Ennio Morricone: Der Maestro (Film, DVD/BluRay)


“Ennio Morricone: Der Maestro” ist eine Liebeserklärung an die Musik und ans Kino. Giuseppe Tornatore porträtiert den Komponisten anhand eigener Aussagen, holt Weggefährten, Zeitgenossen und erklärte Fans vor die Kamera. Neben Regisseuren, mit denen Morricone zusammenarbeitete (Dario Argento, Bernardo Bertolucci, Roberto Faenza, Paolo und Vittorio Taviani, Enzo G. Castellari, Tornatore selbst sowie Sergio Leones Tochter) gibt es wohlmeinende Beiträge von Musikern wie Pat Metheny, der Morricone umfassend und kenntnisreich würdigt, Quincy Jones, Bruce Springsteen, Mike Patton und James Hetfield.

Quentin Tarantino hievt Morricone gleich enthusiastisch auf ein Level mit Beethoven, Mozart und Schubert. Der Gitarrist Bruno Battisti D’Amario gibt ihm schmunzelnd recht. So entsteht eine filmische Biografie, die sich kaleidoskopisch dem vielschichtigen Künstler und sensiblen Menschen Ennio Morricone annähert.

Morricone kommt erfreulicherweise selbst häufig zu Wort, lässt seine Kindheit, Jugend und Ausbildung (er studierte am Konservatorium von Santa Cecilia Trompete und Chormusik, später Komposition) Revue passieren, erzählt vom Zwiespalt anerkannter, kreativer Komponist mit dem Hang zur Avantgarde sein zu wollen und als Schöpfer popkultureller Werke und Filmmusik Erfolge einzuheimsen. Die aber bei seinen Vorbildern, Professoren und Kollegen wie Goffredo Petrassi oder Boris Porena eher Naserümpfen erzeugten. Elitär im Elfenbeinturm. Immerhin wurden Irrtümer eingestanden und Morricones epochale Bedeutung anerkannt. Porena schrieb ihm spät einen so rührenden wie lobenden Entschuldigungsbrief. Im Namen all derer, die Morricones Können und Wirkung lange unterschätzten.

“Er mochte keine Melodien, konnte aber meisterlich Melodien schreiben”, heißt es im Film und umreißt treffend Ennio Morricones Zerrissenheit. Die er in eine große Stärke umwandelte. Denn Morricone baute in seine Soundtracks Alltagsgeräusche, Verfremdungen und Klangexperimente ein. Seine Musik war immer mehr als pure Begleitung, Untermalung und wurde (nicht nur) durch das eingesetzte Klappern, Hämmern, Schlagen, wortlose Skandieren und Pfeifen zum ikonischen Popkulturgut.

Irgendwann arrangierte sich Morricone mit seinem Schicksal und fand immer wieder Zeit Musik unabhängig von Filmen zu komponieren und einzuspielen. “Ennio Morricone: Der Maestro” legt großes Augenmerk auf Morricone als Filmschaffendem. Für Regisseur Giuseppe Tornatore schrieb er unter anderem den Soundtrack zum wunderbaren “Cinema Paradiso”. Die gezeigten Filmausschnitte und Verweise belegen, wie wichtig Morricones Klangvisionen für die jeweiligen Produktionen sind. Was die Regisseure oder ihr Umfeld sehr gerne bestätigen. Besonders die Gebrüder Taviani erweisen sich als dankbare, witzige Kommentatoren.

Tornatores Dokumentation, inklusive der eingebauten Filmschnipsel (enthalten Spoiler), macht Lust auf Kino als gesellschaftlich relevante Kunstform und zeigt eindringlich, dass Filme Gesamtkunstwerke sind, die aus mehr als bewegten Bildern bestehen. Leider scheint diese Art der Filmkultur, die ton-, bild- und wirkmächtig sowohl Magie wie Realismus skizziert, immer mehr im Schwinden begriffen zu sein. Zugunsten einer in jeder Hinsicht überladenen cinematographischen Vollnarkose.

Neben musikanalytischen Erläuterungen ist “Ennio Morricone – Der Maestro” gespickt mit amüsanten und erhellenden Anekdoten. So bereut Morricone, dass er den Soundtrack zu “Uhrwerk Orange” (“Clockwork Orange”) nicht geschrieben hat. Kubrick hätte ihn gerne als Komponisten gesehen, doch als er mit Sergio Leone telefonierte, meinte dieser, dass Morricone keine Zeit dafür habe. Ohne mit ihm darüber zu sprechen, oder ihn zu informieren. Die Arbeit an “Giu La Testa” (“Todesmelodie”) war da schon nahezu abgeschlossen.

Verantwortlich für mehr als 500 Soundtracks brauchte sich Ennio Morricone seit Beginn der Sechziger über einen Mangel an Arbeit nicht zu beklagen. Er schuf Hymnisches, wie gemeinsam mit Joan Baez das große “Here’s To You”, dritter Part der Ballade von “Saccho And Vanzetti” oder das weltbekannte Titelmotiv aus “Il Buono, Il Brutto e il Cattivo” (“Zwei glorreiche Halunken”), Inniges wie “A Fistful Of Dynamite”, die elegische Ode an den irischen Idealisten “Sean”, große Oper wie den gesamten Soundtrack zu “C’era una volta il West” (“Spiel mir das Lied vom Tod”). Insbesondere Giallos nutzte Morricone um seiner Experimentierfreudigkeit freien Lauf zu lassen.

Morricone stellt irgendwann fest, dass er selbst sein Musik nicht objektiv einschätzen könne. So übergab er kurzerhand das Qualitätsmanagement an seine Frau Maria. Das scheint exzellent funktioniert zu haben und zeigt ihn, wie auch in den Szenen seine Kindheit und Jugend, als empathischen und überzeugten Familienmenschen. Tornatore gelingt es, die intimen Momente glaubhaft und ohne großes Pathos in Szene zu setzen. Sein Film ist über die gesamte Laufzeit hochinteressant, lehrreich ohne Zeigefinger-Attitüde und äußerst unterhaltsam.

Spannend ist es ebenfalls zu sehen, wieviel berechtigtes Lob Morricone erhält und seine Kritiker freimütig bekennen, dass ihre Ablehnung durch Neid begünstigt gewesen sein könnte, um ihn – besser spät als nie – als einen der wichtigsten Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts anzuerkennen. Das fiel auch der Oscar-Academy irgendwann auf, die ihn zwar fünfmal nominierte, aber nicht auszeichnete (u.a. “The Mission”, “Days Of Heaven” und “The Untouchables”), bis er 2007 endlich den Ehren-Oscar fürs Gesamtwerk überreicht bekam. Erst neun Jahre später gab es die Auszeichnung für die Original-Komposition zu Quentin Tarantinos “The Hateful Eight”. Immerhin.

“Ennio Morricone – Der Maestro” ist ein hinreißendes Kompendium in Sachen Musik und Kinomagie und mit rund 160 Minuten keine Sekunde zu lang. Giuseppe Tornatore gelingt das lebendige Porträt eines großen Künstlers. Eine Liebeserklärung wie sie schöner kaum sein kann. Volle Punktzahl.

Cover+ Bilder  © Plaion Pictures

  • Titel: Ennio Morricone: Der Maestro
  • Originaltitel: Ennio
  • Produktionsland und -jahr: Italien, 2022
  • Genre: Dokumentation, Filmessay
  • Erschienen: 27.04.23
  • Label: Plaion
  • Spielzeit:
    150 Minuten auf 1 DVD
    156 Minuten auf 1 Blu-Ray
  • Darsteller: Ennio Morricone
    Dario Argento
    Pat Metheny
    Quincy Jones
    Boris Porena
    Clint Eastwood
    Quentin Tarantino
    John Williams
    Hans Zimmer
    Bernardo Bertolucci
    Bruce Springsteen
    James Hetfield
  • Regie: Giuseppe Tornatore
  • Drehbuch: Giuseppe Tarnatore
  • Kamera: Giancarlo Leggeri
    Fabio Zamarion
  • Schnitt: Massimo Quaglia
    Annalisa Schillaci
  • Musik: Ennio Morricone
  • Extras Ennio: Die Demokratie der Töne, Ennio laut Tornatore,
    Backstage, Kinotrailer, Trailer
  • Technische Details (DVD)
    Video:
    2.40:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch,Italienisch, Dolby-Digital 5.1
    Untertitel:
    Deutsch
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Video:
    2.40:1 (16:9)
    Sprachen/Ton:
    Deutsch, Italienisch, DTS-HD Master Audio 5.1
  • Untertitel: Deutsch
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Produktseite
    Erwerbsmöglichkeit



Wertung: 15/15 dpt

 


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