Ken Bruen – Kaliber (Buch)


Ken-Bruen-Kaliber-polarEndlich einmal ein Serienkiller, dessen Motivation folgenreich zu töten verständlich und fast der Unterstüzung wert erscheint. Keine obsessiven Tötungsrituale, keine Trophäen und nur ein klein wenig Pflege des Aufmerksamkeitsdefizits mittels Schriftverkehr mit belesenen Polizeibeamten.

Ford, wie er sich selbst nennt, tötet Menschen mit schlechten Manieren, eine Sisyphus-Aufgabe. Ob cholerische Vorgesetzte, mäkliger Lebenspartner oder  rüde Drängler, der “apokalyptische Reiter von Clapham” ist ein Mann mit einem Auftrag im Dienste der Menschheit, Menschlichkeit. Leider besitzt er neben seinem Faible für Charles Willeford, Andrew Vachss, Cornell Woolrich und besonders Jim Thompson den Drang sich als moralische Lehranstalt zu artikulieren. Doch ein sorgsam geführtes Tagebuch kommt nicht gut, wenn man regen Kontakt zu einer neugierigen Nutte pflegt.

Was Sergeant Brant allerdings freut. Der Ed McBain-Freund hat keinerlei moralische Skrupel, behandelt seine Kollegen wie etwas, das stinkend unterm Schuh klebt, vögelt alles, was nicht schnell genug auf die Bäume kommt und droht Tatverdächtigen unverhohlen mit Mordabsichten.

Er kommt mit allem davon, wie jeder, der seine eigenen Interessen mit genügend Durchsetzungskraft und ohne Rücksicht auf andere und Verluste vertritt. Die Zeiten von Ganoven, Gerechten und Gesetzeshütern spielen beim “Kaliber” keine Rolle mehr. Hier stehen auf der einen Seite Drecksäcke, auf der anderen Arschlöcher. Bloß belesen sind sie alle.

Ein wenig ist “Kaliber” mit dem Tarantino-Syndrom infiziert: Das heißt, es werden pointierte Szenen entworfen, große Gesten gezeigt und coole Phrasen rezitiert, die großen Vorbildern abgeschaut sind. Inklusive des Versuchs, diese artifiziell zu toppen und sicherheitshalber mit ausgestrecktem Mittelfinger darauf hinzuweisen, dass man genau darum weiß. Deswegen werden die Hofierten alle namentlich benannt und abgefeiert.

Bruen betreibt diesen Sport offensiv mit Lust und Laune, sodass man ihm nicht böse sein kann.   Unser Killer geriert sich als distinguierter Jim Thompson-Fan, der seine Entlarvung im Sinne der “Mörder in mir”-Vorlage provoziert, während sich die Polizeibande als Wambaughsche “Chorknaben” unter Strom präsentieren. Wobei der radikale Charmebolzen Brant sich eher in der Tradition Ed McBains sieht. Was ihm  aber auch nicht hilft, einen Bestseller, nicht einmal ein gescheites Exposé, zu verfassen. Doch wofür hat man Kollegen, die unter Koffein und Speed zu unwissenden Ghostwritern werden?

Mit der literarischen Karriere im Blick ist es völlig wurscht, was mit dem ideellen Lou Ford-Nachwuchs passiert. Menschen ohne Manieren gibt es schließlich auch außerhalb Großbritanniens.

“Kaliber” ist ein Riesenspaß, eine Tour De Force durch die Kriminalliteratur im Geist des Pulp. Hier wird der Sieg der Amoralität gefeiert, in Gestalt des Sergeant Brant, und gleichzeitig bitter relativiert. Ist doch die einzig sichtbare moralische Instanz der mörderische Kämpfer gegen jene gedankenlosen und lasterhaften Luder, denen Moral und Anstand kein Begriff mehr sind.  

Spannend ist das kaum, doch hoch unterhaltsam,  mit einigen gelungenen Überraschungen und noch mehr Gags am Wegesrand. Die Metaebene, das Spiel mit dem literarischen (und wie bei Bruen üblich, wenn auch diesmal nicht ganz so extensiv,  musikalischen) Subtext ist fest verwoben im gesamten Projekt “Kaliber”. Ken Bruen entwirft eine Parallelwelt voller Schmutz, Niedertracht und guter Laune. Selbstzufriedenheit ist der Tod der Katze. Unrast, Kreativität  und Skrupellosigkeit rettet ihre sechs (oder, je nach Lokalisation, auch acht) weiteren Leben.

Am Ende gewinnen Beide: Ed McBain und Jim Thompson. Und Joseph Wambaugh bekommt den Ehrenpreis der Jury. Es ist Ken Bruen hoch anzurechnen, mit “Kaliber” zahlreichen verdienstvollen Autoren ein löbliches Denkmal gesetzt zu haben.

Cover © polar Verlag

Wertung: 11/15 dpt

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