Die Wirtschaftskrise zeigt auch für Musikjournalisten kein Mitgefühl, und so sitzen die Rock’n’Roll Express-Redakteure Sigi Singer und Max Mandel nicht mehr Musikern gegenüber und quetschen diese mit Fragen aus, sondern vor der Nase ihres Arbeitsvermittlers und werden selbst ausgequetscht. Fast, denn ganz unverhofft erfährt Mandel, dass sein verstorbener Onkel Hans ihm sein altes Detektivbüro vermacht hat.
Ihm und Singer wird nach einigen Millisekunden Skepsis klar, dass ihnen nichts Besseres als genau das passieren konnte, und so übernehmen sie kurzerhand jenes Büro und melden sich zu einem Kurs bei der Industrie- und Handelskammer an, der ihnen das notwendige Zertifikat einbringen soll. Der erste Fall lässt nicht lange auf sich warten, denn eines Morgens betritt überraschenderweise die bezaubernde Schauspielerin Veronika Malleck die Räumlichkeiten und beauftragt Mandel und Singer, ihren Ehemann Leo Tilmann, den Sänger der Altpunkrocker DEMO, zu beschatten – denn der, so ist sich die Gemahlin sicher, lebe weiterhin seinen Rock’n’Roll-Lifestyle und würde sich mit anderen Damen vergnügen.
Die beiden, allen voran Sigi Singer, sind natürlich hin und weg von der charismatischen, blonden, grünäugigen Schönheit und nehmen ihren ersten Fall gewissenhaft wahr – doch plötzlich wird Tilmann tot aufgefunden. Bald finden sie sich in einem verworrenen Dickicht zwischen Tilmanns musikalischem Nachlass, Musikerintrigen, “Rechtsekzemen”, zwielichtigen Rechtsverdrehern und der Plattenindustrie wieder und werden – gewollt wie ungeplant – mit zahlreichen Überraschungen und Abgründen konfrontiert. Nicht zuletzt sorgen Singer und Mandel auch selbst für einiges an Tohuwabohu.
Der in Niederbayern geborene und in Berlin residierende Autor, Musiker und Regisseur Berni Mayer, einst Chefredakteur bei MTV und Viva Online und Produzent der mySpace-Webshow “Kavka vs. The Web”, erschafft mit den beiden Protagonisten unheimlich charakterstarke Figuren, die man sich bereits nach den ersten Seiten bildlich vorstellen kann: Der eher leger gekleidete, impulsive und emotionale Sigi Singer, welcher der Redseligere ist, auf der einen Seite, und im Kontrast zu ihm der oftmals stille, unkonventionell denkende, stets in bieder-schicken Klamotten steckende, geschniegelte und gestriegelte Max Mandel auf der anderen. Zwei, die sich sowohl gegenseitig verstehen und begreifen, wie es kein anderer tut, als auch sich gegenseitig am liebsten an die Gurgel springen würden, weil sie gerade nicht kapieren, was im Anderen vorgeht. Doch auch die anderen Charaktere nehmen im Kopfkino Gestalt an: Man kann sich Veronika Malleck anhand der bildhaften Beschreibungen regelrecht vorstellen und gerät selbst beinahe schon ins Schwärmen, ja sogar kleine Parfümwölkchen steigen zwischen den Buchseiten empor, ebenso werden die gedanklichen Silhouetten der Musiker, des sich wahnsinnig wichtig fühlenden Plattenfirmentypen, des Anwalts und all der anderen Figuren von Schilderung zu Schilderung plastischer.
Die Dialoge, die die beiden in dieser Geschichte voller unerwarteter Wendungen, Irrungen und Wirrungen miteinander führen, sind durch ihre Trockenheit derart unterhaltsam, dass des Lesers Mundwinkel der Gravitation mit Leichtigkeit trotzen. Und ebenso unterhält es, wie das ungleiche Duo versucht, den Fall – oder die Fälle? – zu lösen. Gar nicht so einfach für die beiden Neulinge, die sich mit ihren ganz eigenen Mitteln durch die Botanik recherchieren und fragen. Und anhand der chaotischen und dennoch effektiven Art und Weise, wie Sigi und Max ihren investigativen Aufgaben inklusive eigenartiger Umwege nachgehen, kann man auf ein beeindruckend kreativies Talent des Autors rückschließen, denn auch Chaos will erst einmal in lesbarer Form niedergeschrieben werden.
Wie beim Zweitwerk “Black Mandel” ist die Formulierung des aus Singers Egoperspektive geschriebenen Romans auch bei vorliegendem Debüt gewöhnungsbedürftig. Sagen wir es mal so: Dem Bastian Sick sein Puls wird ganz schön rasen bei dem Schreibstil vom Berni Mayer. Denn auch in “Mandels Büro” bekommen die Personen großzügig einen Artikel spendiert: Mandel ist “der Mandel”, Veronika Malleck ist “die Malleck”, Leo Tilmann ist “der Leo” oder “der Tilmann”, und neben Tilmann ist auch der Genitiv reichlich tot: Veronika Mallecks Haare werden zu “die Haare von der Malleck”, Mandels Auto hingegen zu “dem Mandel sein Auto”. Verfechter der korrekten deutschen Sprache dürften demnach mächtig abgelenkt sein und ihre Probleme mit dem Genuss dieser unterhaltsamen Lektüre haben, doch letztendlich ist genau dieser Stil, den Mayer für die “Mandel”-Bücher pflegt, für einen großen Teil des einzigartigen Charmes verantwortlich, den diese Geschichten versprühen – denn letztendlich drückt diese Form des Erzählens eine Art menschliche Wärme aus. Sie wirkt wie direkt unter vier Augen erzählt. Und wer drückt sich denn bei einem Zwiegespräch schon aus wie ein Thesaurus dudensis?
“Mandels Büro” ist trotz – oder gerade wegen? – seiner wilden Hakenschläge und seines kauzigen Stils ein literarisch rundes, von starker Individualität geprägtes Werk, das in erster Linie unterhält. Und das tut es nicht ohne Anspruch. Sollte die “Mandel”-Reihe jemals verfilmt werden, bleibt nur zu hoffen, dass dies nicht auf Privatfernsehen-Eigenproduktions-Niveau oder öffentlich-rechtlicher Gesichtsinflationsbasis geschieht, sondern… nun ja, egal wie, Hauptsache sondern. Und im Speziellen professionell und der Mühe des Autoren würdig.
Cover © Heyne Verlag
- Autor: Berni Mayer
- Titel: Mandels Büro
- Teil der Reihe: Teil 1 der “Mandel”-Reihe
- Verlag: Heyne
- Erschienen: 02/2012
- Einband: Paperback
- Seiten: 336
- ISBN: 978-3-453-40873-9
Wertung: 12/15 dpt