Liza Cody – Milch oder Blut (Buch)


© Argument Verlag

Als ich dem Buch das erste Mal begegnet bin, hatte ich direkt eine klare Erwartung: Ein  melancholischer Krimi, in der Zwiespalt zwischen Wirklichkeit und Wahn dargestellt wird. Die Handlung würde hin und wieder künstlerisch und verwirrend sein, nur um ein Ende zu haben, dass man dafür nehmen könnte, wie es ist oder zu Tode interpretiert werden kann.

Und auch wenn der Roman tatsächlich teils künstlerisch und verwirrend war, so habe ich doch mehr erhalten als ich gefragt hatte. Neben dem jüdischen Glauben spielen auch toxische Beziehungen und Vampirismus eine überraschend wichtige Rolle.

Deswegen ist es sehr schade, dass der Roman mich nicht mal ein kleines Biss-chen berührt hat.

“Milch oder Blut” ist ein Roman von Liza Cody, der 2021 durch den Argument-Verlag im Deutschen veröffentlicht wurde und auf die Dualität von Gewohnheit und Leidenschaft, Glaube und Rationalität, aber auch toxische Beziehungen und internalisierten Antisemitismus eingeht.

Die Landschaftsgärtnerin Seema scheint mit ihrem Leben zufrieden zu sein: Sie lebt mit ihrer besten Freundin zusammen, hat durch ihre Freundin und Mentorin hervorragende psychologische Unterstützung und ist in ihrem Job erfolgreich. Nur ihrer strikt jüdisch-gläubigen Mutter kann sie nicht gerecht werden.

Doch nach einem Erlebnis mit einem mysteriösen Mann, der ihr künstlerische Entfaltung, Anerkennung und Aufregung verspricht, verstrickt sie sich aber in einem Netz aus Wahnvorstellungen und Abhängigkeit, aus dem sie sich selbst nicht mehr befreien kann. Langsam beginnt sie alles zu hinterfragen, was sie zuvor als Wahr angenommen hat. Dabei lebt der Mythos um Vampire auf und zeigt unvorhergesehene Parallelen zum Antisimitimus auf.

Ich habe zu den Figuren gemischte Gefühle, denn ich konnte zu keiner von ihnen irgendeine Art von Beziehung aufbauen. Sie schienen auf ihre Rolle in dem Roman reduziert zu werden, ohne einen Blick hinter die Fassaden auf ein bisschen Menschlichkeit und Verletzlichkeit zu erlauben. Wir hatten die Mentorin, die rationale Erklärungen bieten konnte, den mysteriösen Liebhaber, der Veränderungen in Seemas Perspektive anstößt und die naive Seema selbst, welche sich in dem Chaos aus Glauben, Sehnsüchten und Rationalität verliert. Sie haben Rollen gespielt, die in der Handlung notwendig waren, aber keine Figur hatte das gewisse Etwas, dass ihnen Authentizität verliehen hätte.

Auch die Handlung selbst war irgendwie nichtssagend: Zwar war es spannend zu sehen, wie die Entwicklungen ihren Lauf nehmen – gerade die Frage danach welche Erfahrungen von Seema wahr waren, welche Intrigen ihr Lover spielte und die ständige Frage, ob tatsächlich übernatürliches passierte, hätten mich ohne Schwierigkeiten packen können. Aber all das wirkte unausgereift, weil so viele Handlungen angestoßen wurden, ohne sie zu ende zu bringen. 

Ich hatte eher das Gefühl, dass Ereignisse stattfanden, die interessant und wichtig für die Handlung waren, aber die Figuren nicht nachhaltig prägten und somit nicht abgeschlossen wirkten. Oft fanden Konflikte zwischen Seema und ihrem (nicht-)Glauben statt, ohne wirklich Konsequenzen auf ihre Perspektive zu haben. Auch die Beziehung zu ihrem Lover wurde nie emotional aufgelöst, sondern nur wegrationalisiert und so einfach akzeptiert.

Deswegen wirkte der Roman auf mich wie eine schlechte Tragödie: Die Ereignisse waren tragisch und wichtig für die Handlung, aber die Protagonistin stolperte leidend von einer Wendung zur nächsten ohne dass es sich angefühlt hat, als würden sich tatsächlich und glaubhaft die Figuren verändern.

Und weil so viele Symbole verwendet wurden und nicht klar war, was Realität oder doch nur Seemas Wahn war, hatte ich nicht das Gefühl, dass die angesprochenen Themen zu Ende geführt wurden: Vielmehr wirkte es so, als würde einem so viel entgegen geworfen werden ohne nach Luft schnappen zu können, um sie einfach mal angesprochen zu haben. Die verwendeten Symbole haben die Handlung selbst deswegen überschattet, ohne sich in dem Roman tatsächlich komplett zu Ende zu entfalten zu können. Anstatt mit Seema mitzufiebern habe ich mich deshalb öfters bei der Frage ertappt, welche Bedeutung Blut und Vampirismus für das Judentum haben, als mich tatsächlich für die Handlung zu interessieren. 

Gerade das Zusammenspiel aus Judentum, Antisemitismus und Vampirismus waren nämlich verdammt spannend, weil sie alle etwas mit Ausgrenzung zu tun haben. Sei es die antisemitische Bezeichnung der Juden als “Vampiren” oder “Parasiten”, um sie gesellschaftlich auszugrenzen oder auch der Mythos um Vampire selbst, welche Wesen sind, die entsprechend ihrer Natur nicht Teil einer Gesellschaft sein können.

Aber auch die Bedeutung von Blut als Manifestation der Seele innerhalb des Menschen und die Götzenanbetung die mit dem Verzehr von Blut im Judentum verbunden wird, und somit auch Grundlage der koscheren Ernährung ist, um selbst nicht dämonisch zu werden, bot einen großen interpretatorischen Spielraum um die Geschehnisse und die Vorurteile und Anfeindungen mit den Juden noch immer zu kämpfen haben.

Deswegen ist es kein Buch das ich weiterempfehlen würde: Die angesprochenen Themen sind interessant und als Person jüdischen Glaubens könnte man vielleicht mehr mit Seema mitfühlen als es mir selbst möglich war, aber insgesamt wurden zu viele Themen angesprochen, als dass sie befriedigend in dem Roman behandelt werden könnten. Am schlimmsten aber ist es, dass das Buch nichtssagend war und in mir nichts angestoßen hat, obwohl gerade die mysteriösen Aspekte so vielversprechend waren.

Dennoch gab es hin und wieder befriedigende Momente – gerade dann, wenn Seemas Mentorin andere Figuren auf ihre Minderwertigkeiten hinwies und diese verbal und kaltblütig fertig machte. Das hat in mir die Person angesprochen, die sich schon immer wegen der Verwendung von Klischees oder das miese Verhalten von Figuren aufregte, und sich am liebsten Gewünscht hätte, die Figuren durchschütteln zu können.

  • Autor: Liza Cody
  • Titel: Milch oder Blut
  • Originaltitel: Milk or Blood
  • Übersetzer: Martin Grundmann
  • Verlag: Argument Verlag
  • Erschienen: 2021
  • Einband: Hardcover
  • Seiten: 364
  • ISBN: 978-3-86754-253-1
  • Sprache: Englisch
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeiten


Wertung: 8/15 dpt


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