wortwahl und plakativ blutigen Bildern. Trotzdem gelingt ihnen eine kunstvolle, klare Sprache, die sich eingängig liest. Der Aufbau der Geschichte wirkt zunächst chaotisch, fügt sich allerdings zu einem clever komponierten Gesamtbild. Zugleich sprühen die Dialoge vor schwarzem Humor, was dem Beschriebenem ein wenig die Schwere nimmt und eine Balance zwischen Schock und Spaß hält. Dazu gesellen sich religiös-mythologische und historische Hintergründe, über die viele Lesende aus Europa zu wenig wissen dürften.

Fazit

„Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist ein unbeschreiblich fesselnder, schonungsloser und zugleich höchst unterhaltsamer Roman, der eine Weile nachwirkt und zum Nachdenken und Recherchieren anregt. Shehan Karunatilaka erinnert an das traurige und grausame Schicksal Sri Lankas, ein Land das die meisten Menschen aus dem Westen heute als Urlaubsparadies kennen. Zugleich lässt er Kritik an einer patriarchischen und homophoben Gesellschaft einfließen. Mit Maali stellt Karunatilaka uns einen streitbaren und kantigen Protagonisten vor, der kein Sympathieträger sein möchte, dem man aber trotzdem gerne und gespannt durch sein Leben und seinen Übergang ins Jenseits folgt. Selten vergebe ich die höchste Punktzahl. Jedoch hat sich dieser faszinierende Mix aus Politthriller und Gothic die 15 Dioptrien wahrlich verdient. Ebenso wie den Booker-Preis, den wichtigsten Literaturpreis Groß-Britanniens im Jahr 2022.

Triggerwarnung: Gewalt, Krieg, Folter, Tod, Leichenschändung, Geister, Dämonen, Sex

  • Autor: Shehan Karunatilaka
  • Titel: Die sieben Monde des Maali Almeida
  • Übersetzer: Hannes Meyer
  • Verlag: Rowohlt Verlag
  • Erschienen: November 2023
  • Einband: Hardcover mit Lesebändchen
  • Seiten: 544
  • ISBN: 978-3-498-00369-2
  • Sonstige Informationen:
  • Produktseite beim Verlag

Wertung: 15/15 dpt


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