Rebecca Gablé – Das Haupt der Welt (Hörbuch, gelesen von Detlev Bierstedt)


Rebecca Gablé - Das haupt der Welt (Cover © Lübbe Audio)Zum Unparteiischsein
Eingangs sei der Fairness halber erwähnt, dass ich mir Mühe geben muss, gänzlich neutral zu bleiben, denn sowohl die Romane von Rebecca Gablé als auch quasi alle Hörbücher die Detlev Bierstedt liest, landen postwendend auf meinem zum nächsten Anlass gehörenden Wunschzettel.

Die Autorin
Vielen Lesern/Hörern ist die in Wickrath und auf Mallorca lebende Autorin durch Ihre Romane um die Waringhams ein Begriff. Aber auch abseits des englischen Adelsgeschlechts mit der besonderen Gabe hat Frau Gablé spannende Romane geschrieben. In „Hiobs Brüder“ zum Beispiel sind die Protagonisten so ganz und gar heldenuntypisch, und gerade durch das Zusammentreffen dieser bunten Truppe aus einem Siamesischen Zwilling, einem Epileptiker, mehreren Patienten mit interessanten psychiatrischen Befunden und einem Adeligen, der unter Gedächtnisverlust leidet, mit deren Umfeld, entspinnt sich eine spannende Geschichte. Der dichten Atmosphäre der Romane liegen nicht zuletzt eine profunde Sachkenntnis und intensive Recherche zu Grunde. So studierte die Autorin Literaturwissenschaft, Anglistik und Germanistik und lehrte als Dozentin für mittelalterliche englische Literatur an ihrer Alma Mater.

Derzeit sind neun historische Romane aus der Feder der gebürtigen Mönchengladbacherin erhältlich, von denen fünf das fiktive Adelshaus der Waringhams begleiten. Vor den historischen Romanen – mit denen auch der kommerzielle Durchbruch kam – schrieb Rebecca Gablé, die eigentlich Ingrid Krane-Müschen heißt, mehrere Kriminalromane.

Der Sprecher
Neben einer spannenden Geschichte muss bei einem Hörbuch auch die Stimme zum Inhalt passen. Die raue Stimme von Detlev Bierstedt scheint dazu gemacht zu sein, vergangene Zeiten wieder auferstehen zu lassen. Als Synchronsprecher hört man ihn zum Beispiel für George Clooney oder Bill Pullmann (Independence Day) und die Liste der Hörproduktionen, an denen er mitgewirkt hat, ist riesig.

Ein slawischer Fürstensohn am Hof des Sachsenkönigs
Unter König Heinrich I. schaffen es die Sachsen mit ihren gefürchteten Panzerreitern nicht nur, die in damaliger Zeit allgegenwärtige Bedrohung durch die Ungarn zurückzuschlagen, sondern starten – wie so oft geschehen – im Namen der Bekehrung der heidnischen Nachbarvölker auch ausgedehnte Eroberungsfeldzüge gegen die Slawischen Völker, deren ausgedehnte Herrschaftsgebiete im Osten an der Saale begannen. Mit Mecklenburg und Brandenburg sind noch heute Namen aus jener Zeit bekannt, die ehemals Siedlungen slawischer Volksstämme waren. Besonderes Augenmerk legt die Autorin im Verlauf der Geschichte auf den Stamm der Heveller, die an der mittleren Havel siedelten.

Um sich die verbliebenen Heveller nach einer erfolgreichen Eroberung gefügig zu machen, nimmt König Heinrich I. den slawischen Fürstensohn und Priester der slawischen Götter Tugomir und dessen Schwester gefangen. Fortan lebt er unter Fremden im sächsischen Magdeburg und verdankt es nicht zuletzt seinem Ruf als Heiler, dass er auch in der Fremde Freunde findet. Als es ihm gelingt, Otto, dem Sohn König Heinrichs, das Leben zu retten, wird er zu dessen Leibarzt und in Folge auch zum Lehrer seiner Söhne, deren einen Otto mit Tugomirs ebenfalls entführter Schwester zeugte und der demzufolge der Neffe des Prinzen ist.

Gefangen ist der Held des Romans nicht nur äußerlich in Sachsen fernab der slawischen Heimat, sondern auch innerlich zwischen dem christlichen Glauben und den Kulten der alten Götter seines Volkes, denen er geschworen hat, zu dienen. Der Prinz, der so gerne alle Sachsen um sich herum verabscheuen würde, kommt im Laufe der Jahre nicht umhin, die Stärken und Schwächen beider Völker und einzelner Individuen zu bemerken. Als Heiler sieht Tugomir seine Aufgabe darin, Menschen ohne Ansehen von Stand und Volkszugehörigkeit zu helfen – heute würden wir so eine Persönlichkeit am ehesten als einen Humanisten beschreiben. Dass auch der scheinbar sanfte, nachdenkliche Fürst mit inneren Schatten ringt, kommt im Verlaufs des Romans allerdings nicht zu kurz.

Als der übermächtige König Heinrich I. verstirbt und sein Sohn Otto gekrönt wird, ist Tugomir noch näher am sächsischen Machtzentrum als zuvor. Otto hat alle Hände voll zu tun, sein Reich entgegen aller Widerstände aus den Reihen seiner Fürsten und sogar gegen Verrat aus seiner eigenen Familie zusammen zu halten. Als sich abzuzeichnen beginnt, dass sein Markgraf im Osten an der Grenze zu den slawischen Völkern der Herausforderung nicht gewachsen ist, besinnt sich der König auf Tugomirs Herkunft, und erneut steht dieser zwischen den Stühlen.

Wie sah es in Mitteleuropa im Jahre 930 aus?
Mir kommt da aus dem Geschichtsunterricht irgend etwas mit Frankenreich in den Sinn, und dann wird es ganz schnell sehr dünn. Sowohl Hörer, denen es ebenso ergeht als auch geschichtsbegeisterte Zeitgenossen können bedenkenlos zugreifen. Wie in den anderen Romanen der Autorin bekommt man auch hier das Gefühl, bestens unterhalten zu werden und quasi nebenbei etwas in seinen Zusammenhängen kennenzulernen.
Dass sowohl Brandenburg als auch Mecklenburg ursprünglich slawische Siedlungen waren, war mir ebenso wenig bekannt wie die Tatsache, dass die Sachsen so erbittert Krieg gegen ihre Nachbarn im Osten geführt haben, hatten sie doch eigentlich alle Hände voll zu tun, den losen Staatenverbund zu einem großen Ganzen zu Formen. Die Person Tugomir ist tatsächlich historisch belegt, und auch wenn dessen Entscheidungen mitunter vielleicht etwas anders motiviert waren, als es die Autorin in dichterischer Freiheit darstellt, so stimmen doch erstaunlich viele Details mit dem überein, was man im Internet über die Geschichte der Slawen und speziell der Heveller lesen kann.

Das alles wurde mit gekonnter Hand zu einer grandiosen Geschichte rund um die Nachkommen König Heinrichs I. verwoben. Da ist Otto, der, obwohl nicht der Erstgeborene zum König gekrönt wird und sein älterer Bruder Thankmar, der eine seltsam tragische Figur bleibt und natürlich Heinrich I. (Bayern), genannt Henning, der seinem Bruder im Verlauf der Geschichte viel Kummer bereitet. Allein diese Familie bietet Stoff für viele Erzählungen. Wer zwischendrin den Überblick verliert, der kann jederzeit auf die Dramatis Personae (Aufstellung der wichtigsten Figuren) im Booklet des Hörbuchs zurückgreifen. Allerdings werden die verschiedenen historischen Persönlichkeiten so plastisch charakterisiert, dass man schon bald vergisst, dass man eigentlich nichts mit Stammbäumen und verschiedenen Herrscherhäusern am Hut hat. Eben dieses Eintauchen in eine andere Epoche zu ermöglichen ist die wohl größte Stärke der Autorin.

Fazit
Die 12 CDs (920 Minuten) vergehen beispielsweise bei langen Autofahrten wie im Flug. Sowohl Detlev Bierstedts virtuoser Einsatz der Stimme, der die unterschiedlichsten Charaktere zum Lebern erweckt als auch die Gesamtkomposition mit sparsam eingesetzten atmosphärischen Geräuschen oder Fanfaren zu Beginn einer wichtigen Versammlung tragen zum Zauber dieses Romans als Hörbuch bei.

Cover © Lübbe Audio

Wertung: 15/15 dpt


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