Sylvia Schmieder – Saling aus dem Wald (Buch)


Wie wäre es, wenn man die Gelegenheit erhielte mit der Natur direkt in Dialog zu kommen? Was würde sie uns mitteilen? Würden Mensch und Natur sich überhaupt noch verstehen?

In ihrem Roman „Saling“ verwandelt Sylvia Schmieder diese Gedanken in einen märchenhaft anmutenden Prosatext. Sie erfindet Saling, ein zauberhaftes Naturwesen, einen liebenswerten Gestaltwandler, der von Neugier getrieben den Weg in die Menschenwelt wagt.

„Im tiefen Wald, nachts, im Gestrüpp ist einer zur Welt gekommen. Hat viel erlebt. Ist wieder verschwunden. Gestorben. Ist noch einmal auf die Welt gekommen. (…) Endlich wieder ein Grund zu feiern! Sie feierten, wie es ihre Art ist. Kaum merklich. Dafür sehr lang. Dann nannten sie ihn Saling. Warum auch immer. Sie wussten nicht wirklich, was er für einer war. Aber das ist nichts Besonderes, unter den waldigen Wesen, und es ist nicht wichtig, dass man einen genau bestimmt. Vieles im Wald ist ja alles und nichts, mehr als nichts, genau genommen. Und Saling gehörte ganz klar zu dieser Sorte.“Seite 9

Schmieder verzaubert ab dem ersten Satz. Ihre Prosa ist lautmalerisch perfekt komponiert. Ihre Beschreibungen lassen die Natur wie eine phantastische Szenerie erscheinen. Eine fremde magische Welt, in der alles lebt, alles atmet. Ein völlig intaktes in sich geschlossenes System, ohne Menschen.

Saling wird zum Forscher. Als ein Wesen, das zwischen den Welten wandelt, will er die Menschenwelt erkunden und verlässt den Wald.

„Und er wollte das alles wirklich gern verstehen – darin war er doch begabt –, aber jetzt drang entschieden zu viel in alle seine Öffnungen. Wie machte die Menschenwelt das? Sein Innerstes anzugreifen, ohne ihn zu berühren? Ohne ihn auch nur wahrgenommen zu haben?“ Seite 16

Saling ist eine Figur, die sich leicht in die Herzen schreibt. Nie geht von ihm eine Bedrohung aus. Sein Tun ist völlig absichtslos. Ihn trägt kein menschliches Sendungsbewußtsein. Er ist kein Messias, kein Botschafter, der belehren will. Die einzige Weisheit, die er in sich trägt, ist die Natur selbst.

Schmieder lässt ihren Protagonisten exemplarisch auf verschienene Personen treffen. Saling begegnet einer alten Frau, einem Mädchen, Vertretern der Presse und Mitgliedern einer Sekte. Jede dieser Episoden zeigt, wie sehr die Maßstäbe der Natur den Menschen fremd geworden sind. Die Menschen begreifen Saling nicht oder interpretieren ihn falsch. So münden die Begegnungen in Missverständnissen. Man reagiert mit falschen Erwartungen, Ängsten, Sensationslust und Profitgier. Einzig der Kontakt zum Mädchen Mascha lässt – dank deren kindlicher Unvoreingenommenheit  – ein Gefühl der Nähe entstehen.

Die Botschaft Schmieders ist unmissverständlich: Nicht Saling ist der Fremde, der nicht in die Welt passt. Es ist der Mensch, der sich längst der eigenen Welt entfremdet hat. Der sich nicht mehr in seiner natürlichen Umgebung zurechtfindet. Der Mensch ist für sich selbst zur größten Gefahr geworden.

„Was war gefährlich? War vielleicht alles gefährlich und manches besonders? Die Menschen liefen herum, als wären sie alamiert. Gleichzeitig schienen sie sich an diesen Alarmzustand gewöhnt zu haben.“

Ihrer Zivilisationskrikitk stellt die Autorin einen unmissverständlichen Natur-Optimismus zur Seite. Sprachgewaltig erweckt Schmieder die Natur in ihrem Roman zum Leben. Die belebte Welt ist dabei mehr als nur eine zeitlos schöne Kulisse für die archaische Hauptfigur. Sie ist Ausgangs- und Endpunkt, nicht nur im Sinne der erzählten Geschichte. Und da sie die Zeit auf ihrer Seite hat, ist sie am Ende immer die Überlebende.

„Es dauerte, bis sie Saling erkennten. Der Wald fremdelte eine Ewigkeit. (…) Saling machte es gründlich. (…) Ganz verschwunden war er nicht. Und doch war er gestorben. Am Ende haben sie ihn doch erkennt. Saling ist wieder da!“

Schmieders Figur Saling überlebt sogar den Tod. Das Naturmärchen findet so zum guten Ende. Ein Ende, welches ebenso versöhnlich wie mahnend ist. Die Natur braucht den Menschen nicht. Sie wird auch ohne ihn bestehen.

Große Lese-Empfehlung!

  • Autorin: Sylvia Schmieder
  • Titel: Saling aus dem Wald
  • Verlag:  edition federleicht
  • Erschienen:  August 2021
  • Einband:  Broschiert
  • Seiten:  180 Seiten
  • ISBN:  978-3946112709


Wertung: 14/15 dpt


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