Ummah – Unter Freunden (Spielfilm, DVD/Blu-Ray)


Ummah - Unter Freunden - Cover © Senator Film

Ummah – Unter Freunden

Daniel (Frederick Lau) arbeitete bislang als verdeckter Ermittler für den Verfassungsschutz – Bis zu dem Tag, an dem der Einsatz gegen Rechtsterroristen, bei welchem er zwei Neonazis erschießt, gehörig schiefgeht. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als unterzutauchen. Er bittet seinen Chef darum, ihn aussteigen zu lassen. In Berlin-Neukölln bekommt er eine Wohnung zur Verfügung gestellt – die reinste Bruchbude. Heruntergekommen, gammlig und gänzlich unrenoviert. Besser als gar nichts, denkt er sich, obwohl gerade mal 500 Euro in der Tasche, die er für Berlin eingesteckt hat, nicht viel sind. Ihm soll der Tapetenwechsel recht sein, denn er möchte mit seiner Vergangenheit abschließen. Diesem Vorhaben verleiht er Nachdruck, indem er sein klingelndes Handy kurzerhand zerstört.

Langsam bringt er die Wohnung in Schuss und erkundet dabei sein neuheimatliches Umfeld. In seiner neuen Wohngegend leben fast ausschließlich Mitmenschen mit überwiegend türkischen und arabischen Wurzeln, und so sieht er sich, überwältigt und verunsichert vom Andersartigen, eher zurückhaltend und zögernd um. Als er in einem Gebrauchtwarenladen einen alten, günstigen Fernseher kauft, trifft er auf den arabischen Inhaber Abbas (Kida Khodr Ramadan). Der versichert dem misstrauischen Daniel, dass der Fernseher selbstverständlich funktioniert – was er zu Hause nicht tut. Also schleppt er den Fernseher wieder ins Geschäft, reklamiert ihn umgehend. Und darf feststellen, dass das Gerät im Laden seinen Dienst problemlos erledigt. Abbas, stets kumpelhaft-sympathisch und chronisch ‘gechillt’, bietet Daniel daraufhin an, bei ihm daheim mal nachzusehen, ob es eventuell am Anschluss liegt – und so reparieren er und sein ebenfalls im Laden beschäftigter Kumpel Jamal (Burak Yiğit) gemeinsam die defekte Buchse. Daniel ist von seinem eigenen Misstrauen entsetzt, aber immer noch skeptisch. Jamal und Abbas hingegen wundern sich, dass er seinen Gästen in seiner extrem karg eingerichteten Wohnung weder Speis noch Trank anbietet, und so weihen ihn die beiden erst einmal in die Gepflogenheiten der Gastfreundschaft ein, wie sie selbst sie kennen. Das hat er auch bitter nötig, denn auch der afghanischen Nachbarin Dina, modern, völlig unbefangen und selbstbewusst, begegnet er bei der ersten Begegnung abweisend: Sie klingelt mit einem Willkommenskuchen an seiner Tür und er antwortet mit dem Zuschlagen der Tür – nicht aus Ablehnung, sondern aus Perplexität.

Ummah - Unter Freunden Szenenbild © Senator FilmDoch Daniel taut langsam auf und freundet sich mit seinen anderskulturellen Nachbarn an. Die Gastfreundlichkeit und Herzenswärme überfordert den ehemaligen V-Mann zwar nach wie vor, doch Stück für Stück gewöhnt er sich dran und wird nach einiger Zeit zu einer arabischen Hochzeit eingeladen. Fatal: Er weiß nicht, dass es sich bei gläubigen Muslimen nicht gehört, Alkohol mitzubringen. Abbas rettet ihn gerade noch aus dieser peinlichen Situation. Fast hätte es richtig Ärger gegeben.

Den gibt es allerdings unmittelbar danach, denn als Daniel mit Abbas und dessen Kumpel Hassan auf dem Nachhauseweg sind, werden die Personalien der drei Fußgänger von der Polizei erfasst – nur Daniel darf weitergehen, seine beiden orientalischen Kumpels hingegen werden von den beiden urdeutschen Polizisten – offensichtlich grundlos – festgenommen. Daniel würde gern helfen, kann es aber nicht – da die Polizei ihn wegschickt mit der Bitte, den Einsatz nicht zu stören, darf er es auch nicht. Trotz seiner Machtlosigkeit nimmt ihm dies besonders Jamal übel, denn der hat obendrein auf der Hochzeitsfeier auf Daniels Rücken durch dessen verschwitzte Kleidung ein äußerst verräterisches Tattoo zu Augen bekommen, welches auf die Vergangenheit des Deutschen hinweist. Selbige holt ihn ein, und Daniel sieht seinen einzigen Fluchtweg darin, sich erst mal bis zur Halskrause mit Drogen und Alkohol zuzuknallen – um dann noch zu allem Überfluss ausgeraubt und zusammengeschlagen zu werden. Daniel wird in seiner neuen Wohngegend langsam aber sicher zur persona non grata.

Übel zugerichtet wie er ist, sucht er den Weg zu Abbas’ Laden, der – mittlerweile wieder aus der Haft entlassen – Daniel  dort vor der Tür vorfindet und für einen Notarzt sorgt – und ihn anschließend wieder gemeinsam mit dem wieder etwas abgekühlten Jamal aufpäppelt. Langsam aber sicher bewegen sich Daniel und seine neuen Kumpels wieder aufeinander zu, und gerade Abbas kann in seinem Kopf einen klaren Trennstrich zwischen Daniels Vergangenheit und Gegenwart ziehen. Die beiden klären ihn darüber auf, wie “normal” in dieser Gegend Verhaftungen seien, nur weil sie und die Leute aus ihrem direkten Umfeld anders sind, ihren muslimischen Glauben ausüben – und selbst Frauen mit Kopftuch sind für die hiesige Polizei per se Verdächtige und werden erst einmal von der Polizei mit aufs Revier genommen. Das Glauben und Vertrauen in die örtliche Polizei ist nicht nur gebrochen. Es ist gänzlich verschwunden.

Wenngleich sich Daniel mit der Mentalität all dieser Menschen noch schwer tut, erkennt er die unangenehme Lage, in der sich die – wie es P.C. so schön heißt – Bürger mit Migrationshintergrund in Neukölln befinden und schlägt sich auf ihre Seite – und handelt aus Überzeugung in ihrem Interesse. Eine Pfiffige Aktion, auf seinem Mist gewachsen, bringt ihm viel Sympathie ein – doch am Horizont ziehen düstere Wolken auf: Abbas’ Bruder dealt wieder mit Drogen, und Daniels Ex-Chef Hartmann will ihn für seine eigenen Zwecke instrumentalisieren. Daniel allerdings ist nicht mehr bereit, sich von seiner Vergangenheit einholen zu lassen und stellt sich eisern auf die Seite seiner neuen Community, zu deutsch “Gemeinschaft” – und auf Arabisch: Ummah.

All das liest sich zwar wie ein atmosphärisch sehr negativ geprägtes Drama, doch der Schein trügt. Denn so ernst der Film oftmals auch ist, so sehr erwärmt er auch das Herz des Zuschauers, denn die Vorurteile und Klischees werden nicht etwa sorgenfaltenhervorrufend und deprimierend aufgezeigt, aufbereitet und widerlegt, sondern auch mal locker und vor allem auch witzig angegangen. Gerade Kida Khodr Ramadan mimt mit Abbas eine Person, die von Grund auf sympathisch ist, und gerade die Schlitzohrigkeit, dieses “komm, bleib mal locker” und diese kumpelhafte Gelassenheit lässt die Haut links und rechts der Augen Lachfalten werfen. Selbst wenn Abbas seine Kunden betrügen würde – man könnte es ihm nicht mal übel nehmen.

Ebenso weiß Frederick Lau mit seiner unperfekten, kantigen und gerade deswegen natürlichen Art zu überzeugen und dürfte in diesem Film die Rolle seines Lebens gespielt haben. Kaum ein deutscher Schauspieler kann den Naiven, den Angepissten, den Wütenden, den Verzweifelten und dennoch das Herz am rechten Fleck Habenden derzeit besser darstellen. Und diese schauspielerische Qualität zieht sich bis zu den Nebendarstellern und Statisten. Cüneyt Kaya (der mit “Ummah – Unter Freunden” sein Regiedebüt gibt) und sein Filmstab haben demnach nicht nur selbst hervorragende Arbeit geleistet, sondern einen glänzend agierenden Cast zusammengestellt, der klischeefrei in seinen darstellerischen Rollen aufgeht.

Ummah - Unter Freunden Szenenbild © Senator FilmDie kulturellen Unterschiede werden äußerst authentisch widergespiegelt, und der Kontrast zwischen beklemmender Gesellschaftsstudie und Feelgood-Movie ist hierbei eine der größten Stärken dieses Hundertvierminüters. Auch wird das Helfersyndrom des Zuschauers unweigerlich geweckt. Denn einerseits möchte man sowohl Daniel als auch den Freunden mit nahöstlichen Wurzeln das Leben vereinfachen, andererseits möchte man beiden Seiten gern mal den Kopf waschen. Man entwickelt gemeinsam mit den Protagonisten einen Groll gegen die Antagonisten (Hartmann, Abbas’ Drogendealer-Bruder) und würde diese gern möglichst sofort vom Bildschirm fegen.

Einer der größten Pluspunkte ist jedoch die Neutralität des Films. Es wird weder eine prochristliche noch eine promuslimische Message (oder deren jeweilige Antipole) transportiert. Man positioniert sich genau in der Mitte, ohne eine der Bevölkerungsgruppen auf irgendeine Weise positiv, negativ, als besser oder schlechter zu brandmarken. Vielmehr wird einem schlichtweg ein Einblick in die ethnisch, religiös und generell gemischte Gesellschaft gewährt und zeigt, wozu Ghettoisierung (die manchen Bevölkerungsgruppen als letzter Ausweg in Richtung Akzeptanz – wenigstens untereinander respektiert man sich – bleibt) führen kann.

“Ummah – Unter Freunden” ist ein Streifen, der Unterhaltung und politische/gesellschaftliche Reibungspunkte perfekt miteinander harmonieren lässt, die Wertigkeit von Vertrauen, Freundschaft und Verbundenheit in den Mittelpunkt stellt und dem Zuschauer den erhobenen Zeigefinger hierbei erspart. Besser und vielschichtiger kann man einen Clash-of-the-Cultures-Film, der Rassismus in beide Richtungen aufzeigt, kaum verwirklichen – ein weiterer Grund, für dieses an allen Ecken und Enden menschelnde Werk eine ausdrückliche Empfehlung auszusprechen.

Cover & Szenenfotos © Senator Film/Universum Film

  • Titel: Ummah – Unter Freunden
  • Produktionsland und -jahr: D, 2012
  • Genre:
    Drama, Komödie
  • Erschienen: 04/2014
  • Label: Senator/Universum Film
  • Spielzeit:
    103 Minuten auf 1 DVD
    108
    Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller:
    Frederick Lau
    Kida Khodr Ramadan
    Burak Yiğit
    Mona Pirzad
    Sami Nasser
    Robert Schupp
    Eray Egilmez
    Tamer Arslan
    Cetin Ipekkaya
    Eleonore Weisgerber
    Anneke Kim Sarnau
  • Regie: Cüneyt Kaya
  • Extras:
    Making Of
    Interviews
    Fotogalerie
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    1.85:1 (16:9 anamorph)
    Sprachen/Ton
    :
    D (DD 5.1)
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    1.85:1 (1080p/24)
    Sprachen/Ton
    :
    D (DTS-HD 5.1)
    FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 13/15 dpt


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