Jane Shemilt – Es geschah in dunkler Nacht (Buch)


Jane Shemilt - Es geschah in dunkler Nacht (Cover © blanvalet)«Vermisst. Dieses Wort mündet immer im leeren Raum, im verwaisten Bettchen, in der schwarzen Nacht hinter dem zerbrochenen Glas.»

Als ihr Ehemann für ein Forschungsjahr nach Botswana ziehen möchte, begleitet die Londonerin Emma ihn nur widerwillig. Soll sie ihre beiden Töchter wirklich aus ihrem Alltag reißen? Das ungeborene Kind, das gerade in ihr heranwächst, in der Fremde zur Welt bringen? Und was ist mit ihrer eigenen Karriere? Allen Zweifeln zum Trotz lässt sich die erfolgreiche Ärztin auf das Abenteuer ein. Was zunächst wie ein Neuanfang für die Familie wirkt, entpuppt sich plötzlich als Albtraum: Wenige Monate nach der Geburt wird der kleine Sam aus seinem Bettchen entführt. Nach einer erfolglosen, nervenzehrenden Suche kehrt die Familie ohne ihren Sohn nach England zurück. Doch Emma gibt nicht auf und gerät in einen Strudel aus Menschenhandel und dunkler Magie.

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Die Geschichte entwickelt sich auf verschiedenen Zeitebenen. Nach einem kurzen Blick in die Zukunft und die grauenvolle Nacht, in der Emmas Sohn verschwindet, beginnt die eigentliche Handlung in London, wechselt dann nach Afrika vor der Entführung, beschreibt anschließend die Entführung sowie die Suche in Botswana und endet schließlich in der Zeit nach Afrika, knapp ein Jahr später.

Zuerst das Positive: Afrika als Setting verleiht der Geschichte eine besondere Atmosphäre. Für uns Europäer ist das beschriebene Botswana eine ganz andere, unbekannte Welt, die schwer zu durchschauen ist. Das hat die Autorin sehr gut rübergebracht – sowohl der Zauber, den das Land versprüht, als auch das Bedrohliche, das das Fremde umgibt, wird beim Lesen spürbar und zahlt auch positiv auf die Spannung ein. Die Suche nach dem verschwundenen Kind, die schrittweise Aufdeckung der dahintersteckenden Motive und die Auflösung wissen durchaus zu fesseln und den Leser mitzureißen.

Allerdings können weder die lebendigen Bilder der Umgebung noch die – recht spät einsetzende – Spannung über die unsäglichen Charaktere hinwegtäuschen. Emma ist eine Katastrophe. Dass sie uns als Ich-Erzählerin von ihren Erlebnissen berichtet und wir somit unentwegt in ihrer Haut stecken, macht es noch schwieriger, sich auf die Handlung einzulassen. Die Gynäkologin (an dieser Stelle würde sie schon intervenieren, denn sie ist nicht „nur“ Gynäkologin, sondern auch in der Forschung tätig und schreibt Aufsätze für Fachzeitschriften und, und, und) ist dermaßen erfolgsgetrieben, dass es das reinste Grauen für sie ist, wenn ihr Mann beruflich die Nase vorn hat. Aus diesem Grund sträubt sie sich zunächst auch so sehr gegen Afrika: Während er seine Forschung vorantreiben kann, soll sie mit den Kindern zu Hause sitzen? Undenkbar! Vor lauter Karrieregeilheit verliert sie komplett den Blick für das Wesentliche. Ihre älteste Tochter verhält sich von Beginn an auffällig, aber Emma findet immer neue fadenscheinige Erklärungen für das Verhalten ihres Kindes. Als Leser möchte man diese Frau gerne schütteln und sie mit der Nase auf die unübersehbaren Probleme stoßen. Als wäre all das noch nicht genug, ist sie anfangs fast schon angewidert von ihrem Sohn, weil er ein Geburtsmal im Gesicht hat. Er ist nicht perfekt und somit kein Erfolg. Zwar wird durch kleine Erinnerungsfetzen erklärt, woher diese extreme Erfolgssucht rührt, Verständnis lässt sich dennoch nicht für Emma aufbringen. Identifikation? Fehlanzeige. Mitgefühl? Trotz der schrecklichen Situation nicht vorhanden. Hinzu kommt, dass diese gebildete Ärztin und eigentlich sehr kluge Frau vollkommen naive und weltfremde Vorstellungen von ihrem Leben in Afrika hegt. Ihre Ernüchterung, als sich vor Ort alles ganz anders als in ihrer Phantasie darstellt, ist für den Leser zwar erwartungsgemäß, aber absolut nicht nachvollziehbar.

Das gesamte Familienleben ist befremdlich. Emma und Adam befinden sich in einem ständigen Wettstreit miteinander, während ihre Töchter nebenherlaufen. In Afrika rückt das Wetteifern zwar ein wenig in den Hintergrund, aber vor dem, was in ihrer Familie tatsächlich vorgeht, verschließt Emma nach wie vor die Augen. Die Ärztin scheint sich für niemanden richtig zu interessieren – deshalb bleiben die Charaktere durchweg blass. Zwar blitzen immer Mal wieder empathische Züge durch, in denen das Schicksal anderer sie berührt, aber im Großen und Ganzen bleibt alles oberflächlich und eindimensional. Den einen oder anderen Charakter würde man gern etwas näher kennenlernen, dazu kommt es aber nicht.

Sprachlich gibt es nichts zu bemängeln. Die Autorin lässt Emma die Geschichte in einem flüssigen, klaren, sehr eindrücklichen Stil erzählen. Man kann sich die Situation und die Umgebung lebhaft vorstellen. Vor dem inneren Auge läuft ein detailreicher Film ab, der einen mitten ins Geschehen ziehen würde, wenn man nicht das Bedürfnis hätte, sich von Emma zu distanzieren.

Fazit: „Es geschah in dunkler Nacht“ ist leider nur Mittelmaß. Die durch und durch unsympathische Ich-Erzählerin, aufgrund derer man nicht selten entnervt die Augen verdreht, überschattet die in weiten Teilen durchaus spannende Handlung und das interessante Setting. Wem die Identifikation mit den Charakteren nicht so wichtig ist oder wer über die übermäßig egoistische Art Emmas hinwegsehen kann, wird dem Buch womöglich mehr abgewinnen können.

Cover © blanvalet

  • Autor: Jane Shemilt
  • Titel: Es geschah in dunkler Nacht
  • Originaltitel: The Drowning Lesson
  • Übersetzer: Anja Schäfer
  • Verlag: blanvalet
  • Erschienen: 04/2018
  • Einband: Broschiert
  • Seiten: 384
  • ISBN:978-3-7645-0639-1
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite 
    Erwerbsmöglichkeiten

Wertung: 7/15 Arztkoffer


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