Andrea Gutgsell – Tod im Val Fex (Buch)


Andrea Gutgsell – Tod im Val Fex (Buch)

Tod im Val Fex
© Zytglogge

Jahrzehntealte Leiche im Gletscher

Alessandro Gubler, 55 Jahre alt, ledig, keine Hobbys. Seines Zeichens Kommissar bei der Sonderkommission der Stadtpolizei Zürich, wenn er nicht von eben dieser freigestellt wäre. Ein Unding, wie er findet, und dies zu Recht. Einem Freund hat er es zu verdanken, dass er die Sommermonate auf der Alp Muot Selvas in Sils verbringen darf, wo er als Schafhirte sein neues Glück findet. Zunächst klappt natürlich gar nichts, selbst der Hütehund Sky macht was er will. Doch die drei Monate auf der Alp sind schneller vorbei als gedacht und kurz bevor die Schafe wieder herunter ins Tal geführt werden, funkt es gewaltig zwischen Gubler und Hüttenwirtin Hanna. Alles bestens, nur noch ein letzter Spaziergang zum Gletscher Vadret da Fex, wo Gubler zunächst auf Wolfspuren, dann auf eine Leiche stößt. Ein schnell heraufziehendes, gefährliches Unwetter lässt ihn nur kurz Fotos von der Leiche machen, deren Kleidungsreste andeuten, dass der Tote aus dem letzten Jahrhundert stammt. Eine Ledermappe kann er noch entwenden, in ihr befindet sich ein kurzer Liebesbrief von einer Chiara an ihren Pietro.

Gubler meldet den Leichenfund an Hauptkommissar Enea Cavelti von der Kantonspolizei Graubünden in Chur, übermittelt die Fotos aber auch dem Gerichtsmediziner in Zürich. Gubler fährt zurück nach Zürich, wo es zwar entscheidende Erkenntnisse zu jenem Fall gibt, der zu seiner Freistellung führte, aber über das weitere Vorgehen, sprich über seine mögliche Rückkehr ist noch nicht entschieden. Darauf hat Gubler ohnehin keine Lust mehr, zu sehr ärgert ihn der Vorfall, vor allem aber möchte er bei Hanna sein, die beruflich nach St. Moritz zurückkehrt. Gubler fährt mit und ist erschrocken als er Wochen nach dem Leichenfund erfährt, dass die Identität des Opfers ermittelt werden konnte, der Fall aber eingestellt wurde. Offensichtlich ein Unfall, keine Hinweise auf Gewalteinwirkung, so die kurze Pressemitteilung. Nur sagte ihm der Gerichtsmediziner in Zürich, dass sehr viel dafür spricht, dass das Opfer einer Gewehrkugel erlag. Was soll in Sils vertuscht werden? Einmal mehr, möchte man meinen, denn für seine undurchsichtigen Aktionen ist der Gemeindepräsident Eros Tschumy bekannt.

Vertuschen? Nicht mit Kommissar Gubler

Autor Andrea Gutgsell hat mit „Tod im Val Fex“ einen sehr stimmungsvollen Roman geschrieben, den man mit zunehmender Dauer mehr und mehr als Krimi lesen kann. Zunächst bestimmen die Schafe und Sky die Handlung, dann Hanna und seine beruflichen Probleme in Zürich. Dies alles will aus Sicht des Protagonisten wohl beleuchtet werden, es gilt wichtige Entscheidungen zu treffen. Doch dann liegt eben das Ergebnis aus der Züricher Gerichtsmedizin vor und das Einstellen der Ermittlungen. Wegen solch einer Schlamperei wurde Gubler freigestellt, was verständlicherweise seinen Ehrgeiz weckt. Dumm nur, dass der Tote namens Pietro Fracassi seit 1962 vermisst wurde und somit nur noch wenige Zeugen zu finden sind. Und diese können oder wollen anscheinend nicht reden, was womöglich mit dem Einfluss des Gemeindepräsidenten liegt, der prompt Gubler auffordert, seine Nase nicht in fremde Angelegenheiten zu stecken.

Was anfangs noch harmlos wirkt, breitet sich bald in eine Geschichte über einen alten Steinbruch aus, in dem nicht nur hart gearbeitet wurde, sondern der zudem als Versteck für Schmuggler diente. Die „weiße Grenze“ zwischen der Schweiz und Italien, war mal wichtig und womöglich Fracassi zu sehr darin involviert.

Gubler. Nach fünfzig Jahren wird die Leiche à la Ötzi gefunden. Es stellt sich heraus, dass es sich um den vermissten Giovellai handelt, und niemand, weder die Fundaziun Cheva plattas da Fex noch die Gemeinde oder der Tourismusverein, nutzt dieses einmalige Ereignis. Im Normalfall wird eine solche Gelegenheit marketingmässig ausgeschlachtet und sicher nicht totgeschwiegen. Ausser jemand verbietet die Nachforschung.

Das Verhältnis zwischen „Ermittlung“ und Privatleben des Protagonisten ist angenehm verteilt und entspricht dem durchgängig ruhigen Plot. Es geht kaum voran, denn nach all den Jahrzehnten will ausgerechnet der wichtigste Zeuge seine Ruhe haben. Apropos Jahrzehnte. Fracassi verschwindet 1962 und der Roman spielt 2022. Beides wird mehrfach betont, ebenso wie der Umstand, welche Sensation es sei, dass nach nunmehr fünfzig (?) Jahren die Leiche gefunden wurde. Das hätte, bitteschön, schon auffallen dürfen; nicht nur dem Autor. Ein ebenso unbedeutender wie unnötiger Schönheitsfehler. Teilweise wird übrigens Romanisch gesprochen, mehrere Textstellen werden daher im Anhang übersetzt, so dass man öfter hin und her blättern muss. Fußnoten auf den jeweiligen Seiten wären die Leserfreundlichere Variante gewesen.

Wer sich für ruhige Plots über alte Fälle interessiert, darf gern zugreifen. Die Atmosphäre ist gut eingefangen, der Fortschritt der Ermittlungen entsprechend den Rahmenbedingungen ebenfalls und die Natur ist auch nicht zu vergessen. Nicht von ungefähr gilt das Val Fex als das schönste Tal im Oberengadin.

  • Autor: Andrea Gutgsell
  • Titel: Tod im Val Fex
  • Verlag: Zytglogge
  • Umfang: 200 Seiten
  • Einband: Hardcover
  • Erschienen: Oktober 2022
  • ISBN: 978-3-7296-5099-2
  • Produktseite


Wertung: 11/15 dpt


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