Arttu Tuominen – Was wir verschweigen (Buch)
Auftakt einer vielversprechenden Reihe
Als am Abend des 9. November ein Notruf bei der Polizei von Pori eingeht, schickt der Interimsleiter des Kriminalkommissariats, Jari Paloviita seine besten Ermittler nach Ahleinen auf der Landspitze Korpholma. Hier sollen Henrik Oksman und Linda Toivonen einen vermeintlichen einfachen Fall aufnehmen. In einem Wochenendhaus trafen sich seit einigen Tagen mehrere Obdachlose und Alkoholiker zu einem Gelage. Jetzt liegt Rami Nieminen erstochen auf dem Boden, sein vermeintlicher Mörder Antti Mielonen ist flüchtig. Soweit die einvernehmlichen Zeugenaussagen, sofern man auf diese bei durchschnittlich über zwei Promille etwas geben kann. Während Jari zuhause auf die Töchter aufpasst, scheint der Fall bereits gelöst. Als Jari jedoch am nächsten Tag die Namen von Opfer und Täter erfährt, gerät seine Welt ins Wanken. Denn Jari und Antti waren bis zum Ende ihrer Jugend unzertrennliche Freunde, während der ein Jahr ältere Rami die Jüngeren ständig und nicht selten gewalttätig drangsalierte.
Ambivalente und düstere Charaktere. So tickt der skandinavische Krimi.
Krimis aus Skandinavien sind für ihre düstere Grundstimmung bekannt, nicht wenige behaupten, dies läge vor allem an den langen Wintermonaten. Oft haben Familienangehörige oder Kollegen reichhaltige persönliche Probleme, was auch im vorliegenden Fall zutrifft. Alle Figuren sind ambivalent, fast alle mehr unsympathisch denn angenehm. Jari und Antti hatten keine leichte Kindheit. Während der aus gutbehütetem Haus stammende Jari sich häufig den Attacken des gewalttätigen Rami ausgesetzt sah, versuchte der aus prekären Verhältnissen stammende Antti diesem zu helfen. Eine ungewöhnliche Freundschaft zu der man sich ewige Treue schwor. Später ging Jari zur Polizei, heiratete eine schöne Frau, hat zwei Töchter und lebt in einem großen Haus. Antti wie Rami gerieten, nicht wirklich unerwartet, hingegen auf die schiefe Bahn. Drogen, Gewalttaten und mehr führten zu häufigen Gefängnisaufenthalten, zu Alkoholismus und Obdachlosigkeit. Antti rettete Jari einst sein Leben, Zeit alte Schulden zu begleichen. Doch wie weit kann und will Jari gehen, um seinem einstigen Freund zu helfen? Die Beweislage ist erdrückend, betrunkene Zeugen hin oder her.
Oksman erkennt als Einziger schnell, dass sich sein neuer Chef recht seltsam verhält und die Ermittlungen zu boykottieren scheint. Der Einzelgänger und Kontrollfreak, dessen Probleme im Elternhaus ihre Ursache haben, beginnt zu recherchieren, was sich im Sommer 1991 ereignet hat. Damals wurden aus den drei Jugendlichen angehende Erwachsene einschließlich erster Mutproben und Gewaltexzessen unterschiedlicher Art. So wechselt die Geschichte immer wieder zwischen den aktuellen Ermittlungen im Herbst 2018 und den früheren Geschehnissen im Jahr 1991, die letztendlich eine Aufklärung bieten. Bis dahin belauern sich Jari und Oksman und der Leser muss einige jugendliche Gewalteruptionen über sich ergehen lassen. Die Erwachsenen sind indes nicht besser.
Wer einen spannenden Kriminalfall erwartet könnte leicht enttäuscht werden, denn die Ausgangslage ist klar. Spannend sind hier mehr die Ursachen und die Frage, wie weit Jari bereit ist, die Beweislage zu beeinflussen. Hier dürfte das Vorgehen des Ermittlers nicht auf einhellige Billigung stoßen, dessen Verhalten gegen jegliche Polizeiethik verstößt.
„Was wir verschweigen“ gewann 2020 den Preis als „Bester Kriminalroman Finnland“ und ist der Auftakt einer sechsteiligen Serie, in der jeweils verschiedene Protagonisten die Handlung prägen. Im zweiten Fall wird diese Rolle Henrik Oksman übernehmen.
- Autor: Arttu Tuominen
- Titel: Was wir verschweigen
- Originaltitel: Verivelka. Aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
- Verlag: Lübbe
- Umfang: 415 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: November 2021
- ISBN: 978-3-7857-2761-4
- Produktseite
Wertung: 12/15 dpt