Jim Sheridan hat sich zweifellos um die Filmwelt verdient gemacht. Über zwei Jahrzehnte hat der Regisseur wichtige literarische Werke aus seiner Heimat Irland sehenswert verfilmt, das Land auf der cineastischen Weltkarte verortet und nicht zuletzt Daniel Day-Lewis zu seinem Durchbruch verholfen. Nach „In America“ kam es dann aber zu einem klaren Bruch: Mit der Verschiebung der Fokussierung auf nicht-irische Stoffe beginnend mit dem 50 Cent-Film „Get Rich Or Die Tryin‘“ scheint Sheridan sein Einfühlungsvermögen verloren zu haben. „Ein verborgenes Leben“ kann durch die Rückbesinnung auf die eigene Spezialisierung als Comeback-Versuch gewertet werden, doch auch ein spannender Cast aus künftigen und etablierten Weltstars kann über die offensichtlichen Schwächen des Films nicht hinwegtäuschen.
„The Secret Scripture“ heißt die Romanvorlage aus dem Jahr 2008, verfasst von Sebastian Barry, der als einer der größten, lebenden Autoren Irlands gilt. „Ein verborgenes Leben“ ist die erste Verfilmung eines Barry-Stoffes, an den sich Filmemacher wahrscheinlich wegen der ausschweifenden Poesie bislang nicht getraut haben. Trotz der Debakel der vergangenen Dekade zieht Sheridans Name weiterhin und ließ zumindest in Sachen Besetzung leichte Hoffnung aufkommen, dass das Comeback gelingen könnte. Für die Hauptrolle Rose wurden Rooney Mara (jung) und Vanessa Redgrave (gealtert) gecastet, Eric Bana darf eine weitere ernste Rolle spielen und die Soon-To-Be-Stars Theo James („Die Bestimmung“-Reihe) und Jack Reynor (u.a. „Detroit“, „Macbeth“, „Transformers“) liefern sich ein schreckliches Duell um die Liebe zu Rose. Wer ganz genau hinschaut, kann sogar Omar Sharif Jr. in einer kleinen Nebenrolle erkennen, der sich spielerisch dem Erbe seines Vaters nähert.
Sheridan beweist mit seiner Auswahl traditionell Geschmack und würde es wohl gerne sehen, wenn er mal wieder einem Schauspieltalent ein Sprungbrett bieten könnte. Gerne würde er die Erfolgsgeschichte rund um Daniel Day-Lewis wiederholen, dessen Weg zur Weltkarriere er mit „My Left Foot“, „Im Namen des Vaters“ und „The Boxer“ ebnete und entscheidend prägte. Sicherlich ist der irische Regisseur stolz auf diesen seinen Platz in der Filmgeschichte, er hätte aber auch wohl auch nichts dagegen einzuwenden, wenn man sich seiner auch als großen Filmemacher erinnern würde. Leider lässt das erlösende Alterswerk weiter auf sich warten.
Fünf guten stehen nach „Ein verborgenes Leben“ nun vier maximal durchschnittliche Filme gegenüber. Das vorliegende Werk eignet sich in großen Teilen gar als Material für den Filmschulunterricht – im Teil „Wie es eben nicht gemacht wird“. Es beginnt tatsächlich schon mit dem Intro: Wilde Schnitte wechseln zwischen der ergrauten Rose in der Psychiatrie und der schwarzhaarigen jungen in der irischen Kleinstadt, die den Eindruck von aufregenden Erinnerungen vermitteln sollen. Hat sie tatsächlich ihr Neugeborenes getötet, so wie es sich die Menschen seit Jahrzehnten erzählen? Die Psychiatrie wird jedenfalls in ein Hotel umgewandelt, es ist bald kein Platz mehr für Rose, für die das Gebäude über die Jahre trotz aller Grausamkeiten zu einem Zuhause geworden ist.
Als ihre Habseligkeiten ihren Weg Richtung Mülldeponie antreten sollen, blockiert die Seniorin den Abtransport des Containers und zieht dabei die Aufmerksamkeit des Psychiaters Dr. Grene (Eric Bana) auf sich. In diesem „Müll“ wird fortan die Antwort darauf vermutet, was zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs tatsächlich passierte. Zusammen mit einer fast funktionslosen Krankenschwester (Susan Lynch) investiert Dr. Grene unrealistisch viel Zeit, um der Psyche seiner Patientin auf den Grund zu gehen. Was den Sieg der modernen Psychiatrie über die antiquierte Nervenklinik noch einmal fett unterstreichen soll, schlägt als romantische Verklärung gleich postwendend zurück: Wenn sich denn heute jemand im überlasteten Krankenbetrieb so viel Zeit für eine Patientin nehmen kann, ist das nicht völlig unangemessen gegenüber all den anderen Erkrankten?
Schade, dass sich „Ein verborgenes Leben“ auf diese Weise gleich zu Beginn als Schnulze zu erkennen gibt, die die Realität zugunsten eines naiven Heile-Welt-Bildes beugt. Das muss sich auch Autor Barry ankreiden lassen, wer den Stoff aber trotzdem oder gerade deswegen verfilmt, macht es in den meisten Fällen aber noch schlimmer. Für den dünnen, in der Gegenwart spielenden Rahmen gibt es wenige und dann unbefriedigende Begründungen, obendrein ist er auch noch fürchterlich amateurhaft gedreht. Die meisten TV-Produktionen stellen das Gezeigte locker in den Schatten, sei es bei der Beleuchtung, dem Schnitt oder bei der Auswahl des Settings. Die potenziell schöne Figur der alten Rose bekommt kaum Raum, um herauszustechen, dafür hätte die 81-jährige Vanessa Redgrave nicht bemüht werden müssen. Die Dialoge sind plump, zeigen keine Finesse, eigentlich sind sie nur Mittel zum Zweck, nämlich um den Plot zu erklären.
Immerhin geht Sheridan sparsam mit diesem Rahmen um, der im Wechsel mit den Geschehnissen der Vergangenheit gefühlt kein Drittel der Spielzeit einnimmt. Die höchstemotionale Geschichte bekommt hier kaum die Gefühlsregungen, die sie verdient. Anders sieht es bei dem eingebetteten Plot um die junge Rose aus. Alles wirkt einen Ticken professioneller, cineastischer und schließlich auch packender. Allerdings liegt das vor allem an der Leistung von Rooney Mara, die wirklich alles aus ihrer Rolle herausholt. Eigentlich sollte Jessica Chastain die weibliche Hauptrolle übernehmen, Rooney Mara macht die Absage aber im Handumdrehen vergessen. Rose wird in der irischen Provinz von gleich vier Männern umschwärmt, vor allem geht es aber um das Spannungsfeld zwischen Michael McNulty (Jack Reynor) und Father Gaunt (Theo James), in dem die junge Frau gefangen ist. Ihr Herz hängt an Michael, der allerdings als Verräter gilt, weil er im Weltkrieg als Kampfflieger auf Seiten der Briten kämpft. Der Priester hat sich seinerseits in Rose verguckt, verfolgt sie förmlich, findet als Geistlicher aber nicht den Mut, zu seiner Liebe zu stehen.
Rose hilft Michael, als dieser den Abschuss seines Flugzeugs überlebt, woraus sich eine Liebesbeziehung und eine Schwangerschaft entwickeln. Als Michael gegen das Versteckspiel ihrer Liebe aufbegehrt, wird er erschossen, Rose wird in eine Nervenklinik gebracht und als „Nymphomanin“ deklariert. Die Gesellschaft erklärt sie für krank und will ihr das Kind nach der Geburt wegnehmen. Rose stellt sich gegen diese Entscheidung, flieht und tötet ihr Baby. Seitdem ist sie nicht mehr aus der Psychiatrie herausgekommen, die sie durch Elektroschocks zu dem machte, was die Gesellschaft wollte: Eine Kranke. Doch hier endet die Geschichte nicht, denn den großen Plottwist hebt sich Sheridan für den Schluss auf. Es sei nur so viel verraten: Der ist alles andere als bahnbrechend und für einen Sebastian Barry enttäuschend.
Wie der geübte Zuschauende vermutet, könnte sich dieser um das Tötungsdelikt der Mutter an ihrem Neugeborenen drehen. Der Filmemacher bedient sich dem Element der Spurensuche durch Dr. Grene, bleibt dabei aber inkonsequent, was die Perspektive angeht. Eigentlich beruht die erzählte Geschichte größtenteils auf Erinnerungen, die Rose verschriftlicht hat oder verbalisiert. Inwieweit diesen Glauben zu schenken ist, wird durch die von der Elektroschocktherapie ausgelösten Tatterigkeit der alten Dame und die Halluzinationen der jungen Rose infrage gestellt. Irgendwann wird dann eine weitere Spur entdeckt, doch die Perspektiven werden nicht klar voneinander abgegrenzt. Wahrheit und Fiktion werden aus derselben Warte betrachtet, ohne Hinweise darauf, dass Unsicherheiten in der jeweiligen Erzählung bestehen.
Was der Film aussagen möchte, zeigt Sheridan umso klarer ohne jede Subtilität. Die repressive irische Gesellschaft zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, die Auseinandersetzungen zwischen Briten und Iren, die harsche Realität in medizinischen Einrichtungen und Frauenhäusern, das einengende Leben in einer Kleinstadt, das alles fußt in der patriarchalen Logik des Christentums. Rose ist ein Opfer ihrer Zeit, von Männern, von Frauen, die Männern dienen, von unterdrückter Sexualität oder schlicht: Vom System. Was zu kurz kommt, ist, bei all dem von Rose symbolisierten, weiblichen Leid, dass zu dieser Zeit auch Männer Gefangene waren und es als eine gesellschaftliche Errungenschaft zu bezeichnen ist, dass der Muff nach dem Krieg aussortiert wurde. Die Frage nach Father Gaunts Rehabilitierung geht jedenfalls unter.
In Teilen hätte „Ein verborgenes Leben“ ein guter Film werden können, wenn man etwa die harsche Tragik einrechnet, die ihn von einer verträumten Schnulze unterscheidet. In der Vorlage ist die Einbettung in abdämpfende Prämissen allerdings schon eingeschrieben und im Film gewinnen diese zum Schluss leider die Überhand. Das tut Rose Unrecht, die zweifelsohne ein Happy End verdient hat, dieses kann aber nicht das jahrzehntelange Leid auffangen, das sie durchleben musste. Andererseits wird Rose als durchweg gute Person gezeigt, was sie in Teilen zu einer uninteressanten Figur macht.
Sheridan vertraut dem Prinzip „show, don’t tell“ keine Sekunde, wodurch den Figuren ein Großteil ihrer menschlichen Emotionen geraubt wird, schließlich dürfen sie nur sprechen, wenn sie damit ohne jede Subtilität den Plot erklären und weiterbringen. Klischeehafte Dialoge, Settings ohne Atmosphäre, schlechte Animationen, all das nimmt der außergewöhnlichen Story an Fahrt und die Illusion eines Kinoerlebnisses. Schön an „Ein verborgenes Leben“ sind einzig einige sehenswerte Aufnahmen, die von Rose zu eigen gemachte Bibel und eine irisch brabbelnde, liebende, aufbegehrende und heulende Rooney Mara. Viel mehr gibt es da leider nicht, was den schwierigen Fragen, die zweifelsfrei im Stoff enthalten sind, nicht gerecht wird. Da ist es verständlich, dass der bereits 2016 entstandene Film hierzulande direkt auf DVD erscheint.
Fazit: Mit „Ein verborgenes Leben“ ist Jim Sheridan nicht das erhoffte Comeback geglückt. Der Rückkehr nach Irland und einem vielversprechenden Cast zum Trotz, lässt der Regisseur fast alles vermissen, was einen guten Filmemacher auszeichnet. Settings, Dialog, Drehbuch, Schnitt, Animationen, alles ist von unterdurchschnittlicher Qualität und machen das Kinoerlebnis der Illusion zu Nichte. Einzig Rooney Mara ist über alle Zweifel erhaben und wird ihrem Ruf als eine der besten Schauspielerinnen unserer Zeit gerecht. Auf sein gefeiertes Alterswerk muss Jim Sheridan weiter warten, aber in Zukunft eben auch zeigen, dass er sein Handwerk noch versteht.
Cover und Szenebilder © Universum Home Entertainment
- Titel: Ein verborgenes Leben
- Originaltitel: The Secret Scripture
- Produktionsland und -jahr: IRE 2016
- Genre:
Drama
Romance
- Erschienen: 25.05.2018
- Label: Universum
- Spielzeit:
104 Minuten auf 1 DVD
108 Minuten auf 1 Blu-Ray - Darsteller:
Ronney Mara
Vanessa Redgrave
Theo James
James Reynor
Eric Bana - Regie: Jim Sheridan
- Drehbuch: Jim Sheridan (Roman: Sebastian Barry)
- Kamera: Mikhail Krichman
- Schnitt: Dermot Diskin
- Musik: Brian Byrne
- Extras:
Interviews, Behind The Scences
- Technische Details (DVD)
Video: 2,40:1
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- Technische Details (Blu-Ray)
Video: 2,40:1
Sprachen/Ton: D, GB
Untertitel: D
- FSK: 12
- Sonstige Informationen:
Produktseite
Wertung: 4/15 dpt
Norman, deine Kritik wird dem Film bzw. Stoff nicht gerecht. Es gibt kein “weibliches” Leid, es gibt eben nur Leid. Du bist depremierend.