Alternativ #7 – Wieso bekamen die Ghostbusters Brüste?!


In den letzten Jahren gab es den Trend, Mythen und Sagen aus weiblicher oder feministischer Perspektive neu zu erzählen.

Die gerade bekanntesten Bücher sind dabei “Das Lied des Achill”, “Ich bin Circe” und viele Jugendbuch- und Fantasy-Adaptionen, die griechische Götter in neues Licht setzen und gerade Frauen, Mädchen, Queeren und Menschen unterschiedlicher Kulturen und Ethnien starke und selbstbestimmte Rollen geben.

Das ist aber kein neuer Trend, denn diese “transliterations” (hier der englische Begriff) – eine Umformung von “old stories, omitting some elements, emphasizing others, to make them part of […] new and dangerous vision of the world.” (S.135, Twice Upon Time) – gibt es schon seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten.

Aber wieso gibt es diese Geschichten? Wozu werden sie geschrieben und welche Konsequenzen haben sie?

Neuerzählungen alter Geschichten sind kein neues Konzept und werden dadurch definiert, dass aussagekräftige Passagen von Geschichten verwendet werden, um sie in einem neuen “Framework” (einem neuen Rahmen) zu erzählen (Twice Upon Time). Unter diesen Neuerzählungen können also Neuerzählungen von Geschichten, die Ergänzung von Geschichten oder hinzugefügte Perspektiven von Figuren zählen. Fanfictions aber, in welchen Autor*innen bereits etablierte Figuren nur dazu nutzen, um ihre eigenen Geschichten zu erzählen, sind keine “transliterations”. Es geht wirklich darum, etwas mit dem bereits Vorhandenen zu machen und Konzepte umzuwandeln.

Die Form, die diese Neuerzählungen annehmen können, ist dabei unterschiedlich: Ann Carol Duffy beispielsweise hat unterschiedliche Mythen und Legenden verwendet, um ihren Gedichtband “The World’s Wife” zu veröffentlichen. In ihren Gedichten greift sie eine mögliche weibliche Perspektive  auf, die humorvoll das männliche Ego bekannter Helden aufs Korn nimmt oder die Konsequenzen des “heldenhaften” Handelns aufzeigt. 

An einem meiner Lieblingsgedichte wird das verständlicher: Red Riding Hood ist inspiriert von Rotkäppchen. Während im Original Rotkäppchen auf einen großen, bösen Wolf trifft, dem sie in manchen Versionen entkommen kann, trifft Rotkäppchen in Duffys Version auf einen älteren Mann, der sie in seinen Bann zieht und mit dem sie auch ihr erstes Mal hat.

Madeline Millers “Das Lied des Achill” wiederum orientiert sich stark an Homers Troja, während sie die Handlung aus Achilles Liebhaber Patroclus Perspektive erzählt und ihre Liebesbeziehung in den Vordergrund stellt.

Aber auch die Erotik- und Jugendbücher haben schon lange alte Geschichten für sich entdeckt! Zwar würden viele Bücher technisch gesehen nicht als “transliteration” zählen, trotzdem können wir viele Bücher und ganze Reihen bei im Buchladen entdecken, in denen es um griechische Götter, Sagen und Legenden geht, die in unsere Zeit spielen und auch emanzipierte, weibliche Hauptfiguren haben, die sogar nicht weiß oder nicht hetero sind. Ganz neu sind Alexander Breckers “Lore” und Katee Roberts” Hades” und als Klassiker gibt es die Götterfunken-Reihe (wer kennt sie noch?) – und das ist wirklich nur ein ganz kleiner Ausschnitt von Büchern, die irgendwie mit der Neuerzählung alter Geschichten zu tun haben.

Diese Bücher haben gemeinsam, dass sie die Perspektive von denen aufgreifen, die zuvor nur eine kleine Nebenrolle spielten, oder sogar Opfer der ursprünglichen Hauptfiguren sein mussten.
Viele der originalen Geschichten – eben die griechischen Mythen und Sagen aber zum Beispiel auch biblische Geschichten – wurden aus einer männlichen Perspektive erzählt, mit patriarchalen Werten, in denen Frauen, weniger Wohlhabende, Schwarze, asiatische Personen, indigene Personen, Queere oder Personen mit Behinderungen Betroffene von Gewalt, Objektifizierung oder Benachteiligung waren und das auch noch als rechtmäßig angesehen wurden. 

Die Anforderung, um mit Menschenwürdigkeit behandelt zu werden, war es, einen Penis, Muskeln, Geld und weiße Haut zu haben.

Das klingt weit hergeholt?
Viele kennen bestimmt Homers Illias – ein Muss für Leute, die sich schlau fühlen wollen oder aus einem Akademikerhaushalt kommen! Grob geht es in der Illias um den Kampf um Troja, in dem namhafte Figuren wie Odysseus, Agomemon, Achillis und natürlich die ganzen griechischen Götter eine wichtige Rolle spielen. In der Geschichte geht es um Ehre und Ruhm und männlicher Stolz, der nicht verletzt werden darf.
Im Namen dieser Ehre darf gemordet und vergewaltigt, geraubt und geplündert werden – dabei ist es egal, ob die Familie zuhause jahrelang auf ein Lebenszeichen warten muss oder viele Handlungen schlichtweg unfair und unreflektiert sind. Statt anzuprangern, was für schreckliche Handlungen unsere “Helden” begangen haben, wurden und werden diese gefeiert und waren der Ursprung für Kunst und Dichterei. Währenddessen werden Frauen objektifiziert – Helena wurde gestohlen und soll jetzt wieder zurückgeholt werden.

Madeline Miller hat mit “Das Lied des Achill” gezeigt, wie grausam der Krieg um Helena gewesen sein könnte – Familien wurden zurückgelassen, Dörfer beraubt, Frauen vergewaltigt. Empfindsamkeit und Sensibilität waren kaum vorhanden.

Auch in anderen Sagen, Mythen und Legenden, die wir heute noch kennen, sind kein bloßes Relikt der Vergangenheit – heute noch inspirieren sie unsere Medien (darunter die typische Heldengeschichte), unser Zusammenleben und sogar unsere Politik. Mein Lieblingszitat kommt dabei von Björn Höcke (AfD) der in einer Rede darauf eingegangen ist, dass es mit Europa Berg ab geht, weil wir unsere “Männlichkeit” verloren haben (“Wir müssen wehrhaft werden!”: Björn Höcke in sieben Szenen – n-tv.de). Erstens möchte ich Björn Höckes “Männlichkeit” nicht haben, zweitens ist Björn dabei nur einer von vielen Rechten, die (mangelnde) Männlichkeit als Grundlage für ihre Ideologien und Selbstbilder verwenden. Andere interessante Persönlichkeiten sich Andrew Tate und Jordan Peterson, die mit ihren Incel-Armeen gerade jungen Männern (auch frauenfeindliche) Ideale aufdrängen und ihnen durch Productplacements, kostspieligen Onlinekursen oder illegalen Glücksspielen die Hoffnung verkaufen, selbst irgendwann “Erfolgreich” und reich zu werden oder viele “Bitches ficken” zu können.

Deswegen sind “transliterations” Teil eines größeren Trends, in dem insbesondere Frauen ihre Stimme zurückerobern und sich der männlichen Perspektive und patriarchalen Ideale zu entreißen.

Die Geschichten, mit denen wir aufwachsen, lesen und hören, beeinflussen uns – ob wir es merken oder nicht. Am deutlichsten wird das an Märchen: Märchen sind oft die ersten Geschichten, mit denen wir in erzählerischer Form in Kontakt kommen. Diese Geschichten, Stereotypen und Ideale, mit denen wir von klein auf konfrontiert werden, begleiten uns unser Leben lang und beeinflussen auch, wie wir eigene Lebensgeschichten wiedergeben. Zu diesem Thema habe ich bereits eine Kolumne geschrieben (Kolumne hier).

Diese Prägung endet aber nicht in unserer Kindheit, sondern findet unser ganzes Leben lang statt – unter anderem durch Werbung, die Erfahrungen unserer Bekanntschaften, aber auch weiterhin durch Bücher und Filme.

So lernen wir früh, welche Rollen Frauen und Männer erfüllen sollen, welchen Idealen wir entgegenstreben sollen, aber auch welche gesellschaftlichen Hierarchien wir unterstellt sind.

Gute Männer sind männlich und wertvolle Frauen weiblich, Arbeit ist ein Muss und Idylle verwerflich, Adel ist zu Recht adelig und ein Page kann nur aufsteigen, wenn er doch heimlich königliches Blut in sich hat.

Das was wir lesen bestimmt also mit, wie wir uns und unsere Umwelt wahrnehmen. Und wir lesen nur das, was von unseren Eltern, Lehrern, Freunden und dem Internet als gut befunden wird. 

Diese Erziehung mit heteronormativen und patriarchalen Werten, schränkt so unsere Identitätsentwicklung ein, da diese Werte bestimmte Menschen bevorteilen und andere wiederum abwerten, ohne wirklich einen Mehrwert für unsere Gesellschaft zu schaffen. Das hat nicht nur einen Einfluss auf unser gesellschaftliches Zusammenleben, (Klima-)Politik und gesellschaftliche Ungerechtigkeit, sondern auch wie wir mit uns persönlich (und sogar mit unserer Sexualität und Geschlechtlichkeit) umgehen.

Das ist unter anderem auch ein Argument für das böse “Gender-Sternchen” – hier geht es darum, die Wahrnehmung zu erweitern, da das generische Maskulinum, das wir verwenden, dafür sorgt, dass wir bei der Verwendung eher an männliche Personen oder maskuline Attribute denken, als ein tatsächlich neutraler oder sogar femininer Sprachgebrauch (Was Gendern bringt – und was nicht – quarks.de ).

Deswegen beeinflusst nicht nur, was wir lesen, unsere Wahrnehmung, sondern auch die verwendete Sprache.

Deutlich wird das auch daran, wie Frauen noch immer in den Medien dargestellt werden:  Ulla Wischermann schreibt zu der Darstellung von Frauen in Medien: ”Die vorgefundenen Frauenrollen waren extrem stereotyp konstruiert: Es handelte sich meist um Hausfrauen und Mütter oder junge, attraktive, berufstätige Frauen. Lange her, dass Medieninhalte so aussahen? Dieser Eindruck täuscht” ( Medien, Öffentlichkeit, Geschlechterverhältnisse | bpb.de ).

Frauen sind unterrepräsentiert, Frauen über 30 sind kaum auf Bildschirmen zu finden, Männer erklären meistens die Welt und insgesamt werden noch immer alte (frauenfeindliche) Stereotypen repräsentiert.

In diesem Zusammenhang, und um auch wieder zum ursprünglichen Thema zurückzukommen, möchte ich den Begriff “Gegenöffentlichkeit” nennen. So schreibt die BpB “Gegenöffentlichkeit beinhaltete hier sowohl den Ort politischer Identitätsbildung und alternativer Lebensentwürfe als auch den Raum, um Herrschaft zu kritisieren und oppositionelle, demokratisch organisierte Medien zu schaffen” (Medien, Öffentlichkeit, Geschlechterverhältnisse | bpb.de ). Das beinhaltet Medien, die herrschende Normen hinterfragen und Perspektiven zeigen, die zuvor nicht berücksichtigt wurden. Das bedeutet in der Praxis die Perspektive von Frauen, Queerer, Schwarzer, asiatischer Personen und behinderter Personen. Dieser Begriff wurde bisher als in der Politikwissenschaft verwendet, um im wissenschaftlichen Kontext soziale Bewegungen zu thematisieren und später auch, um feministische Perspektiven weiterzuentwickeln. Durch Gegenöffentlichkeit können nämlich  “Ungleichheiten und Ausschlüsse sichtbar werden und aufgrund von Klasse, Ethnizität oder Geschlecht marginalisierte Gruppen zu Wort kommen” (Medien, Öffentlichkeit, Geschlechterverhältnisse | bpb.de ).

Das bedeutet, dass Sprache und Medien auch dazu genutzt werden können, um auch neue Entwicklungen anzustoßen und gegen Stereotypen und Vorurteilen vorzugehen.

Dieses Aufgreifen neuer Perspektiven  bedeutet “das Zulassen divergierender Meinungen und durch die damit verbundene Konflikthaftigkeit ein Infragestellen der hegemonialen Öffentlichkeit” (Medien, Öffentlichkeit, Geschlechterverhältnisse | bpb.de ). So können auch Personengruppen gehört und in der Politik beteiligt werden, die zuvor ignoriert oder über deren Köpfe hinweg entschieden wurde. 

Das nennt sich umgangssprachlich Demokratie.

Gegenöffentlichkeit, die Aufnahme diskriminierter Perspektiven, moderne Neuerzählungen durch Frauen, aber auch Queere, Schwarze, Asiaten… das alles kommt nicht immer gut in der Öffentlichkeit an. Als Ariel Schwarz wurde, gab es einen lauten Aufschrei einer kleinen, aggressiven Gruppe (und das, obwohl inzwischen vermutet wird, dass Meerjungfrauengeschichten von afrikanischen Kulturen stammen), als die Ghostbusters Frauen wurden, wollte erneut eine kleine, laute und aggressive Gruppe den Film boykottieren – all das unabhängig davon, ob die Filme “objektiv” gut waren oder nicht.

Gerne werden dann Neuerzählungen als Grund genommen, sich über zunehmende Liberalisierung, Gender und deren Sternchen, Frauen im Allgemeinen und die verschwindende Männlichkeit herumzujammern. Vermeintliche “politische Korrektheit” soll dabei angegriffen werden, männerfeindliche Lügen entlarvt und die “wahren Werte” und “Familien” geschützt werden, während mit Vergewaltigungen gedroht und sich über queerfeindlichkeit, Rassismus und Misogynie gegenseitig auf die Schultern geklopft wird. 

Diese Neuerzählungen sind deswegen nicht nur Geschichten, Gedichte, Filme und Musik, die von alten Geschichten inspiriert wurden – sie schaffen eine Gegenöffentlichkeit und sind dadurch politisch, da sie Perspektiven Raum geben, die, historisch gesehen, ignoriert oder unterdrückt wurden.

Diese Geschichten geben Frauen, Queeren, von Rassismus Betroffenen und anderen marginalisierten Gruppen eine Stimme, die gehört und diskutiert wird. Dadurch werden sie Teil des öffentlichen Diskurses, der so nicht nur politischen Einfluss ausübt, sondern auch die Lebensrealität auf individueller Ebene verändern kann.

Deswegen: Lasst uns Geschichten schreiben und lesen, die Vorurteile und Stereotypen aufgreifen, die über Generationen hinweg Menschen verletzt haben, indem sie falsche und bösartige Vorurteile und Stereotype förderten und uns Normen und Ideale aufzwangen, die uns in unserer individuellen Entwicklungen eingeschränkt haben. Wir nehmen so nämlich endlich den Raum ein, der über Jahrhunderte hinweg systematisch gestohlen wurde.

Quellen und verwendete Literatur:


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