Sarah Beicht – Weiße Kreidekreuze (Buch)


Einfühlsames Zeitzeugnis

Mit dem Erzählband „Ein Kreis aus Salz“ debütierte die Mainzer Autorin Sarah Beicht 2021, nun hat sie mit „Weiße Kreidekreuze” ihren ersten Roman veröffentlicht. Beicht widmet ihren Text einem der einschneidensten Ereignisse jüngster Zeit: Der Corona-Pandemie. Dafür begibt sie sich mit der Wahl ihres Handlungsortes, einem Bestattungsunternehmen, direkt ins Zentrum des Geschehens.

Protagonistin Janine Richter ist Bestattungsunternehmerin und gewohnt, ihre Branche im stillen Schatten allgemeiner Aufmerksamkeit zu sehen. Mit der Pandemie geraten sie und ihr Team jedoch auf einmal mitten hinein in den Strudel einer übermächtigen Krise.

Janine liebt ihren Beruf, den sie als einen wichtigen Dienst am Menschen definiert. Doch die Corona-Pandemie mit ihrer explodierenden Übersterblichkeitsrate bringen sie und ihre Leute an physische und emotionale Grenzen. Auf jeden Sarg, in dem ein Corona-Toter liegt, müssen sie zur Warnung weiße Kreidekreuze schreiben. Eine archaisch anmutende Geste, die an mittelalterliche Pest-Epidemienen erinnert. Eine Geste, die sich unweigerlich auch in die Psyche der Lebenden brennt.

 

„Mit einer schwungvollen Geste malt sie große Kreuze auf alle vier Seitenwände. Auch das gehört zum neuen Prozedere und jeder weiß, was es bedeutet“. „Seite

Beicht schildert die Härten des Corona-Alltags präzise. Arbeitszeiten rund um die Uhr, belastende Hygiene-Maßnahmen und strenge Verhaltens-Auflagen, die den würdevollen Umgang mit den Angehörigen erschweren, fordern ihren Tribut.

Janine leidet zunehmend unter der Gesamtsituation. Beicht schildert das Leben ihrer Protagonistin in leisen Tönen. Die zunehmende Vereinsamung der Hauptfigur ist fast körperlich zu spüren. Janine flüchtet sich in die Arbeit und leidet zugleich an der Mehrbelastung. Ein Teufelskreis, der sich immer enger um sie zieht. Eine in einem Sarg verbrachte Nacht im Bestattungsunternehmen wird für sie zum symbolischen Tiefpunkt.

 

„Ungelenk steigt sie auf den kleinen, beistehenden Hocker und schiebt ihre Beine in den Sarg. (…) Auf irgendeine Art und Weise ist dieser Zustand auch ganz tröstlich, denkt sie. Die Welt da draußen ist auf einmal sehr weit weg und von Krankheit und auch vom Tod bekommt sie fast nichts mehr mit.“ (Seite 89/91)

 

Beichts ruhige unaufgeregte Erzählweise macht die wachsende Traurigkeit sichtbar, in der die Protagonistin immer stärker versinkt. Janine versucht der Krise durch professionelle Distanz zu begegnen und sie sich so von der eigenen Seele fern zu halten. Doch als ihre Mutter an Corona erkrankt und sie selbst in Quarantäne muss, bricht das Drama auch in ihr privates Leben ein.

Beicht ist eine versierte Erzählerin, die weiß, wie man authentisch Atmosphäre erzeugt. Den geschilderten Alltagsszenen merkt man die sorgfältige Recherche-Arbeit an. Ihr Blick auf die Bestatter-Branche ist unbefangen und räumt mit Vorurteilen grundsätzlich auf. Beicht präsentiert uns ein lebendiges Arbeitsumfeld, das zwar den Tod zum Thema hat, aber vor allem den Lebenden dient und sich am Leben orientiert.

Mit ihrem Romandebüt setzt sie nicht nur dieser Branche ein kleines Denkmal. Es ist auch ein ansprechendes literarisches Zeugnis jüngster Vergangenheit.

 

 

  • Autorin: Sarah Beicht
  • Titel: Weiße Kreidekreuze
  • Verlag:  Brot&Kunst Verlag
  • Erschienen:  April 2023
  • Einband:  Broschiert
  • Seiten:  184 Seiten
  • ISBN:  978-3949933059

 


Wertung: 11/15 dpt

 


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