Mavis Doriel Hay – Geheimnis in Rot (Buch)


Mavis Doriel Hay - Geheimnis in Rot (Buch) © Klett-CottaEin Mord zur Bescherung

Wir schreiben das Jahr 1935 und befinden uns auf dem Landsitz der Melburys in der Nähe von Bristol/Groß-Britannien. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit kommt dort die Familie zusammen, um mit dem Oberhaupt Sir Osmond Melbury das Fest zu begehen.  

Der Patriarch hat nicht nur eine genaue Vorstellung davon, wie Weihnachten in seinem Haus gefeiert werden soll, sondern auch, wie seine fünf erwachsenen Kinder ihr Leben zu bestreiten haben. Für vier Töchter und einen Sohn gilt es, die richtigen Ehepartner zu finden und Kinder zu bekommen, um

»ein Gegengewicht zur allzu zahlreichen Nachkommenschaft weniger achtbarer Bürger zu schaffen.“ [S. 11]«

Wohlverhalten nach seinem Gusto gelobt der alte Herr mit einem üppigen Erbanteil zu belohnen. Jedoch hat jeder Erbe gute Gründe anzunehmen, dass Sir Osmond seinen Anteil des Familienvermögens schmälern könnte.

Im Hause Melbury geht das Gerücht um, Sir Osmond habe kurz vor den Feiertagen seinen Notar aufgesucht, um sein Testament zu ändern. Wurde etwa die dienstbeflissene Sekretärin Miss Portisham in die Reihe der Erbenden aufgenommen? Es herrscht eine angespannte Atmosphäre, als Santa Klaus in das Haus kommt und die Geschenke bringt. Im Kostüm steckt Oliver Witcombe, den Sir Osmond dazu ausersehen hat, die jüngste Tochter Jenny zu ehelichen. Die hat sich allerdings heimlich mit dem Schriftsteller Philip Cheriton verlobt. Witcombe ist der letzte, der Sir Osmond lebend sieht und der seine Leiche im Arbeitszimmer entdeckt. Jemand hat dem Hausherrn eine Kugel in den Kopf geschossen, während der Rest der Familie in der Halle die Bescherung mit explodierenden Knallbonbons feierte. Witcombe wird als dringend tatverdächtig gehandelt, hat allerdings als einziger kein Motiv.

Klassischer und britischer geht Krimi kaum

Mavis Doriel Hays Krimis, es sind lediglich drei, gehören zum sogenannten Goldenen Zeitalter der Kriminalliteratur. Die bekanntesten Vertreter dieser urbritischen Literaturgattung aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dürften Sir Arthur Conan Doyles „Sherlock Holmes“ Romane sein. Als Landhauskrimi oder auch „whodunit“ bezeichnet man Rätselkrimis, in denen alle Protagonisten, vom Ermittler abgesehen, tatverdächtig sind. Der Detektiv sammelt Indizien und Beweise und ermittelt den Täter durch geschicktes Kombinieren. Oft ist eine Karte vom Tatort mit relevanten Hinweisen im Buch abgedruckt. Der Leser erhält den gleichen Kenntnisstand, wie der Ermittler und ist eingeladen, selbst den Mörder zu finden.

Erzählt werden diese Krimis oft aus Sicht der Ermittler. Mavis Doriel Hay studierte zeitgleich mit Dorothy L Sayers in Oxford, die eine der populärsten Vertreterinnen des Landhauskrimis wurde. Sayers schickte ihren Meisterdetektiv Lord Peter Wimsey in 13 Romanen auf Mörderjagd und der Leser schaute ihm dabei über die Schulter.  

In „Geheimnis in Rot“ (englischer Originaltitel „The Santa Klaus Murder“) übernahm die Autorin einige typische Elemente des Landhauskrimis, jedoch nicht alle. Untypisch ist, dass die Geschichte um den Mord an Sir Osmond Melbury insgesamt sieben Personen erzählen. Neben dem Ermittler Colonel Halstock berichten die Sekretärin Miss Portisham, der Schauspieler und Hilfsdetektiv Kenneth Stour, Sir Osmonds Schwester Mildred Melbury, die beiden Töchter Hilda Wynford und Jennifer Melbury, sowie Jennys Verlobter Philip Cheriton. Die Tage vor Weihnachten, den Weihnachts- und Mordtag selbst und die Endphase der Ermittlungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, offenbart interessante Erkenntnisse über die handelnden Personen. Alle Figuren verschleiern, lügen, konspirieren mit- und gegeneinander und führen den Leser geschickt auf falsche Fährten. Den Mittelteil der Handlung erzählt Ermittler Colonel Halstock. Der präsentiert  – wiederum ganz klassisch –  pro Kapitel einen Hinweis, der zu des Rätsels Lösung beiträgt. Oder auch nicht.

Das Erzähltempo und die Detailtiefe hat die Autorin genretypisch ausbalanciert. Die Handlung wirkt zwar nie zu langatmig, sie schreitet jedoch bedächtig voran. „Geheimnis in Rot“ ist ein Krimi, der entschleunigt und deshalb sehr gut in die Weihnachtszeit passt. Die Auflösung kommt komplett überraschend daher, allerdings mit einem wenig überzeugenden Handlungsmotiv. Den Tathergang und die Ermittlungen konstruierte Mavis Doriel Hay durchgängig logisch, trotz der vielen Wendungen, die den Tatverdacht auf verschiedene Protagonisten lenken. Doch die Rahmenbedingungen für den Mord wirken allzu bemüht. Was schade und ein Wermutstropfen in einem sonst gut geschriebenen und kniffligen Klassiker des Krimigenres ist.

Lobend erwähnen möchte ich die optische Gestaltung des Buchs. Der blaue Leineneinband, die rote und weiße Schrift, die pittoreske Zeichnung mit dem Landhaus im Schnee und dem Schatten eines verkleideten Santa Klaus mit Pistole sind ein echter Hingucker. Das nächste Weihnachtsfest kommt bestimmt und dieses Büchlein ist eine hübsche Geschenkidee für alle Liebhaber klassischer Krimis.

Cover © Klett-Cotta

Wertung: 9/15 Weihnachtsüberraschungen

 


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