Leonardo Padura – Die Durchlässigkeit der Zeit (Buch)


El Conde, die Schwarze Madonna, das Elend und der Rum

Erinnerungen an längst vergessene Zeiten werden wach als Mario Conde von Roberto Roque Rosell, genannt Bobby, um Hilfe gebeten wird. In der Oberstufe wurde der Mitschüler wegen seiner homosexuellen Neigungen gehänselt, danach brach der Kontakt ab. Bobby, im Kunsthandel tätig, war einige Tage geschäftlich in Miami; eine Zeit, die sein aktueller Liebhaber Raydel ausnutzte, um dessen Wohnung weitgehend auszuräumen. Dies wäre für Bobby nicht so schlimm, doch unter den gestohlenen Gegenständen befand sich eine Statue der Jungfrau von Regla, einer schwarzen Muttergottes. Ein Erbstück der Großmutter, welches seine heilende Kraft bewiesen hat und daher sehr wertvoll ist.

Conde, chronisch schlecht bei Kasse, verdient ein wenig als Buchhändler dazu, nachdem er vor mittlerweile fünfundzwanzig Jahren den Polizeidienst quittierte und nur noch gelegentlich auf eigene Rechnung ermittelt. So nimmt Conde zunächst Kontakt mit seinem früheren Partner Manolo auf, der inzwischen als Mayor die Abteilung für Kapitalverbrechen leitet. Von diesem erfährt er, dass der gesuchte Raydel vor vier Jahren bei einem Motorradunfall starb. Wenig später ist die wahre Identität von Bobbys mysteriösem Freund geklärt, da wird auch schon seine brutal entstellte Leiche gefunden. Von der Statue fehlt weiterhin jede Spur; klar ist nur, die Jungfrau von Regla stellt die Statue ganz gewiss nicht da …

Spanischer Bürgerkrieg, Kreuzzüge, die Schlacht um Akkon

In seinem neuen Roman “Die Durchlässigkeit der Zeit” übertreibt es der kubanische Topautor ein wenig. Nicht nur, dass die meisten Personen dreiteilige Namen haben, die nicht immer leicht zu merken sind; sie haben meist auch noch einen Spitznamen, was die Sache erleichtert oder zusätzlich erschwert. Wer war noch mal der Rochen, wer die Fledermaus und wer ist der Hase, der zum Entsetzen von El Conde, “dem Graf”, das Land verlassen will?

Auch nachdem die Regierung endlich Mobiltelefone erlaubt hatte, blieben sie ein Luxus, den er und Millionen anderes sich aufgrund der kubanischen Preise und Tarife nicht leisten konnten. Das Internet funktionierte nur in den Serien des staatlichen Fernsehens, die Conde sich nie ansah, da er bei sich zu Hause nicht mal einen Fernseher hatte. Er wollte seine vom Alkohol malträtierten Neurosen nicht auch noch weiteren Attacken aussetzen. Und London war für alle Kubaner eine neblige Stadt, in der Jack the Ripper und Sherlock Holmes herumliefen, und in der es eine Straße mit zahlreichen Zebrastreifen gab, über den die Beatles gegangen waren.

In der zeitlichen Abfolge geht es ebenfalls turbulent zur Sache. Bereits das zweite Kapitel trägt die verwirrende Überschrift “Antoni Barral, 1989-1936”. Bei dem Versuch, der Identität beziehungsweise der Geschichte der wertvollen Statue auf die Spur zu kommen, geht es in den Spanischen Bürgerkrieg, die Kreuzzüge und in die Schlacht von Akkon, dem einstigen Sitz des Templerordens. Hier gibt es interessanten Geschichtsunterricht, der die Handlung der Gegenwart des Öfteren unterbricht.

Unvorstellbarer Wohlstand, unvorstellbares Elend – Kuba im Jahr 2014

In der Gegenwart stößt Conde auf einen illustren Kreis von Kunsthändlern, jene “Zunft”, die streng abgeschirmt untereinander die Kulturgüter aufteilt. Seine Ermittlungen führen ihn in eine Welt der Reichen und Superreichen sowie in die Elendsviertel Havannas. Hier leben Emigranten aus dem Osten des Landes in Wellblechhütten – wenn sie Glück haben. Es gibt dort keine Hoffnung, von Staat und Gesellschaft erwartet hier schon lange niemand mehr von irgendwem etwas und so gibt auch niemand etwas zurück. Resignation, Fatalismus und Selbstaufgabe prägen die Szenerie. Selbst Conde, dem abgehärteten Proletarier mit ständigen Einnahmedefiziten, wird es schlecht. Ihm selbst geht es trotz der Umstände oft erstaunlich gut: Bester Kaffee, ein ordentlicher Rum, unzählige Zigaretten – es könnte schlimmer sein.

Zum Finale löst Leonardo Padura den Fall ordentlich auf, wobei der Protagonist noch einmal richtig leiden muss. Nicht nur körperlich, denn er hat auch einem falschen Freund vertraut und zu allem Überfluss wird es für ihn persönlich ganz bitter: Der sechzigste Geburtstag naht.

Cover © Unionsverlag

  • Autor: Leonardo Paduro
  • Titel: Die Durchlässigkeit der Zeit
  • Originaltitel: La Transparencia del Tiempo
  • Übersetzer: Hans-Joachim Hartstein
  • Verlag: Unionsverlag
  • Erschienen: 08/2020
  • Einband: Taschenbuch
  • Seiten: 448
  • ISBN: 978-3-293-20887-2
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite beim Verlag
    Erwerbsmöglichkeit

Wertung: 12/15 dpt


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