Kathrin Weßling – Sonnenhang (Buch)

Katharina ist 38 Jahre alt, finanziell mit ihrem freiberuflichen Job gut aufgestellt, lebt in Berlin, hat einen guten Freundeskreis und eigentlich nur geringfügig Grund zum Meckern. Aber irgendwie dann doch: „Sie trinkt zu viel und schläft zu schlecht, sie raucht ständig und isst den halben Tag nichts, um am Abend dann einen Eimer Kartoffelpüree mit Erbsen und einem Päckchen Fertig-Bratensoße vor einer Datingshow ihrer Wahl auf einem Privatsender ihrer Wahl in sich hineinzuschlingen, bis nicht nur das Herz, sondern auch der Körper endlich betäubt sind.“ Die Wohnung ist ihr zu klein und zu düster, Berlin ist zu groß und zu laut. Eher ziellos und mit aller Zeit der Welt treibt sie durchs Leben. Nichts, was nicht auch jeder in einer ähnlichen Form von sich selbst kennt. Bis eine Operation notwendig wird, bei der ihr die Gebärmutter entfernt wird – und damit die Kinderfrage endgültig geklärt ist. Waren Kinder und Familie bisher für Katharina eher noch etwas, was für die Zukunft schön und erstrebenswert sein könnte, beginnt die Erkenntnis der definitiven Kinderlosigkeit und des Endes dieses Lebenswegs nun in ihr zu arbeiten.

Zunächst wird gar nicht so richtig klar, was Katharina in ihrem Leben den nun wirklich haben und erreichen möchte. Schließlich stellt man fest: Das genau ist wahrscheinlich ihr Problem. Sie schielt fast permanent neidisch auf glückliche Influencerinnen auf Social Media-Kanälen, das Familienleben ihrer guten Freundin Johanna oder auf ihre charismatisch-schöne Freundin Alina, die sich vor kurzem mit ihrem Freund nach neun Jahren Beziehung verlobt hat. Für Leser:innen ist das oft anstrengend, denn über ganze Seiten hinweg schlängeln sich lange Aufzählungen, was beispielsweise alles Schlimme im Leben durch eine feste, funktionierende Beziehung entfallen würde – keine toxischen Dramen mehr, keine Diäten, um mit der Figur der Ex-Freundin mitzuhalten, kein Flehen um Dinge, die selbstverständlich sein sollten, keine rasierten Beine und kein Verständnis für den Freund bis zur Selbstaufgabe. So empathisch man auch mit Katharina mitfühlt, so häufig ist man auch des großen Selbstmitleids etwas überdrüssig. Und weil es ihr letztendlich auch so geht, entschließt sie sich, in der Altenresidenz Sonnenhang für die Senioren einen wöchentlichen Spielenachmittag zu übernehmen: „Ich mag alte Leute.“ Die Traurigkeit bleibt, aber der Kontakt mit den durch die Bank skurrilen Senioren wie Manni und Margot gibt Katharina dann doch das Gefühl der Zugehörigkeit, der Wärme und der Aufmerksamkeit.

Es gibt tausend gute Gründe, das eigene Leben zu ändern, aber keiner davon sollte sein, dass der eigene Körper versagt.

Bei Autorin Kathrin Weßling, die bereits mehrere Bücher mit jüngeren Protagonist:innen zu Themen wie Liebeskummer oder Depression geschrieben hat, altern die Protagonistinnen mit ihr gemeinsam – sowohl Kathrin Weßling sowie Katharina Webeling (ja, die Namen sind tatsächlich so ähnlich) sind beide Ende 30, leben in Berlin, spielen liebend gerne Kniffel und – wenn man dem Instagram-Account der Autorin folgt – schwanken gerne zwischen großen Selbstzweifeln und guter Laune. „Sonnenhang“ und seine Protagonistin – und auch hier liegt eine geistige Verwandtschaft zur Autorin nahe – kommen direkt, unverblümt und auch etwas rotzig rüber. In einem Interview hat Kathrin Weßling gesagt, dass sie bewusst verständlich und direkt schreibt, ihre Bücher sollen für alle zugänglich sein.

Das alles macht „Sonnenhang“ gut und schnell zu lesen. Die belastenden Gedanken, die sich Katharina nach ihrer OP macht, sind nachvollziehbar – wird sie so jemals von einem Mann geliebt werden, wie viel Frau ist sie noch und wie wird sie in ihrem Leben einen Sinn finden? Dennoch fehlt oftmals die Tiefe, wenn es um etwas anderes als das etwas chaotische Innenleben der Protagonistin geht. Die Szenen, die am stärksten im Gedächtnis bleiben, sind der überdrehte Besuch einer Alpaka-Herde auf dem Fest der Seniorenresidenz und die schräge Margot, die sich regelmäßig Eierlikör zu Gemüte führt und am liebsten sterben will. Die Senioren und Seniorinnen haben aber alle keine eigenen Geschichten, sondern sind vielmehr die Stichwortgeber. Ebenso ergeht es Pfleger Umut, Ziel einer aufflammenden Schwärmerei von Katharina: Er ist nett, freundlich zu allen, gut in seinem Beruf und verheiratet. Mehr erfährt man nicht. Dass ein eigenes Kind ein großer Lebenstraum ist, kommt als Motiv etwas schwach daher – Kind schon irgendwie, aber Babykotze wegwischen oder Windeln wechseln, nein Danke!

Fazit:

„Sonnenhang“ von Kathrin Weßling ist ein Buch, dass eine authentische Protagonistin und das ernstzunehmende Problem von ungewollter Kinderlosigkeit in den Mittelpunkt stellt. Die gewollt lustigen und skurrilen Szenen geben dem Ganzen allerdings mehr Comedy-Charakter als notwendig. Frauen Ende 30, die sich gerade mit dem Kinderwunsch oder der Kinderlosigkeit beschäftigen, werden in „Sonnenhang“ aber durchaus Identifikationspotenzial finden, für andere gibt es aber oftmals zu wenig Tiefe in Handlung und Charakteren.

Wertung: 11/15 dpt

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2 Kommentare
  1. Spannend, dass Sie zu so einer doch relativ guten Bewertung gekommen sind. Ich habe mich durch dieses Buch gequält. Die Protagonistin war mir derart unsympathisch und die ständigen Zeitsprünge sind mir ziemlich auf die Nerven gegangen. Besonders das gezeigte Bild des Seniorenheims bzw. betreuten Wohnens ist mir sauer aufgestoßen: So ist die Realität einfach nicht! Hier wird ein Bild vom Altern in Institutionen vermittelt, dass in meinen Augen zwar in der Vorstellung gegeben ist, für den Großteil der Alten aber eben nicht lebbar sein wird. Schade!

    1. Hallo leserleicht, die Protagonistin war auch nicht mein Fall – aber wenn ich ein Buch bespreche, versuche ich auch gleichzeitig immer zu vermitteln, für wen das Buch etwas sein könnte. Ich denke, bei „Sonnenhang“ habe ich einfach nicht zum Zielpublikum gepasst. Frauen, die sich aber mit Ende 30 mit der Familien- und Kinderfrage beschäftigen, werden „Sonnenhang“ vielleicht viel wohlwollender lesen und sich darin wiederfinden. Und Sie haben Recht: In den Seniorenheimen ist es meistens nicht so schön wie in „Sonnenhang“. Aber hier hat die Autorin ganz geschickt eine teure und schicke Seniorenresidenz gewählt, in der die Situation und Betreuung ganz gut sind. Sonst hätte sie neben der Kinderwunschfrage auch noch die Pflegesituation thematisieren müssen – und das hätte den Rahmen dieses Romans ganz sicher gesprengt. Ich hätte einen Buchtipp für Sie mit sehr viel Tiefgang und Realität: „Kontur eines Lebens“ von Jaap Robben. Vielleicht haben Sie Lust, sich diesen Roman mal anzusehen?

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