Mary Shelley und ein Sommer der Vorahnung


© S. Marix Verlag

Der Literaturpodcast „Autorinnen im Porträt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, in jeder Episode eine Schriftstellerin in den Fokus zu rücken. Dabei schauen wir auf das Leben der Autorin und auf ihr Werk. Wer wir sind? Mariann Gáborfi und Sarah Teicher aus Leipzig. Wer mehr über die Entstehung des Podcasts erfahren möchte, schaut am besten noch einmal in die erste Folge der Kolumne: Autorinnen im Porträt und der Begriff der Frauenliteratur.
Da wir ebenfalls Redakteurinnen bei Booknerds.de sind, haben wir beschlossen, zu dem im März 2022 gegründeten Podcast eine begleitende Kolumne zu schreiben. In diesem Teil der Kolumne
sinniert Mariann über die mögliche Inspiration Mary Shelleys zu ihrem beanntesten Werk und warum dieses nach wievor von brisanter Aktualität zeugt.

Dunkle Wolken ziehen über die Villa Diodati hinweg, die Lord Byron mietete um im Sommer 1816 ausgewählte Gäste zu empfangen. Zu dem Kreis der Intellektuellen, die sich zu dieser Zeit auf dem Anwesen am Genfer See begegnen, zählten neben Lord Byron, sein Leibarzt John Polidori, die Geliebte Lord Byrons Claire Clairmont, der Romancier Percy Bysshe Shelley und eine gewisse Mary Wollstonecraft Godwin. Letztere sollte später nicht nur die Frau von Percy Shelley werden, sondern auch als Begründerin der heutigen Science-Fiction Literatur gelten.

Die Gruppe trifft sich, um auf dem Anwesen den Sommer zu verbringen, doch genau dieser Sommer sollte kein gewöhnlicher werden. Ein Jahr zuvor war der Vulkan Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa ausgebrochen. Das Gas und die Asche, die er dabei ausspuckte, zogen sich auch im folgenden Jahr noch wie ein dunkler Schleier über Nordamerika und Teile Europas.

Dieser dunkle Schleier ist fast wie eine schaurige Vorahnung, die Anlass zur Spekulation gibt, inwiefern diese Düsternis Mary Shelley im wahrsten Sinne des Wortes umgeben und sie zu ihrem weltberühmten Werk inspiriert hat, welches sie mit gerade einmal 18 Jahren verfasste. Sicher ist, dass die Anwesenden in der Villa wenig Gelegenheit hatten, um in der Natur rund um den Genfer See zu flanieren. Sie mussten sich im Inneren des Hauses die Zeit vertreiben. Man las sich gegenseitig Geschichten vor und ging auch dazu über sich selbst welche auszudenken und vorzutragen. So kam es, dass die naturwissenschaftlich interessierte Mary eine Geschichte ersann, die nicht nur ein Genre hervorbrachte, das uns bis heute fesselt, sondern die auch Fragen auf philosophischer und ethischer Ebene aufwirft, die aktueller nicht sein können. Mit „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ stellt sie die Frage nach dem Erschaffen von Leben und die Verantwortung, die diese Tat mit sich bringt.

Hört hier die Podcast-Folge zu Mary Shelley im Porträt

Shelleys Protagonist, Victor Frankenstein, wird sehr schnell von dieser Frage überwältigt und lässt sein Monster, wie er das Geschöpf nennt, das nun ohne Sinn und voller Zweifel ob seiner eigenen Existenz durch die Welt streift, schnell im Stich.1

Diese Frage nach der Verantwortung, die hier beschrieben wird, lässt sich auch bis in unsere heutige Zeit weiterdenken. Ist es nicht so, dass wir in einer Zeit leben, in der die Frage nach dem ewigen Leben schon lange keine Utopie – oder auch Dystopie – mehr darstellt? Sollten wir nicht eher auf das Hier und Jetzt und das Leben in seiner für uns kurzen Endlichkeit Wert legen sollten? Schon heute ist es möglich sich (in den USA) mittels Kryonik einfrieren zu lassen, um möglicherweise irgendwann wieder zum Leben erweckt zu werden. Doch wie erstrebenswert ist dieser Gedanke in einer Welt, in der sich schon heute die Vulkanausbrüche häufen, in der der Meeresspiegel steigt und sich die Brände ausbreiten? Warum wie ein Phönix aus der Asche auferstehen, wenn um einen selbst irgendwann nur noch ausschließlich Asche zu finden ist? Ist die Vorstellung zu sentimental oder vielleicht doch hoffnungsvoll, dass es auch jene Menschen gibt, die sich mit dieser übermächtigen Reaktion der Natur auseinandersetzen und mit ihrem Werk, sei es nun wissenschaftlich oder künstlerisch, Antworten auf diese Fragen suchen und auch schon geben und dass es sich lohnt, sich zusammenzufinden, zuzuhören und inspirieren zu lassen?

In der nächsten Kolumne wird euch Sarah wieder ihre Gedanken zu einer unserer Autorinnen im Porträt mitteilen. Ihr wollt euch auch mitteilen? – Gerne doch! Besucht uns dafür auf unseren Social-Media-Kanälen auf Instagram oder Facebook. Wir freuen uns von euch zu lesen!

Eure Mariann

  1. Ihr wollt einen Einblick in das Leben und Werk von Mary Shelley? Hier geht es zur Rezension von “Was wurde aus den Geistern”, 2022 erschienen im S. Marix Verlag ↩︎

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