Markus Müller-Hahnefeld alias Curry Fiasko studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film in München und ist als Autor und Regisseur tätig. Im Juli 2023 präsentierte er in den Passage Kinos in Leipzig, neben drei Kurzfilmen auch seinen Roman „Lovetube“, an dem er fünf Jahre arbeitete und welcher im Mai 2023 im Blitz Verlag erschienen ist. Booknerds war bei der Vorstellung zugegen und sprach mit ihm über seine aktuellen Projekte und warum es in seinen Werken auch gerne mal etwas obszön zugehen darf.
Hallo Markus, schön, dass du heute Zeit für ein Gespräch mit uns findest. Als erstes interessiert uns natürlich, wie es zu dem Alias Curry Fiasko kam. Gibt es dazu eine Geschichte?
Ja, aber mein Therapeut hat mir dazu geraten, damit abzuschließen.
Was hat dich als erstes inspiriert kreativ tätig zu werden? Das Buch oder der Film?
Ich denke der Film. Mein Vater hatte schon immer einen großen Filmhorizont und hat mich von frühester Kindheit an recht begeistert und umfangreich an das Medium herangeführt. Die Begeisterung für Literatur kam erst in meiner Jugend.
Deinen Fokus richtest du bei deinen Filmen, nach eigener Aussage, u.a. gerne auf schwarzhumorige Komödien, sowie Psychodramen mit Horrorelementen. Gibt es einen bestimmten Moment, der dich dazu veranlasst hat, dich diesen Stilen zu widmen?
Das ist eine spannende Frage. Ich glaube aber nicht, dass es diesen Moment so gibt. Im Laufe der Zeit kommt man mit verschiedenen Kunstformen und Stilen in Kontakt und das, was dem eigenen Naturell am ehesten entspricht, ist wohl auch das, was man machen will. Zumindest denke ich, dass es so sein sollte. Irgendwann konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass mein Leben ausgesprochen skurril ist und dass ich es am besten ertrage, wenn ich es im Genre der Komödie ansiedele. Psychodrama und Horror… Nun, hier geht es vor allem um Atmosphäre und den düsteren Kern der Seele. Die Welt kann schon verdammt finster sein. Das kann man sich manchmal gar nicht vorstellen… Sehr finster… Es beruhigt mich, in einer Inszenierung Kontrolle darüber zu haben. Dann habe ich das Gefühl, dass nicht nur Gott mit mir spielt, sondern ich auch meinen Spaß haben kann. Es gibt auch große Gemeinsamkeiten zwischen Komödien und Horror: Beide Genre sind eigentlich immer unterhaltsam und das vor allem, weil sie einige der tiefsten und imposantesten Emotionen ansprechen, die wir als Menschen empfinden können. Ich liebe es, wenn im Kino die Zuschauer lachen, weil sie meinen Film lustig finden. Aber viel lustiger ist es für mich, wenn sie erschrecken, weil ich es will. Hier bitte ich den Leser einen dämonischen Smiley zu imaginieren.
In deiner Miniformat-Serie „Willkommen zuhause“ sprichst du auf humorvolle Weise aktuelle Themen, wie die „Genderdebatte“ an und umrahmst diese unter anderem mit einem Konflikt zwischen der Generation Babyboomer und Gen Z. Welchen Stellenwert hat für dich der Humor in deinen Werken und wie wichtig ist es dir aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen?
Das ist tatsächlich paradox: Im Grunde ist mir das meist nicht wichtig. Wenn Kunst sich vornimmt den Zeitgeist zu bedienen, wird sie meist so richtig scheiße. Leider aber oft gerade deshalb auch erfolgreich. Hier gibt es die altbekannte Formel, dass man dem Publikum etwas vorsetzt, von dem man sich selbst einredet, dass man damit den Rezipienten aufklärt, ideologisch erzieht oder zu einem besseren Menschen macht. Die Zuschauer, die diese Programme finden, sind jedoch immer schon vorher der gleichen Meinung wie der Künstler. Dadurch kommt es zu einem Kulturinzest vor allem in Theater und Film. Das ist unerträglich. Das wollte ich mit Willkommen zu Hause parodieren. Allerdings wusste ich, dass ich mir damit keine Freunde mache. Darin bin ich gut.
Den Dreh des Films „Der neue Mensch“ beschreibst du als sehr aufregend, weil ihr mit einem Budget von 2000 € haushalten musstet und es auch Szenen gab, die aufgrund des Einsatzes bestimmter Effekte, nur einmal gedreht werden konnten. Wie bereitet man sich als Regisseur am besten auf solche Szenen vor?
Im Endeffekt ist jeder Dreh sehr aufwändig, selbst die kleinen, weil man dann meist mit weniger Leuten auskommen muss. In diesem konkreten Fall waren mir in den zwei Wochen vor dem Dreh fast alle Motive weggebrochen und einzelne Departements regelrecht verschwunden. Das kann bei solchen ehrenamtlichen Veranstaltungen passieren, es darf und kann niemand gezahlt werden, da so ein Film sonst ganz schnell eine hohe fünfstellige Summe kostet und er spielt meist nicht mal eine dreistellige Summe ein. Das Wichtigste, was man als Regisseur zu tun hat, ist die Vorbereitung: Sehr viel Zeit mit dem Kameramann oder in diesem Fall der Kamerafrau Teresa Renn, um das visuelle Konzept und die Auflösung (also die einzelnen Einstellungen jeder Szene) zu erarbeiten, idealerweise Proben mit den Schauspielern usw. Das Problem war, dass ich wegen dem Ausfall der besagten Departements noch einige Requisiten bauen und Szenenbild vorbereiten musste und dann eben noch kurz vor dem Dreh neue Drehorte suchen musste. Das sah dann so aus, dass ich die ganze Nacht an einem Virtual Reality-Taucheranzug gebastelt habe (der dann 3 Sekunden im Film zu sehen ist) und danach mit einem Producer durch Schlösser gekutscht bin, um Motive zu finden. Irgendwann schläft man dann gar nicht mehr und geht dann so in den Dreh. Dort kann man sich aber auch nicht allen erklären und schon hängt man in einem Teufelskreis aus Problemen. Aber zum Glück hatte ich ein Team und tolle Schauspieler, die mich aufgefangen haben (ganz so harmonisch war das nicht, aber das ist jetzt inzwischen auch egal). Aber ich wusste, dass mir das so nie wieder passieren darf. Man macht das alles ja auch um zu lernen. Der fertige Film ist dann überraschend gut geworden.
Special Effects kann man oft nur einmal machen, weil sie teuer sind und vor allem wenn Blut im Spiel ist, unglaublichen Aufwand verursachen, wenn man Kostüme wechseln und Orte reinigen muss. Bei „Der neue Mensch“ ging das noch: In meinem ersten Film an der HFF (Hochschule für Fernsehen und Film Anm. d. Redaktion) haben wir ein ganzes Hotelzimmer einfoliert, um Ella-Maria Gollmer die Kehle aufzuschneiden. Danach mussten wir das Kunstblut in den Folien balancieren, damit das Hotelzimmer unversehrt blieb. Bei „Painkiller“ haben wir Miguel Abrantes Ostrowski bei Minus 3 Grad halb nackt mit Kunstblut überschüttet und in meinem nächsten Film, meinem ersten Spielfilm, werden wir eine Figur lebendig vakuumieren. Mir als Regisseur bleibt da eh nix übrig, als mich auf den SFX-Spezialisten und das Kameradepartment zu verlassen. Am Ende ist sowas auch immer spannend.
Gibt es eine Herausforderung, die du allgemein bei Dreharbeiten als die größte empfindest und die dich vielleicht auch immer wieder antreibt?
Wenn dann am Ende ein Ergebnis entsteht und das Ganze nach was aussieht, ist das schon sehr befriedigend. Aber insgesamt sind Dreharbeiten meist eine ziemliche Quälerei. Ich persönlich kenne nichts, was anstrengender ist. Als Regisseur ist das oft so, als macht man einen Umzug mit zu wenig Leuten in zu wenig Zeit mit unfertig gepackten und doch zu schweren Kisten, währenddessen man eine Dissertation in einer Fremdsprache verteidigen muss. Aber es ist natürlich auch sehr erfüllend: Man lebt, man leidet und es entsteht ein Film. Würde ich Immobilienpreise in Excel kalkulieren hätte ich ein entspannteres Leben und mehr Geld. Aber irgendwie auch nichts zu erzählen und nichts auf der Leinwand zu zeigen und irgendwie muss man sein Leben ja rumkriegen. Es ist auch spannend aus dem Nichts zehn, zwanzig oder fünfzig Leute um sich zu haben. Bei so intensiven Projekten kommt es auch zu schönen Bindungen, aber auch zu Konflikten, die später wiederum schöne Anekdoten werden. Die geballte Ladung der menschlichen Existenz auf Steroiden. Das ist eben auch Filmemachen.
Bei der Vorstellung des Films hast du erwähnt, dass hier auch die Überlegung da war, dass das Element des „Lovetube“ eine Rolle spielen wird. Für den Film hast du diese Idee verworfen, sie aber literarisch umgesetzt. Was hat es mit dem Begriff auf sich und wie kam es dazu, dass er zum Hauptbestandteil deines Buches wurde?
Der Begriff ist bewusst trivial: Ein Lovetube. Das ist irgendwie ziemlich genau, was das Ding irgendwie auch ist. Ein Tech-organisches Sextoy. Eben ein Lovetube. Ich mag es aus unfassbaren Plattitüden enorme Komplexität zu zimmern. Für den Kurzfilm war das Thema zu umfangreich und auch schwer verfilmbar und dann liegt für mich die Idee immer nahe, das ganze zum Roman zu machen. Verfilmen kann ich den dann später immer noch. Ich will hier auch nicht weiter ausholen, denn ohne das Buch gelesen zu haben, wird es hier schnell undurchsichtig. Aber ich denke, der Lovetube hat das Potential, die Menschheit nachhaltig zu verändern und die westliche Welt konkurrenzfähig gegenüber China zu machen.
In deinem Buch geht es um den 30-jährigen Adam, der sein bisheriges Leben auf mehreren Ebenen als nicht befriedigend empfindet, weder in seinem Job noch in seiner dysfunktionalen Beziehung. Das ändert sich schlagartig, als er sich Hals überkopf neu verliebt und er zudem ein äußerst attraktives wie auch unkonventionelles Job-Angebot eines mysteriösen Tech Unternehmens erhält. Wie kam es zu der Idee für das Buch, an dem du mehrere Jahre geschrieben hast?
Es waren Gott sei Dank nur 5 Jahre. Ich habe immer mehrere Stoffe gleichzeitig in der Mache und ab und an platzt mal bei einem der Knoten. Ich saß also innerhalb von 5 Jahren immer mal wieder dran. Ich habe viel autobiographisches aus meiner Zeit in einem Münchner IT-Unternehmen verarbeiten müssen, allerdings ein ziemliches Paralleluniversum geschaffen. Mir ist immer wieder wichtig zu betonen, dass das auch für die Sexszenen gilt… Auch wenn mir das niemand glaubt. Ich habe mich eine Zeitlang sehr damit beschäftigt, wie sehr das Sexualleben von Menschen ihre restliche Existenz kompensiert. Im Nachhinein habe ich mit meinem Urteil darüber in „Lovetube“ glaube ich ein wenig übers Ziel hinausgeschossen. Ganz so düster scheint es nicht zu sein. Aber das macht nichts. Viel gruseliger war dann, das einzelne Elemente des Buches später real wurden. Beispielsweise gibt es Figuren, die unglaubliche Ähnlichkeit mit Menschen haben, die später in mein Leben traten. Es scheint, als wird real, was ich schreibe und das ist weder im Komödien- noch im Horrorgenre sonderlich beruhigend.
In deinen Filmen, wie auch in deinem Roman spielt die Erotik keine unscheinbare Rolle und wird in beiden Fällen direkt und offen präsentiert. In deinen Filmen sind es die klaren Bilder und in deinem Buch die sehr explizite und freizügige Sprache, die du hier nutzt. Welchen Reiz bildet die Nutzung dieses Themas für dich in Kombination mit den humoristischen oder auch dystopischen Elementen, die deinen Werken anzumerken sind?
Während ich diese Antwort gebe, habe ich eine Erektion und gehe davon aus, dass sie auch in einer potentiell negativen Zukunft bestehen bleibt.
Deinen Film „Painkiller“, in welchem sich der Protagonist mit einem schweren Schicksalsschlag auseinandersetzen muss, beschreibst du als Überleitung zu den Langfilmen, denen du dich künftig widmen möchtest. Was hat zu der Entscheidung geführt, den Kurzfilmen den Rücken zuzukehren? Denkst du, dass es eine Abkehr für immer sein wird?
Niemand will und kann für immer Kurzfilme machen. Im Grunde genommen sind das unsinnige Formate: Jedes Jahr werden hunderte Kurzfilme in Deutschland gedreht, gerade von den Filmhochschulen hauptsächlich für die Festivals und das in teils atemberaubender technischer Qualität. Es ist ein wunderbarer Luxus, auf diese Weise lernen zu dürfen. Das Regiestudium ist nicht ohne Grund das teuerste (zusammen mit Astrophysik). Allerdings ist es schon sehr unbefriedigend, diese Arbeit, Zeit und all das fremde Geld in ein Produkt zu stecken, dass dann kaum jemand sieht. Insbesondere wenn man nicht genug auf den Zeitgeist und aktuelle Trendthemen fokussiert ist und darum kaum bei Festivals läuft, was leider auch das Schicksal meiner Filme ist. Die meisten Kurzfilme werden ein paar Mal gezeigt und verstauben dann als Datenmüll auf Festplatten oder fristen ein trauriges YouTube-Dasein mit ein paar hundert Klicks zwischen Katzenvideos. Kurze Formate sind in der Werbung interessant oder im seriellen Konzept. Sonst leider nicht.
An welchen Projekten arbeitest du aktuell und gibt es schon ein Thema für deinen ersten Langfilm oder auch ein zweites Buch?
Was das Buch angeht, so spreche ich ungern detailliert über Stoffe, die in Arbeit sind. Ich bin seit einiger Zeit an zwei Manuskripten dran. Eins ist sexueller streckenweise expliziter, das andere würde ich als im höchsten Maße A-Sexuell bezeichnen. Seit 1,5 Jahren wohne ich in Berlin und irgendwie vergeht mir zunehmend die Lust, auf Extreme in meinem Büchern. Hier erlebt man ständig Dinge, von denen man nicht wusste, dass man sie erleben kann. Da verpufft ein wenig die Freude am Extrem. Ich spüre eher die Sehnsucht nach Ruhe und einem intellektuellen Hafen. Vielleicht schreibe ich auch einen Heimatroman über einen Mann und seiner Liebe zu einem Reh, dass immer wegrennt, wenn er es umarmen und liebkosen will. Irgendwas traurig schönes.
Beim Spielfilm „Exit Exzess“ lasse ich allerdings noch mal die Sau raus. Momentan arbeiten wir unter folgender Logline:
„Die Angst vor dem atomaren Erstschlag stürzt Berlin 2027 in Exzess und Chaos. Der größenwahnsinnige Psychologieprofessor Schnitzler hat sich zum intellektuellen Anführer einer Weltuntergangssekte erhoben. Als Kind musste die Polizeikampfausbilderin Nhu ansehen, wie der Professor ihre Mutter zum Pflegefall strangulierte. In Nhus Rachefeldzug zerstört sie gewaltsam das große Weltuntergangsritual der Sekte, auf dem sie den Professor lebendig einvakuumiert.“
Was macht für dich als Regisseur den größten Reiz aus und wo siehst du die meisten Synergien zu deiner Arbeit als Autor?
Es hält mich am Leben zu wissen, dass es einen Sinn für die teils belastend komplexe Gedankenwelt gibt, der ich mich ständig ausgesetzt sehe. Ich hoffe Menschen damit unterhalten und inspirieren zu können. Ich weiß, wie Bücher und Filme mich geprägt und mein Leben beeinflusst haben und nun auf der Seite derer zu stehen, die dieses Gefühl auch in anderen auslösen können, ist schon ein Traum der wahr wird. Und auch wenn es beängstigend ist, dass ich nicht weiß, ob ich es jemals so richtig zu großem Erfolg und Weltruhm „schaffen“ werde und ob das Regie- oder Autorenhandwerk in Zeiten von KI eine Zukunft haben, ist es schon spannend in dieser Entwicklung zu stecken. Ich denke, hier verändert sich gerade alles. Die Frage wird bald eher sein, wie ich mit den Kompetenzen als Regisseur und Autor eine KI so steuern kann, dass sie erzeugt, was ich will. Momentan bin ich davon sehr begeistert, perspektivisch auch verängstigt. Und auf jeden Fall gespannt.
Hast du Vorbilder oder auch Werke, die dich beim Drehen und Schreiben inspirieren?
Viele. Marilyn Manson und Nick Cave sind sicherlich die beiden Künstler, die mich am meisten geprägt haben. Eine Synergie aus Charles Bukowski und Tom Waits auch für eine Weile, aber mit der Phase bin ich durch. Filmisch habe ich mich immer für David Lynch, David Cronenberg, die Coen-Brüder, Tarantino, Gaspar Noe, Lars von Trier, Alejandro Jodorowski, Nicolas Winding Refn und natürlich Regisseuren wie Kubrik begeistert. Beim Schreiben hat mich vor allem Houellebecq sehr inspiriert. Und wenn es um ein Werk geht, so bin ich großer Fan des Filmes „Dark City“, der schon sehr nah an meinem stilistischen Ideal dran ist.
Vielen Dank für das Interview. Wir wünschen dir viel Erfolg und sind gespannt auf deine nächste Produktion!
- Autor: Markus Müller-Hahnefeld
- Titel: Lovetube
- Verlag: Blitz-Verlag
- Erschienen: 2023
- Einband: Taschenbuch
- Seiten: 378
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