Ein Theaterstück zum Buch für die Stadt „Der nasse Fisch“ in Köln-Ostheim


Intrigen und Seilschaften – Die vielen Gesichter der Wahrheit

Flyer “Intrigen und Seilschaften” © Susanne Schneider, Wilhelm Schwedes

Es ist Montag, der 20. November 2023 um 19 Uhr. Im Gemeinschaftsraum des Mehrgenerationenhauses in Köln-Ostheim ertönt eine Glocke und im gut gefüllten Zuschauerbereich wird es still. Schrille, jazzige Klarinettenmusik erklingt und sieben Darstellende laufen auf die Bühne, die ein Tanzcafé aus den späten 1920er Jahren in Berlin darstellt: das Moka Efti. Das Theaterstück „Intrigen und Seilschaften – Die vielen Gesichter der Wahrheit“ zum diesjährigen Buch für die Stadt „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher beginnt.

Bereits seit 20 Jahren ernennt eine Jury, bestehend aus Kulturredakteuren des Kölner Stadtanzeigers (KStA) und Verantwortlichen vom Literaturhaus, ein “Buch für die Stadt“. In diesem Jahr fiel die Wahl auf den Serienauftakt der „Gereon Rath“ Buchreihe von Volker Kutscher. Literaturbegeisterte Menschen in Köln und Umgebung sind dazu aufgerufen, gemeinsam das Buch zu lesen und ein Kulturevent auf die Beine zu stellen. In Köln-Ostheim findet bereits die siebte „Buch für die Stadt“ Aktion statt. Unterstützt wird sie von dem Verein „Lebensräume in Balance e.V.“, dem die meisten der engagierten Mitstreiter angehören.

Die Zeichen der Zeit

Innerhalb von zehn Wochen ist die Gruppe in den geschichtlichen Hintergrund der späten Weimarer Republik von 1929 und in die Handlung des Romans „Der nasse Fisch“ eingetaucht. Zur Einleitung in das Theaterstück lesen sie Texte vor, die die Situation und den Alltag dieser Zeit widerspiegeln: allgegenwärtiges Rauchen, der sogenannte „Blutmai“, die Desillusionierung der Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg, Frauen und ihr Wunsch, sich beruflich zu verwirklichen, heiße Nächte in der Metropole, Kriminalität und bittere Armut.

Liebe, Mord, Verrat und Moral

Als Erste betritt eine Erzählerin die Bühne, die den Protagonisten der Geschichte vorstellt: Gereon Rath, der Kriminalkommissar aus Köln, den es in die Hauptstadt zum Sittendezernat verschlagen hat. Und der seine eigene Art der Wahrheitsfindung und dunkle Geheimnisse mitbringt. Es folgt Charlotte Ritter, die die Rolle der moralischen Instanz einnimmt und mit dem designierten Helden eine feurige Beziehung beginnt. Sie ist eine emanzipierte Frau, die als Stenotypistin bei der Berliner Polizei arbeitet. Doch Charly will und kann mehr und zeigt an einem Tatort dem Schutzpolizisten, wie Spurensicherung geht.

Der Tote im Landwehrkanal entpuppt sich als Kriminalfall, der Kreise zieht: zur organisierten Kriminalität Berlins, zur Parallelgesellschaft russischer Exilanten und zu nostalgisch veranlagten Feinden der Demokratie. Diese organisieren sich in Wehrverbänden und Freikorps, bauen ein Waffenarsenal und eine Schattenarmee auf mit dem Ziel, Deutschland wieder zu Macht, Ruhm und Nationalstolz zu verhelfen. Einer ihrer leidenschaftlichsten Vertreter tritt ebenfalls auf: Bruno Wolter, Raths Vorgesetzter bei der Sitte, der im Verlauf der Handlung zum erbitterten Feind wird.

Abwechslung, Dynamik und ein überraschender Abschluss

Mit stimmungsvoller Musik, die anscheinend aus einem alten Grammophon erklingt, authentischen und witzigen Monologen, fetzigen Streitgesprächen, Tanz und Gesang werden Auszüge der Handlung aus „Der nasse Fisch“ porträtiert, mit besonderem Fokus auf Charaktere der Geschichte und die Zeichen der Zeit. Zwischen den Szenen tritt ein Zeitungsjunge auf, der passende Schlagzeilen aus dem Handlungszeitraum ausruft. Als besonderer Clou erweist sich, dass er zum Ende des Stücks aktuelle Schlagzeilen des November 2023 präsentiert. Nach Rückmeldung eines Zuschauers war dies ein kleiner Schock, denn es dauerte einige Sekunden, bis der Zeitsprung wahrgenommen wurde. So ähnlich sind sich die Zeichen der Zeit 1929 und heute.

Die Matineé zum Buch für die Stadt im Schauspielhaus Köln Mülheim

Drei der Darstellerinnen nutzen die Gelegenheit, die Matineé zu „Buch für die Stadt“ im Schauspielhaus in Köln Mülheim zu besuchen. Anne Burgmer, Leiterin der Kulturredaktion beim Kölner Stadtanzeiger und Bettina Fischer, Leiterin des Literaturhauses Köln, erzählten von der bereits 20-jährigen Tradition des „Buch für die Stadt“ Projekts.  Der Anstoß dazu kam aus Chicago, wo jedes Jahr das Literaturevent „One Book, one Chicago“ stattfindet. Diesem Vorbild nacheifernd etablierte die Kulturredaktion des Kölner Stadtanzeigers das Projekt „Buch für die Stadt“ in Köln und gewann mit dem Literaturhaus einen kompetenten Partner.

Nach der Einführung betrat der Autor des Romans „Der nasse Fisch“ Volker Kutscher die Bühne. Er erzählte im Gespräch mit Anne Burgmer, dass sich die Anfänge der inzwischen neunbändigen „Gereon Rath“-Buchreihe holprig gestalteten. Volker Kutscher ist ein Fan des Literaturstils der Neuen Sachlichkeit, was ihn mit dem ersten Buch für die Stadt, „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun verbindet. Kutscher wollte ein Crime-Noir in die Epoche der späten Weimarer Republik einbinden und dabei den Alltag der Menschen dieser Zeit einfangen. Nachdem der ehemalige Tageszeitungsredakteur seinen Job gekündigt, den Reihenauftakt geschrieben und eineinhalb Jahre erfolglos bei Verlagen eingereicht hatte, wäre er fast wieder in seinen vorherigen Beruf zurückgegangen.

Matineé mit Anne Burgmer, Volker Kutscher, Olaf Petersenn © Eva Bergschneider

Doch seine Agentur und sein Lektor Olaf Petersenn, der ebenfalls am Gespräch teilnahm, glaubten an ihn. Und schließlich stritten sich mehrere Verlage um das Manuskript zu „Der nasse Fisch“. Das Kölner Verlagshaus Kiepenheuer & Witsch erhielt den Zuschlag. Als sein Lektor schließlich zum Münchener Verlagshaus Piper wechselte, wechselte der Autor mit. Denn die vertrauensvolle und konstruktive Arbeitsatmosphäre hatte zum Erfolg der stetig wachsenden „Gereon Rath“-Reihe beigetragen. Der noch ausstehende Band Nummer zehn, dessen Handlung im Jahr 1938 angesiedelt wird, soll die Serie abschließen. Inzwischen ist Volker Kutscher sicherlich der bekannteste Autor von Historischen Kriminalromanen in Deutschland. X Filme Creative Pool verfilmt in Kooperation mit Pay-TV Sender Sky und der ARD seine Buchreihe als TV-Serie mit dem Titel „Babylon Berlin“. Vier aufwendig produzierte Staffeln wurden inzwischen von vielen Zuschauer:innen begeistert geschaut.

Hoffnung auf eine stabilere Demokratie als in der Weimarer Republik

Anne Burgmer und Volker Kutscher unterhielten sich nicht nur über den Werdegang der Romanreihe, sondern auch über die Relevanz der Handlungsthemen für die heutige Zeit. Volker Kutscher zeigte sich besorgt über den Status der Demokratie und den erneut aufflammenden Antisemitismus seit dem Beginn des Kriegs in Israel und im Gaza-Streifen. Als besorgniserregend naiv bezeichnete er die einseitig pro-palästinensischen Äußerungen von Klima-Aktivistin Greta Thunberg, von denen sich sogar die deutsche „Fridays for Future“ Bewegung deutlich distanziert. Dem Autor ist wichtig zu zeigen, dass das böse Ende der Weimarer Republik im Nationalsozialismus mitnichten unausweichlich war. Denn die Nazis kamen mitten aus dem deutschen Volk. Gefragt nach dem sich aufdrängenden Vergleich zur aktuellen politischen Situation äußerte Kutscher die Hoffnung, dass wir inzwischen mehr wissen und der Gesellschaft die Demokratie nicht gleichgültig ist.

Natürlich las Volker Kutscher aus seinem Buch „Der nasse Fisch“. Er trug die erste Szene vor, in der Gereon Rath auftritt. Das Sittendezernat der Berliner Polizei stürmt das Atelier des „Pornokaisers“, der Sexfotos mit Männern fotografiert, die wie ehemalige deutsche Kaiser aussehen. Des Weiteren stellte Kutscher eine Szene vor, die auch im Theaterstück vorkommt. Charlotte Ritter ermittelt mit ihrem Chef Kriminalrat Böhm am Tatort, an dem ein Toter im Auto durch die Böschung raste und im Landwehrkanal unterging. Gebannt folgten die Gäste der Matineé der Diskussion und der Lesung und hatten schließlich noch die Gelegenheit, ihre „Gereon Rath“ Bücher von Volker Kutscher signieren zu lassen.

Fazit

“Buch für die Stadt” Ensemble Köln-Ostheim © Michael Schneider

Die Aufführung des Stücks „Intrigen und Seilschaften – Die vielen Gesichter der Wahrheit“ war ein voller Erfolg, wie der Applaus der Gäste und Rückmeldungen beim anschließenden Plausch zeigten. Der „Buch für die Stadt“ Abend war nach dem Stück für Besucher und Darsteller:innen nicht zu Ende. Snacks, Getränke und Wohlfühlatmosphäre luden zum Verweilen, Diskutieren und Lachen ein. Der Eintritt kostete nichts, es durfte allerdings für israelisch – palästinensische Friedensarbeit gespendet werden. Über 300 Euro werden an die Gesellschaft im Wandel gUG überwiesen und unterstützen ihr Trialogie-Projekt, in dem eine Deutsch-Palästinenserin und ein Deutschjude mit israelischen Wurzeln Workshops an Schulen anbieten. Eine weitere Aufführung fand eine Woche später in der Auferstehungskirche in Köln-Ostheim statt und war ebenso unterhaltsam und erfolgreich, wie die Premiere. Im nächsten Jahr 2024 gibt es wieder ein „Buch für die Stadt“ und eine neue Gelegenheit für ein kulturelles Highlight in Köln-Ostheim.


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