Marina Heib – Die Stille vor dem Sturm (Buch)

Temporeicher Nervenkitzel

Sören, Henning und Tim Wendelstein sollen für ihren Vater Armin, ein millionenschwerer Werftbesitzer, eine neue Luxussegelyacht vom Typ Swan 70 von Las Palmas auf die Caymans überführen, um dort anschließend gemeinsam dessen 65. Geburtstag zu feiern. Henning nimmt seine Freundin Marie und deren Freundin Nadine mit, Tim seine neue Freundin Britt und zudem nehmen noch als erfahrener Skipper Mike und dessen Partnerin Julia teil. So zumindest der Plan, denn es kommt anders. Auf Las Palmas erhält Sören eine Nachricht von Tim, dass dieser die große Gelegenheit hätte, eine bekannte Musikgruppe auf deren Europatournee zu begleiten und darüber einen Film zu drehen. Auf den Caymans würde er später zu ihnen stoßen. Da sich Britt extra freigenommen hat und niemand Bedenken hat, nimmt sie an der Reise trotzdem teil.

Die drei Männer und vier Frauen starten vergnügt in See, genießen Wetter und Luxus sowie das attraktive Aussehen der Anderen. Am dritten Tag kommt es zu einem ernsten Zwischenfall, denn sie werden auf ein sinkendes Boot aufmerksam, von dem sie den muskulösen und stark tätowierten Sven vor dem Ertrinken retten. Tags darauf wird eine der Frauen mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden und der unbekannte Sven von allen verdächtigt. Nur einen Tag später kommt es zu einem weiteren Todesfall, der sich ebenfalls als Mord herausstellt, nur, dass Sven zum fraglichen Zeitpunkt gefesselt in seiner Kabine saß.

„Auf Henning ist noch nie Verlass gewesen, Tim hat keinen Schimmer von irgendwas. Sie sind ohne dich verloren. Und die Yacht dann auch.“

„Schön, dass du dir solche Sorgen um die Yacht machst.“

Währenddessen kämpft Tim um sein Leben, denn er ist in einer alten Schute eingesperrt, nachdem ihm zuvor sein Ringfinger nebst Siegelring entfernt wurde. Armin Wendelstein dämmert bald, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, denn die Musikgruppe hat von Tim noch nie gehört. Er schaltet einen Privatdetektiv ein, der vermutet, dass es zwischen Tims Verschwinden und der Yacht einen Zusammenhang geben muss, denn diese ist nicht mehr per Funk erreichbar.

Locked-Room Mystery in moderner Ausführung

Man stelle sich die Situation vor. Acht Menschen auf einem Segelboot auf dem Atlantik, die nächste Insel weit entfernt und plötzlich kommt es zu einem Mord. Gleichzeitig stellt sich heraus, dass die gesamte Bordelektronik nicht mehr funktioniert, da diese sabotiert wurde. Schnell wird den sieben übrigen Leuten klar, dass einer von ihnen der Mörder respektive die Mörderin sein muss und eine Kontaktaufnahme zur Außenwelt nicht möglich ist. Willkommen in der Welt der Locked-Room Mystery.

„Wir stehen hier vor einer Toten! Der zweiten in zwei Tagen übrigens, falls ihr dieses kleine Detail übersehen haben solltet.“

Nun ist die Idee, dass Menschen in einem „Raum“ von der Außenwelt abgeschlossen sind, keineswegs neu, sondern fast so alt die der Kriminalroman an sich. Der wohl bekannteste Fall dürfte „Der Mord im Orient-Express“ von Agatha Christie sein, doch zu den Meistern des Genres zählt vor allem John Dickson Carr (1906-1977). Man möchte also meinen, dass das Thema wenig Spielraum für Neues bietet, doch weit gefehlt, wie unlängst Will Dean mit „Die Kammer“ bewies, deren Handlung ebenfalls auf dem Meer spielt.

„Es scheint logisch und einfach, unseren Schiffbrüchigen dafür verantwortlich zu machen. Aber ist es auch die Wahrheit?“

Marina Heib liefert mit „Die Stille vor dem Sturm“, erstmals im Mai 2019 bei Pendragon erschienen und jetzt in dritter Auflage neu aufgelegt, einen durchweg soliden Plot. Es geht um die Frage, wer der Mörder ist, aber – genretypisch – nicht nur. Wer wird als nächstes sterben und überhaupt, wo ist das Motiv zu finden? Auf dem Boot geht es schnell hoch her. Nach anfänglicher Partystimmung und der Zurschaustellung des eigenen Traumkörpers, dreht sich die Stimmung. Der Mörder ist an Bord, ein Entkommen unmöglich, da bleiben Misstrauen, Angst und Paranoia nicht aus. Es geht nicht nur sprachlich mitunter vulgär zu, was nicht nur der Extremsituation geschuldet ist.

Rund hundert Seiten vor Schluss lichtet sich langsam der Nebel und es kommt zum packenden Finale, wo weitere Überraschungen warten. Die Geschichte wird in drei Erzählsträngen vorgetragen. Die Ereignisse auf der Swan, Tims Kampf ums Überleben in der Dunkelheit einer sich langsam mit Wasser füllenden Schute und das zunehmende Bemühen des Vaters, dem es weniger um die Rettung seiner – seiner Meinung nach – verweichlichten Söhne geht, sondern – ganz reicher Pfeffersack – ums eigene Ansehen und Geld. So wundert es nicht, dass sich im Lauf der Handlung zahlreiche menschliche Abgründe offenbaren und sich die Frage aufdrängt, wie gut man eigentlich die Menschen in seiner Nähe kennt? Klare Empfehlung!

  • Autorin: Marina Heib
  • Titel: Die Stille vor dem Sturm
  • Verlag: Pendragon
  • Umfang: 400 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Mai 2019
  • ISBN: 978-3-86532-657-7
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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