Oliver Pötzsch – Das Mädchen und der Totengräber (Buch)

Ein Toter als Mumie, ein Serienmörder und ein hungriger Löwe

Mai 1894. Seit einem halben Jahr arbeitet Julia Wolf nun als Tatortfotografin für die Polizei, was gerade eine besonders schwere Arbeit darstellt, da sie nicht nur von den männlichen Kollegen mit Argusaugen beobachtet wird, sondern ein Serienmörder sein Unwesen treibt. Seine Opfer sind junge Männer, die sich offenbar auf der Straße etwas dazuverdienen wollen. Ob er ihnen deswegen sogar die Hoden entfernt? Leopold von Herzfeldt arbeitet inzwischen für Oberinspektor Paul Leinkirchner, was aufgrund von dessen antisemitischer Einstellung nicht unproblematisch ist. Professor Alfons Strössner, ein weltweit angesehener Ägyptologe, wurde ermordet und dessen Leiche soeben mumifiziert im Kunsthistorischen Museum gefunden. Und als wäre dies noch nicht genug, zerfleischt ein Löwe im Tiergarten Schönbrunn einen Hilfswärter. Kurz darauf wird Saidrovuni, Häuptling der Matabele aus Ostafrika, als Verdächtiger festgenommen. Vertreter seines Stammes leben derzeit im Tiergarten und sind dort Teil einer Völkerkundeschau.

Es ist viel zu tun und die Spuren führen über den einflussreichen Verein für Altertumskunde bis in allerhöchste Kreise. Gut, dass sich Julia und Leo, deren Beziehung gerade ein wenig angespannt ist, auf eine dritte Person verlassen können, die gewöhnlich einen eher ungepflegten und streng riechenden Eindruck hinterlässt: Totengräber Augustin Rothmayer.

Zweiter Fall für das außergewöhnliche Trio

Nach „Das Buch des Totengräbers“ setzt Oliver Pötzsch seine Leopold-von-Herzfeldt-Reihe mit dem vorliegenden Titel fort. Diese bietet, wenig verwunderlich, alle Ingredienzien, die schon beim Serienstart zu überzeugen wussten, was insbesondere für das Protagonisten-Trio gilt. Eine junge, taffe Frau, die sich in einem Männerberuf durchzubeißen versucht, sich nebenbei um ihre uneheliche sowie taubstumme Tochter kümmert und noch dazu in einem Bordell namens Zum Blauen Dragoner lebt. Die Fette Elli lässt grüßen. Ein fescher, dandyhaft wirkender Piefke (negative Bezeichnung für Deutsche), der einst in Hannover aufwuchs und dessen Bankiersfamilie sehr vermögend ist. Allerdings gab es einen schwerwiegenden Vorfall in Graz, der die Beziehung zu seinem Vater spontan beendete und der die Ursache für seine Flucht nach Wien darstellt. Und als Dritter im Bund der schon erwähnte Augustin Rothmayer, dessen „Almanach für Totengräber“ inzwischen erschienen ist. Jetzt schreibt er an einem Buch über „Totenkulte der Völker“, weswegen die Verwicklungen nach Ägypten für ihn ein wahres Fest darstellen.

Wer hätte gedacht, dass wir Strotter mal mit der Kieberei zusammenarbeiten. Bei Gott, das sind wirklich moderne Zeiten!“

Das Verhältnis zwischen Leo und seinem Vorgesetzten gibt Einblicke in den Antisemitismus jener Zeit und die Begleitumstände der Völkerkundeschau ermöglichen es, sich mit dem Thema Rassismus auseinanderzusetzen, womit wir gleichzeitig einen Querverweis in unsere Gegenwart hätten. Man muss kein Ägyptenfan sein, um das vorliegende Buch zu verstehen, denn vieles – wie die Augen des Horus – wird leicht verständlich erklärt. Dies gilt ebenso für die realen wie fiktiven Ereignisse, die in einem Nachwort erläutert werden.

Mehrere Verbrechen, teils unabhängig voneinander, mehrere Verdächtige und einige Blindspuren, sorgen für durchweg spannende, mitunter gesellschaftskritische und nicht zuletzt vergnügliche Unterhaltung, insbesondere, wenn Augustin in Erscheinung tritt. Zudem beruft sich Leo bei seiner Arbeit auf die neue Kriminalistik, so dass es auch hinsichtlich der Polizeiarbeit – historisch betrachtet – interessant wird. Die Serie lohnt sich aus den genannten Gründen, vier Bände liegen bereits vor.  

  • Autor: Oliver Pötzsch
  • Titel: Das Mädchen und der Totengräber
  • Verlag: Ullstein
  • Umfang: 496 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: August 2023
  • ISBN: 978-3-548-06774-2
  • Produktseite

Wertung: 12/15 dpt

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