Ein antifaschistischer Fantasy-Roman
„Anarchie Déco 1930“ von Judith und Christian Vogt setzt den 2021 erschienenen Roman „Anarchie Déco“ fort und ist zugleich das Finale Dilogie. Den Roman haben die Vögte selbst herausgebracht, für Lektorat, Korrektorat und Grafik-Design Künstlerinnen aus ihrem Netzwerk gewonnen und über das Crowdfunding Kickstarter finanziert.
Im Prolog erleben wir, wie Nike Wehner ihre Doktorarbeit zum Thema „Magische Phänomene in der Physik“ verteidigt. Denn diese Phänomene hat Nike entdeckt, erforscht und nutzbar gemacht. Eine Symbiose aus Kunst und Physik macht Zauberei möglich. Gemeinsam mit dem Prager Künstler Sandor Ćerny erweckte sie Kunst zum Leben. „Anarchie Déco“ erzählt, wie auch das Verbrechen die Magie entdeckt und Nike als Beratende in den Dienst der Polizei eintritt, um Magie-Verbrechen zu bekämpfen. Und natürlich lassen sich die aufkommenden Nationalsozialisten die Chance nicht entgehen, mit magischen Mitteln Macht zu erringen.
Alternativhistorie mit Magie und Fingerzeig auf gesellschaftliche Bedrohungen – damals und heute
1930 gehört Nike immer noch zum Magischen Sonderkommando der Berliner Kriminalpolizei. Ihr gelingt die Konstruktion eines Magie-Detektors: Kartoffelschnitzerei verbunden mit Glühdrähten, die je nach Art der Magie in verschiedenen Farben leuchten. Doch die einst konstruktive Arbeitsatmosphäre im MSK veränderte sich, nachdem Hauptkommissar Fuchs Nikes ehemaligen Chef, Christoph Seidel, versuchte umzubringen. Nun kommt ein neuer Kollege zur MSK, Herr von Bülow. Der hat zwar keinerlei Erfahrung mit Magie, übernimmt dennoch selbstbewusst einen heiklen Fall. Nike begleitet ihn zum Tatort eines magischen Verbrechens in einer Villa im Grunewald. Dort fand eine Séance statt, bei der die Zeit manipuliert wurde. Dieser Fall ist nicht nur aufgrund der Neuartigkeit der Magie brisant für Nike. Sie muss zudem ihre Partnerin Georgette decken, die an dem Experiment teilnahm.
Vor allem der zunehmende Einfluss der Nationalsozialisten erschwert Nike die Arbeit. Als Tochter einer Ägypterin schützt sie allein die Position als magiebegabte Physikerin und Beraterin der Polizei vor schlimmeren Repressalien, als sie bereits ertragen muss. Mithilfe ihrer Kollegin Erika und den tschechischen Freunden Sandor und Jiří erforscht sie, welche Art von Magie die Nationalsozialisten praktizieren. Das Ergebnis fällt weit schlimmer aus, als erwartet. Denn die Täter mit arischen Allmachtsfantasien sitzen auch an den Schreibtischen der Roten Burg.
Zusammenhalt gibt Hoffnung
„Anarchie Déco 1930“ erzählt nicht nur von magischen Verbrechen, die Räuber durch Wände gehen lassen. Es geht vor allem um eine systematische und allgegenwärtige Magie, die den Nationalsozialisten zur Macht verhilft. Politisch stellen sich Kommunisten und Anarchisten gegen die Nazis. Die Roten verpönen die Magie als Machtinstrument der Bourgeoisie, die Schwarzen Scharen nutzen sie, um sich gegen die SA zu wehren. Statt gemeinsam vorzugehen, bekämpfen sich politisch linke Gruppen auch noch gegenseitig.
Wenigstens in der queeren Szene hält man im Berlin der 1930er Jahre zusammen. Gerade weil sich der politische und gesellschaftliche Wandel gegen Diversität in Bezug auf Gender-Identität und Partnerschaft richtet. Konfliktfrei ist die Liebe zwischen der nicht binären Nike und trans Frau Georgette nicht. Allerdings geprägt von Respekt, Empathie und dem Mut, für ihre Liebe zu kämpfen und sich selbst treu zu bleiben. Ähnlich interessant ist die besondere Verbindung der tschechischen Künstler und Anarchisten Sandor und Jiří, ein anschauliches Beispiel einer innigen Verbundenheit ohne Festlegung.
Fazit
Die Fortsetzung hält an einem der faszinierendsten Merkmale des Auftakts fest: einem aus Physik und Kunst entwickelten Magiesystem. Es macht einfach Spaß zu lesen, wie aus dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik und gemeinschaftlich erschaffener Aktionskunst eine besonders wirksame und imposante Magie entsteht. Die Anarchie wird noch eindrücklicher beschrieben als im ersten Band. Zumal neben Nike auch Sandor als Erzähler auftritt. Hier hätte ich mir vielleicht sogar noch tiefere Einblicke gewünscht, wie sich Anarchisten und Kommunisten voneinander abgrenzen. Nicht zuletzt bietet der Roman wieder einen spannenden Krimi-Plot mit vielen historischen Bezügen zu Entwicklungen und Persönlichkeiten dieser Zeit.
Der Roman unterhält und hinterfragt genial im Sinne von „Was wäre gewesen, wenn“. Trotz – oder vielmehr mit Hilfe – phantastischer Elemente und Bilder zeigt er Parallelen zwischen damals und heute auf. Was hätten die Nazis 1930 mit der Macht durch digitale Medien erreicht? Und welches Maß an Manipulation droht uns heute durch modernste Technologien wie KI von Konzernen wie Meta und Google, wenn sie von Autokraten vereinnahmt und missbraucht werden?
Die „Anarchie Déco“ Dilogie ist im besten Sinne moderne und progressive Fantasy. Die Romane vereinen ideenreiche Phantastik, politische Hintergründe der späten Weimarer Republik und queeres Leben zu einer faszinierenden Geschichte, die im Licht der Gegenwart eine Weile nachhallt.
- Autor:in: J.C. Vogt
- Titel: Anarchie Déco 1930
- Teil/Band der Reihe: Band 2 von 2 der Anarchie Déco Dilogie
- Verlag: J.C. Vogt selfpublishing, tredition
- Erschienen: 03/2025
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 400
- ISBN: 978-3-384-42737-3
- Sonstige Informationen:
- Produktseite „Die Vögte“
- Erwerbsmöglichkeiten bei Lehmanns media

Wertung: 14/15 dpt







