Jonas Brand sitzt mit Pendlern im Bordrestaurant, als plötzlich die Notbremse gezogen wird. Mitten im Tunnel kommt der Intercity zum Stehen. Als freiberuflicher Videojournalist hat Brand die Kamera stets dabei. Obwohl er eigentlich keine Story wittert, ist die “Dienstwaffe” schnell geschultert. Er fängt die Stimmung unter den Mitreisenden ein, geht der Ursache für den ungeplanten Stopp nach und kann im Gleisbett sogar einen unscharfen Blick genau darauf erhaschen – Personenschaden. Die nüchterne Bezeichnung für einen Selbstmord mit Beteiligung einer Bahn.
Für einen TV-Beitrag ist das Material viel zu dünn. Brand verbannt es deshalb ins Archiv – noch nicht ahnend, wie brisant es in Wirklichkeit ist. Denn Brand träumt ohnehin davon, endlich einmal einen “richtigen” Film nach eigenem Drehbuch zu machen. Einen modernen Film über die menschlichen Abgründe im Börsengeschäft – über Habgier, Verrat und Rache. In die heutige Welt frei übersetzt nach dem historischen Roman “Der Graf von Monte Christo “.
Doch als zweitklassiger Filmemacher fehlen ihm dafür die richtigen Kontakte – und die Courage. Denn nach einigen Absagen glaubt er selbst nicht mehr an seine Fähigkeiten. Da spielt ihm der Zufall in die Hände. In seiner Brieftasche landen zwei Hundertfrankenscheine mit der identischen Seriennummer. Beide echt. Was ja nicht sein kann! Er beginnt eine Recherche in der Schweizer Finanzwelt.
Ist es Zufall, dass ihm gerade jetzt ein Angebot unterbreitet wird, seinen längst abgelehnten Film doch noch zu realisieren? Brand überlegt nicht lange… Der Leser aber umso mehr! Denn nur wenige Zeilen sind nötig, schon ist man mitten drin in diesem Plot. Auf gewohnt geniale Weise gelingt es Martin Suter, sein Publikum in die Geschichte zu ziehen. Und was dem Protagonisten noch lange nicht klar ist, dämmert dem Leser bereits auf den ersten Seiten. Der Schweizer Autor muss nur wenig beschreiben, um Stimmung zu erzeugen, in Sicherheit zu wiegen, Zweifel zu säen – und seiner Story ein paar ungewohnte Wendungen zu geben. Im Gegensatz zu Suters zum Teilrecht betulichen “Allmen”-Büchern, die ja durchaus die Bezeichnung Krimi verdienen, entwickelt sich dieses Buch regelrecht zum Thriller.
Wie viele Personen auch an der Roman-Handlung beteiligt sind, Suter versteht es wie kaum ein anderer, sie mit markanten Merkmalen auszustatten, damit sie in späteren Szenen – ohne große Worte – eindeutig wiedererkannt werden. Auch wenn sich Suter als Liebhaber der gehobenen Küche in “Montecristo” mit der Beschreibung edler Speisen und Getränken diesmal verdächtig zurückhält, so erfährt der Leser zum Ausgleich doch zumindest, wie man ein anständiges Curry kocht. Wie so oft verspricht also auch Martin Suters jüngstes Werk ein rundum köstliches Leservergnügen.
P.S: Der auch als E-Book und Hörbuch (gelesen von Wanja Mues) erhältliche Band hielt am 05.03.15 laut Diogenes “auch in der zweiten Woche seit Erscheinen “Bestseller-Platz 1 in Deutschland, Österreich, Schweiz“.
Diese Gastrezension wurde geschrieben von Bettina Reckter.
Cover © Diogenes Verlag
- Autor: Martin Suter
- Titel: Montecristo
- Verlag: Diogenes
- Erschienen: 25.02.2015
- Einband: Hardcover
- Seiten: 320
- ISBN: 978-3-257-06920-4
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Wertung: 13/15 dpt
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