Jean-Christophe Grangé – Purpurne Rache (Buch)


Jean Christoph Grangé - Purpurne Rache (Cover © Bastei Lübbe)Ob Grangé, Minier oder Thilliez – französische Thriller-Autoren sind in der Regel Garanten für hochspannende Lesestunden. Ihre Bücher sind meist packend, hervorragend recherchiert und erweitern den Horizont der Leser mit einer Vielzahl an Hintergrundinformationen zu den verschiedensten Themen. Die Erwartungen an ein neues Werk liegen da natürlich entsprechend hoch. Kann Jean-Christophe Grangé sie mit „Purpurne Rache“ einmal mehr erfüllen?

Auch wenn man es auf den ersten Blick vermuten könnte, mit „Die purpurnen Flüsse“ hat dieser Thriller nichts zu tun. Generell ist der Titel etwas unglücklich gewählt – besser, weil deutlich aussagekräftiger, wäre es gewesen, einfach den Originaltitel, „Lontano“, beizubehalten.

Worum geht es? Zwischen Afrika und Frankreich steht eine einflussreiche französische Familie, die Morvans, im Mittelpunkt der Erzählung. Der Clan rund um den mächtigen Patriarchen Grégoire ist bestimmt von dunklen Geheimnissen und fragwürdigen Lebenswandeln. Das Familienoberhaupt – heute ein hohes Tier im Innenministerium – konnte in den 70er-Jahren einen Serienmörder in Afrika dingfest machen. Der „Nagelmann“ ermordete einem afrikanischen Ritual folgend neun Menschen auf bestialische Weise. Morvan, damals Polizist und mit lukrativen Geschäften im Kongo befasst, beendete die Mordserie und erreichte damit Rang und Namen.

Viele Jahre später: In einer französischen Militärschule wird die Leiche eines Schülers gefunden. Morvan schickt seinen Sohn Erwan, ebenfalls Polizist, los, um den Fall zu klären. Dabei stößt der Ermittler auf etwas höchst Beunruhigendes – der Modus Operandi gleicht dem des Nagelmannes auf erschreckende Weise. Während der Fall damals im Kongo hohe Wellen schlug, blieb er in Europa nahezu unbekannt. Erwan ist sich daher sicher, dass es sich bei dem neuerlichen Mord um keinen Zufall handeln kann. Weitere Morde geschehen und alles deutet darauf hin, dass die Familie Morvan im Fokus des Killers steht. Was ist in der Vergangenheit geschehen, das dem Clan noch über vierzig Jahre später schaden kann? Erwan setzt alles daran, genau das herauszufinden, und taucht dabei in eine bizarre Welt voller Mystik, Tradition und Fanatismus ein.

In großen Teilen wird die Geschichte aus Erwans Sicht erzählt. Aber auch Grégoire, seine Tochter Gaëlle und sein zweiter Sohn Loïc stehen in einigen Kapiteln im Zentrum. Auf diese Weise erhält der Leser ein vollumfängliches Bild der Handlung, während den einzelnen Akteuren stets wichtige Informationen verschlossen bleiben. Vor diesem Hintergrund werden zudem verschiedene Handlungsstränge aufgebaut, die Grangé nur sehr gemächlich miteinander verwebt. Dabei verliert er sich immer ein wenig in Episoden aus dem kaputten Familienalltag der Morvans. Das gestörte Verhältnis der Familienmitglieder zueinander und ihre jeweiligen maroden Existenzen nehmen übermäßig viel Raum in „Purpurne Rache“ ein. Das hemmt den Lesefluss ein wenig und lenkt zu häufig vom eigentlichen Plot, den Mordfällen, ab. Zugleich sorgt dieses Vorgehen aber für eine überaus differenzierte Charakterzeichnung, die jedem der Beteiligten eine gewisse Tiefe verleiht. Wir erfahren viel über Beweggründe, das Innenleben der einzelnen Personen und erleben hautnah ihre verschiedenen Entwicklungen mit.

Gaëlle prostituiert sich, um ihr Ziel, Schauspielerin zu werden, zu erreichen. Loïc ist ein Junkie, wie er im Buche steht, und führt einen erbitterten Rosenkrieg mit seiner betörenden Noch-Frau. Erwan ist ein einsamer, zu Gewalt neigender Wolf, der sich in seiner Arbeit vergräbt. Und Grégoire zeigt sich als machtgieriger Geheimniskrämer, der seine Frau verprügelt. Und doch halten sie alle zusammen, wenn es hart auf hart kommt.

Wie erwähnt, gerät der Mordfall über die familiären Ereignisse immer mal wieder aus dem Fokus. Leider, denn hier steckt viel Potenzial. Grangé stellt afrikanische Rituale in den Vordergrund und gibt einen faszinierenden Einblick in eine fremde Kultur. Aufgrund der großen Affinität seines Vaters zu Afrika, ist auch Erwan kein Laie auf diesem Gebiet. Es verschafft ihm durchaus einen Vorteil, zumindest eine vage Ahnung vom kongolesischen Glauben zu haben, beschleunigt seine Ermittlungen aber zunächst nicht. Diese laufen gleich mehrere Male ins Leere und verleihen der Geschichte somit Realitätsnähe. Erwan ist kein Superheld mit nahezu hellseherischem Gespür, sondern ein normaler Mensch – zwar mit hervorragenden analytischen Fähigkeiten gesegnet, aber eben auch fehlbar. Er trifft falsche Entscheidungen, vergisst die Weiterverfolgung wichtiger Indizien und stößt an Grenzen. Auch wenn Erwan, der wiederholt die Fäuste sprechen lässt, nicht gerade als sympathischer Zeitgenosse bezeichnet werden kann, so ist er doch menschlich und überzeugend dargestellt. Seine Schlüsse und Gedanken decken sich häufig mit denen des Lesers, der auf diese Weise gemeinsam mit Erwan ermittelt. Obwohl dem Leser durch die unterschiedlichen Sichtweisen mehr Informationen als dem Polizisten zur Verfügung stehen, sind diese so wohldosiert, dass es dennoch nicht möglich ist, den Fall vor ihm zu lösen.

Die Handlung entwickelt sich in viele unterschiedliche Richtungen und ist von sehr komplexer Natur, was ein schnelles „Weglesen“ des Buches unmöglich macht. Konzentration ist gefragt, der Leser muss Mitdenken. Eine weitere Spezialität der französischen Autoren – sie kauen uns nicht alles vor, lassen manches ungesagt und regen uns zum Weiterspinnen an. Auch die Themenvielfalt, angefangen von Mutproben in Militärschulen über absurde Todesfälle der Geschichte und dem Marfan-Syndrom (eine Bindegewebserkrankung) bis hin zu bizarren Fetischen und Teilen der afrikanischen Kultur ist geradezu prädestiniert für eine weiterführende Lektüre zu den einzelnen Gebieten.

Die angeschnittenen Themen, die ausschweifenden Ermittlungen und die familiären Irrungen und Wirrungen, inklusive undurchsichtiger Aktiengeschäfte, machen das Buch zu einem 767 Seiten starken Wälzer. Etwas weniger wäre hier mehr gewesen und hätte der Geschichte die leider immer wieder auftretenden Längen genommen. Hat der Leser aber den etwas sperrigen Anfang hinter sich gebracht und sich durch die Familiengeschichte „gekämpft“, erwartet ihn ein äußerst interessanter Mordfall mit gut durchdachten, nachvollziehbaren Ermittlungen. Die erste Auflösung ist gelinde gesagt ungewöhnlich und absolut unvorhersehbar. Ihr folgt ein etwas überzogener, actiongeladener Showdown und schließlich eine finale Wendung, die ihrerseits überrascht. Ja, es dauert, bis wir endlich erfahren, was es mit der Mordserie auf sich hat. Aber das Warten lohnt sich. Wer nun denkt, dass das Buch damit sein Ende gefunden hat, irrt. Denn zwischen Vater und Sohn entspinnt sich auf den letzten Seiten ein Dialog, der offen endet. In Frankreich ist der zweite Teil bereits unter dem Titel “Kongo Requiem” erschienen, wann er ins Deutsche übersetzt wird, ist noch unklar.

Sprachlich ist „Purpurne Rache“ gewohnt ausgefeilt und auf den Punkt, Grangé weiß zweifelsohne mit Worten umzugehen. Gewalttaten beschreibt der Autor ebenso anschaulich wie Landschaftseindrücke, für Schönes und Schreckliches findet er gleichermaßen treffende, bildhafte Worte. Zartbesaitete werden stellenweise sicherlich an ihre Grenzen getrieben, denn die Beschreibungen der grotesken Taten des Mörders sind recht detailliert dargestellt. Die Atmosphäre des Thrillers ist durchweg düster und bedrückend – auch dies versteht Grangé mit seinem Stil überzeugend zu transportieren. Die Übersetzung steht alldem in nichts nach und ist einwandfrei gelungen.

Fazit: „Purpurne Rache“ ist ein typischer Grangé voller ungewöhnlicher Themengebiete, Sprachgewalt und Überraschungen. Dem Leser werden Geduld und Konzentration abverlangt, die aber mit einem bis zum Schluss spannenden Mordfall belohnt werden. Die Familiengeschichte nimmt insgesamt zu viel Raum ein, lässt aber die Vermutung zu, dass der zweite Teil weitere Geheimnisse rund um die Morvans lüftet und der langwierigen Einführung des Clans damit eine sinnige Rechtfertigung gibt. Wer des Französischen mächtig ist, kann schon herausfinden, ob dies tatsächlich so ist, alle anderen müssen auf die Übersetzung warten.

Cover © Bastei Lübbe

  • Autor: Jean-Christophe Grangé
  • Titel: Purpurne Rache
  • Originaltitel: Lontano
  • Übersetzer: Ulrike Werner-Richter
  • Verlag: Bastei Lübbe
  • Erschienen: 11/2016
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 764
  • ISBN: 978-3-431-03964-1
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 10/15 französische Rächer


3 Kommentare
  1. Naja- ich besitze die meisten Bücher von Grange. Seine Sprache würde ich eher als gekünstelt blumig bezeichnen. Die Geschichten sind gut. Die Sprache? Geht so…!

  2. Wenn ich mal was für mich richtig gutes lesen möchte, dann greif ich immer wieder gern zu Grangé! Den Titel habe ich auch schon auf meiner Wunschliste. Mal sehen, ob ich da im Urlaub Zeit für finde!

    1. Hallo Sabine,

      ja, Grangé ist einfach klasse, damit macht man nie was verkehrt. Ich drücke die Daumen, dass du in deinem Urlaub zum Lesen kommst. 🙂

      Viele Grüße
      Jasmina

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