Andrea Fischer Schulthess – Noch fünf Tage (Buch)

Schwarz wie der Tod

Fribourg in der Schweiz. Es ist Donnerstag, der 3. Oktober des Jahres 2019. Nächste Woche wird Amanda fünfzig Jahre alt, doch sie wird ihren Geburtstag nicht mehr erleben. Trockeneispellets sind bereits für kommenden Montag bestellt, jenen Tag, an dem sie sich aus dieser Welt verabschieden wird. So wie einst ihre Großmutter Hermine und ihre Mutter Josephine, die ebenfalls kurz vor ihrem 50. Geburtstag aus dem Leben schieden.

Amanda ist verheiratet mit Jan, aber sie leben eher neben- statt miteinander, so dass es nicht verwundert, dass Jan oft zu geschäftlichen Terminen verreist, hinter denen sich jedoch seine Geliebte verbirgt. Amanda fällt immer wieder zurück ins Leere, denn der Sinn ihres Lebens war in den letzten Jahren der gemeinsame Sohn Benjamin, der jetzt zu seiner Abiturfahrt aufbricht und zunehmend sein eigenes Leben führen wird. Als Josephine daemals erfuhr, dass Amanda schwanger ist, bringt sie sich am nächsten Tag um. Nun ist Benjamins Freundin Hannah schwanger, welch Duplizität der Ereignisse.

Todessehnsucht und dunkle Familiengeheimnisse

„Noch fünf Tage“ ist ein Roman, den man nur bedingt in ein Genre einzuordnen vermag. Er handelt von einer Frau, die unter ihrer Vergangenheit leidet, was vor allem mit ihrer Familiengeschichte zusammenhängt, die sie bestenfalls bruchstückhaft kennt. Denn Schweigen und vor allem Verschweigen hat in ihrer Familie Tradition, ebenso wie der Wunsch nach dem Freitod. Einziger Lichtblick war über Jahrzehnte ihr Großvater Alois, der ausgerechnet jetzt mit Macht in ihr Leben drängt. Er ist in seiner Ein-Zimmer-Wohnung in Zürich gestürzt, eine Operation steht an, doch die Tage bis dahin will er nicht im Heim, sondern bei Amanda verbringen.

„Stundenlang verlässt sie ihre trostlose Realität und versinkt im Früher, durchlebt alles nochmals, Unbedeutendes wie Wichtiges, und findet immer schwerer zurück. Dass das Leben an einem vorbeiziehe, wenn man bald stirbt, hat sie schon oft gelesen. Dass es das auch tut, wenn man beschließt, freiwillig von dieser Welt zu gehen, hat sie nicht gewusst.“

Hier entpuppt sich der einst geliebte Opa als das Ekel, das er schon immer war und Amanda erkennt, dass nicht ihre Mutter und Großmutter der Grund für ihre Schwermut waren. Ein altes Familiengeheimnis gilt es endlich zu entschlüsseln und so kommen hier womöglich Leserinnen und Leser der Romane von Mechthild Borrmann auf ihre Kosten. Auch dort treten oft nach langer Zeit Familiengeheimnisse zu Tage, die das Leben der Nachfahren in einem völlig neuen Licht erscheinen lassen. Allerdings sind die Romane von Borrmann deutlich griffiger, da sie ein höheres Lesetempo enthalten.

Andrea Fischer Schulthess zeigt ihre Protagonistin hingegen in all ihren düsteren Facetten am Abgrund schwebend. Der ständige Griff zu Tabletten und Alkohol, Wodka wird schon in den Morgenkaffee hinzugegeben, prägt den tristen Alltag. Ihr Sinnieren über den Sinn des Lebens, den sie kaum mehr zu erkennen vermag und ihre daraus resultierende Todessehnsucht werden haarklein seziert. Dies ist literarisch eindrucksvoll geschrieben, hat aber inhaltlich mitunter seine Längen. Auch wäre ein Warnhinweis angebracht, dass Menschen, die selber suizidale Gedanken hegen, vom Gebrauch dieses Romans dringend abzuraten ist.

Erst zum schaurigen Finale des Buches zeigt sich das ganze Ausmaß von Amandas Familiendrama und endet mit einem finalen Paukenschlag. Tatsächlich wandelt sich die Lektüre auf den letzten Seiten vom tragischen Familienroman hin zu einem „Kriminalroman“, wobei der Begriff Krimi dann doch etwas zu weit führt. „Noch fünf Tage“ ist ein melancholisches Werk, dessen Abgründe nicht nur Amanda belasten und dessen Finale über das Leseerlebnis hinaus beschäftigt. 

  • Autor: Andrea Fischer Schulthess
  • Titel: Noch fünf Tage
  • Verlag: Pendragon
  • Umfang: 264 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: September 2025
  • ISBN: 978-3-86532-912-7
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt

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