Sabine Lehmbeck – Benefiz (Roman)

Es gibt da diesen alten Film-Klassiker aus dem Jahr 1939, der „Die Frauen“ (Originaltitel: „The Women“) heißt und in dem alle Rollen ausschließlich durch Frauen besetzt sind. Das war damals in Hollywood ein Novum und wenn man der Statistik glauben darf, dann ist es auch heute noch eher selten einen solchen ganz von Frauen dominierten Film zu finden.

Abgesehen davon, dass die im Film gezeigte Upper Class-Lebenswirklichkeit nur wenig mit den realen Lebensbedingungen der meisten Frauen von 1939 zu tun gehabt haben dürfte, galt es dennoch als „revolutionär“ sich ausschließlich auf weibliche Biografien einzulassen.

Dieser Grundidee liegt auch der Roman „Benefiz“ von Sabine Lehmbeck zugrunde. Acht Frauen sind die inhaltlichen Fixpunkte der um eine Benefiz-Veranstaltung gebauten Handlung.

Ein Musik-Festival wird geplant, um Spenden für die Frau-Leben-Freiheit-Bewegung (Jin, Jiyan, Azadî ) zu generieren. Ideengeberin ist die Iranerin Sima, deren Enkelin Karla ebenfalls porträtiert werden.

Hinzu kommt mit Hanne, Simas ehemaliger Arbeitgeberin, eine zweite Familie hinzu. Die alte Dame blickt auf eine schwierige Ehe, aus der drei Töchter Fritzi, Bea und Eva hervorgegangen sind. Auch diese spielen eine Rolle im Roman, ebenso wie Evas Tochter Jette und Evas Lebensgefährtin Linda.

Mit Hilfe dieser Besetzungsliste kontrastiert Lehmbeck verschiedene soziale Milieus und Generationen.

Die Lebenswege ihrer Frauenfiguren sind untereinander vernetzt. Klar, das Ganze ist ein Konstrukt, um eine möglichst große Vielfalt abzubilden, die Frauenleben nun einmal ausmachen. Aber dieses Konstrukt trägt die vorgestellten Porträts sehr gut.

Lehmbeck setzt jede einzelne ihrer Protagonistinnen authentisch in Szene. Egal, ob sie die wohlhabende Hanne zeigt oder die bei ihr putzende und kochende Sima, die am anderen Ende der Wohlstandsskala steht, Lehmbeck wird den Problemen aller Figuren gerecht. Und das ist ein richtig großer Verdienst dieses Romans: Nichts und niemand wird hier gegeneinander ausgespielt. Die Nöte der in ihrer traditionellen Rolle gefangenen Seniorin mit dem verpassten Leben sind ebenso ernst zu nehmen wie die Sorgen von Eva, die nach Drogenexzessen als Eventmanagerin wieder Fuß fassen will und um die Zuneigung ihrer Tochter Jette kämpft, die sie einst verlassen hat.

Lehmbeck nutzt die Vielfalt ihrer Figuren, um eine möglichst breite Themenpalette aufzubereiten. Es geht u.a. um familiäre Konflikte, Altersarmut, Frauenrechte, Queerness, Migration und Integration, Rassismus sowie um sexuelle Belästigung, Selbstbestimmung und Sucht. Aktuelle Ereignisse finden ebenfalls ihren Niederschlag im Text, so dass sich die Handlung auch zeitlich immer klar verorten lässt.

Wem das zu viel Stoff für einen Roman ist, dem sei erwidert, dass es ja genau darum geht: Die große Vielfalt weiblicher Lebensrealitäten abzubilden und die gesellschaftliche Komplexität verschiedener Probleme deutlich zu machen.

Lehmbeck bietet viel Identifikationspotential durch die von ihren Figuren repräsentierten Themen. Und sie zeigt etwas ganz Wundervolles auf: Die Macht der Solidarität. Die Beziehungen untereinander werden im Laufe der Handlung enger und freundschaftlicher. Die Autorin macht eine mögliche Entwicklung sichtbar, die sich durchaus als Lösung für zahlreiche Probleme eignet. So transportiert der Roman neben kurzweiliger Unterhaltung vor allem eine wichtige Botschaft.

Die einzelnen Kapitel sind nach den jeweiligen Frauen benannt, so dass im Inhaltsverzeichnis dabei eine Art Übersichtsregister entsteht, das einem hilft, trotz ständiger Perspektivwechsel, die Personen nicht durcheinander zu bringen. Allerdings ist das eigentlich gar nicht nötig. Man findet sich als Leser:in immer gut zurecht. Denn Lehmbecks Erzählweise ist sehr klar und aufgeräumt. Die Autorin verliert sich nicht in Nebensächlichkeiten und kommt schnell auf den Punkt. Das verleiht dem Text einen angenehmen Sog. Die Wechsel von einer Protagonistin zur nächsten führt dazu, dass ein und dasselbe Ereignis mehrmals dargestellt wird –  ein Perspektivwechsel, der zusätzlich für Spannung sorgt. 

Einzig mit den Dialogen war ich nicht immer glücklich. Die unterschiedlichen Figuren ließen sich (für mich) durch die Worte, die ihnen in den Mund gelegt wurden, nicht wirklich spüren. Da hätte ich mir mehr Originalität, mehr Unterscheidbarkeit der einzelnen Figuren voneinander gewünscht.

Im Ganzen ist „Benefiz“ eine sehr ansprechende, abwechslungsreiche Lektüre, die gesellschaftlich relevante Themen unterhaltsam inszeniert. Leseempfehlung!

  • Autorin: Sabine Lehmbeck
  • Titel: Benefiz
  • Verlag: Ultraviolett Verlag
  • Erschienen: September 2024
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 244 Seiten
  • ISBN: 978-3968870298

Wertung: 12/15 dpt

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