Jana Revedin – Der Frühling ist in den Bäumen (Buch)


Jana Revedin - Der Frühling ist in den Bäumen Cover
© Aufbau-Verlag

Ein Spaziergang mit Erika am Morgen, Portwein mit den Eltern am Vormittag, ein Ausritt mit Basil am Nachmittag und ein Mozart-Konzert am Abend. So sieht Reninas Tag aus. Renina ist privilegiert, obwohl ihre Mutter während der Nazi-Herrschaft enteignet wurde. Am Bodensee baut sich die Familie eine neue Existenz mit einem Verlag auf. Auch Renina arbeitet als Herausgeberin einer Frauenzeitschrift, der Lady. Doch trotz aller Privilegien gibt es etwas in ihrem Leben, das sie bedroht. Und das ist ihr Mann.

Die Geschichte beginnt mit einem Paukenschlag. Die Leser*innen werden Zeug*innen davon, welche Formen Gewalt in der Ehe annehmen kann. In diesem Fall ist sie besonders entsetzlich. Daraufhin wird die Protagonistin nach draußen begleitet, sodass der Verdacht eines Suizids aufkommt. Stattdessen trifft sie auf eine alte Bekannte, geht mit ihr spazieren und durchlebt einen für sie gewöhnlichen Tag, als wäre nichts geschehen. Es wird gelacht, getrunken, gefeiert. Alles mit Schmerzen im Unterleib.

Einiges an diesem Roman verwirrt.

Die Zeit des deutschen Neuaufbruchs bedeutete für Frauen nichts anderes, als aus dem Beruf vertrieben zu werden, um sich in die traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter zu fügen. Wollten Frauen den Führerschein machen, mussten sie dafür ihren Mann um Erlaubnis bitten. Wollten Frauen arbeiten, mussten sie dafür ihren Mann um Erlaubnis bitten. Kurz: Frauen galten kaum als eigenständige Bürgerinnen, sondern als eine Art Besitz des Mannes. Dass sie demzufolge kaum Gewalt durch ihren Mann anprangerten, ist allein deshalb schon nachvollziehbar, da beispielsweise die Vergewaltigung in der Ehe erst in den 1990ern als eine Straftat im Gesetz verankert wurde. Es ist somit anzunehmen, dass viele Frauen während der 1950er Jahre stillschweigend Dinge ertragen mussten und ertragen haben, die heutzutage angezeigt würden.

Doch trotz des historischen Settings der 50er Jahre ist nur schwer vorstellbar, dass sich eine missbrauchte Frau so verhält wie es Renina tut. Renina erträgt zwar auch stillschweigend, doch sie hat Traumatisches erfahren. Sie lächelt nicht einfach nur über dieses gerade Erlebte hinweg, sondern plaudert fröhlich, reitet aus, erlebt schöne Stunden mit ihren Freundinnen. Dieser Umstand erscheint unglaubwürdig, geht man davon aus, dass jemand, der ihr Schicksal erfahren hat, sich zurückziehen und seine Wunden versorgen würde. Denn diese Wunden existieren. Sie machen sich während der gesamten Lektüre als starke Unterleibs- und Rückenschmerzen bemerkbar.

Was die Empathie mit ihr erschwert, ist ihr privilegiertes Leben, das den gesamten Tag durchzieht und eher Abneigung hervorruft, hat die Figur doch vermutlich wenig Ahnung vom Leben der Menschen, die ihren Luxus nicht genießen.

Renina, abgeleitet von Anna Karenina, ist Herausgeberin einer neuen Frauenzeitschrift. Doch trotz der Arbeit, die ein solches Magazin erfordert, vergeudet sie ihren Tag mit Freizeitbeschäftigungen. Betrachtet man an dieser Stelle wiederholt das historische Setting und vergleicht ihren Alltag mit dem einer Frau aus der sozialen Mittelschicht, so lassen sich kaum Gemeinsamkeiten finden. Der Tag von Frauen in den 50ern war von Hausarbeit und Kindererziehung geprägt. Reninas Tag von Unterhaltungen bei alkoholischen Getränken, Reiten und davon, bewundert zu werden.

Schwer vorstellbar ist der Umstand, wie viel Zuspruch die Protagonistin aus ihrem Umfeld erhält, als sie erwähnt, sich scheiden lassen zu wollen, ohne Gründe anzugeben. Im Jahr 1953 kam dies einer sozialen Ächtung gleich. Anzumerken sei hier, dass Renina mit einem bedeutenden Wissenschaftler liiert ist, was eine Scheidung nur umso schwerer machen würde, rechtlich als auch sozial betrachtet. Jana Revedin findet für dieses Dilemma zwar eine Wendung, sodass einer gesetzlichen Trennung nichts mehr im Wege steht, doch dieses Geschehnis erscheint zu einfach. Zu günstig für das Vorhaben, welches Renina verfolgt.

»Sie hatte ihre Seele vernachlässigt. Und rächte sich eine Seele nicht, wenn man sie nicht wahrnahm, wenn man sie hastig verdrängte, weil stets scheinbar Wichtigeres anstand, jeden Morgen, jeden Abend, jede Nacht? Wurde aus fahrigem Wegsehen, aus sturem Weghören eine bleibende Blindheit, ein chronisches Verstummen?«

Fazit

Eines erreicht dieser Roman: Er regt zum Nachdenken an. Die gewaltsame und pervertierte Ehe mit einem Narzissten macht die Situation von Frauen in den aufblühenden 1950er deutlich. Sie haben keine Rechte. Frauen haben zu ertragen und zu lächeln. Anhand des Beispiels Renina wird gezeigt, dass bei aller Heimatfilm-Idylle der Schein trügen kann.

Leider gibt es für die wenigsten Frauen einen Ausweg aus einer solchen Ehe. Aber Renina ist privilegiert. Trotz aller Gewalt.

Was verwundert: Reninas Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Sie ist die Geschichte der Mutter Jana Revedins. Die Geschichte der Frau von Fred Dietrich. Und die Geschichte der Assistentin Heideggers. Alles, was dieses Buch als Roman auszeichnet und als unauthentisch erscheinen lässt, stellt somit unsere Vorstellungen auf den Kopf, wie es damals gewesen ist.

Ein Roman, der eine wichtige Botschaft transportiert!

  • Autor: Jana Revedin
  • Titel: Der Frühling ist in den Bäumen
  • Verlag: Aufbau
  • Umfang: 250 Seiten
  • Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
  • Erschienen: 15. August 2023
  • ISBN: 978-3-351-04192-2
  • Produktseite

Wertung: 11/15 dpt


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