Daniel Cole – Die Muse (Buch)


Grobmotorische Feinkost

London. Februar 1989. Im Hyde Park wird eine denkwürdig zugerichtete Leiche gefunden. Auf einem Sockel sitzt ein nackter Mann, arrangiert wie der „Denker“ von Auguste Rodin. Weit mehr schockiert DS Benjamin Chambers von der Metropolitan Police allerdings der Umstand, dass die vermeintliche Leiche noch lebt. Allerdings nur noch kurz, denn bei den eilig eingeleiteten Rettungsversuchen verstirbt das Opfer. Unterstützt von Adam Winter vom Polizeirevier Shepherd’s Green übernimmt Chambers den Fall, der sehr schnell eine weitere dramatische Note erfährt. In einem Reihenhaus werden Nicolette und ihr Sohn Alphonse Cotilard tot aufgefunden. Das Paar erinnert in seiner Pose an die „Pièta“ von Michelangelo.

Die Zeit drängt und Chambers / Winter haben schnell zwei Verdächtige ausgemacht. Der für die Restaurierung des demontierten Denkmals aus dem Hyde Park zuständige Restaurator und ein Schwimmfreund von Alphonse. Dabei macht der Restaurator lediglich seinen Job. Jedenfalls erkennt der dauercholerische Chef DCI Hamm die Qualität seiner Helden, was sich in Äußerungen wie „Sie zwei Schwachköpfe…“ und ähnlichem niederschlägt. Chambers selbst bietet nach knapp einem Viertel des Romans sein ganzes Können auf.

Einer von uns gräbt den Garten um, während der andere den Seilzug beschlagnahmt.“
„Ohne Durchsuchungsbeschluss?“
„Ohne Durchsuchungsbeschluss. Und ohne lang zu fackeln. Selbstbewusstsein ist hier das A und O.

So passt es, dass aus heiterem Himmel ein Obdachloser auf der Bildschirmfläche erscheint, ein Geständnis für den Mord im Hyde Park ablegt und prompt lebenslang einfährt. Chambers wird derweil lebensgefährlich verletzt, worauf die Ermittlungen eingestellt werden.

Sieben Jahre später durchforstet die junge Constable in Ausbildung Jordan Marschall alte Akten und stößt dabei auf den seltsamen Fall. Dabei ist Marshall eigentlich im Drogendezernat tätig, was passt, da sie selber immer wieder mal gerne Heroin spritzt. Der Serienmörder von einst erweckt indessen zu neuem Leben.

Hirn aus – Film ab. Dann geht’s.

Wie man aus dem oben erwähnten Zitat ersehen kann, ist „Die Muse“ ein Thriller grobmotorischer Prägung. Die Polizisten sind holzschnittartig gezeichnet und wirken wie Karikaturen ihrer realen Vorbilder. Denken scheint Glücksache zu sein, das Einhalten üblicher Vorschriften von untergeordnetem Interesse. So hat man spätestens bei o. g. Zitat auf Seite 99 die Gelegenheit, das Buch final aus der Hand zu legen. Da die Figuren völlig leblos wirken, kann man mit ihnen kaum mitfühlen; Chambers schwerer „Unfall“ lässt einen daher kalt. Passiert halt, wenn man ein Depp ist.

Im Zweiten Abschnitte, welcher die letzten zwei Drittel des Werkes umfasst, wird es mit Marschall kaum besser, allerdings nimmt der Plot noch einmal Fahrt auf. Noch mehr? Ja, das geht, jedenfalls wenn der Autor Daniel Cole heißt. Es ist durchaus beeindruckend. Achtung, kleiner Spoiler. Nach weniger als der Hälfte ist (auch mangels Alternativen) klar, wer der gesuchte Serienmörder ist. Dies ist praktisch, muss man sich mit den weiteren Opfern und deren Hintergründen nicht weiter aufhalten. Auch Zeugenaussagen sind kaum nötig, denn die einzige offene Frage lautet: Wo ist er?

Spektakulär gelingt es Cole, die Handlung noch über zweihundert Seiten zu strecken, bevor es zum Showdown kommt. Dabei wird die Geschichte schlicht runtererzählt; ohne Stolperfallen. Was passiert, passiert, weil es eben passiert. Die Ermittler sehen den nächsten Mord zwar voraus, können diesen aber (wiederholt) nicht verhindern. Da hilft nur Galgenhumor oder wie im vorliegenden Fall ein Kalauer nach dem nächsten, die selbst Berufsschülern die Schamesröte ins Gesicht treiben dürften. Positiv sei erwähnt, dass in der Schlusshälfte die vermeintliche Motivation des Künstlers recht ausführlich erklärt wird, was wiederum umfangreiche Ausflüge in die Antike und deren Mythen und Sagen zur Folge hat.

Kurzum: Wer auf knallige Action steht, bei der die Logik außen vor bleiben darf, mag hier zugreifen. In Zeiten, in denen im TV zahlreiche Trashformate wie „Z-Promi-Island“ und Co. mitunter respektable Einschaltquoten erzielen, finden auch Werke wie „Die Muse“ ihre Fans. Vermutlich ist es die gleiche Zielgruppe. 

  • Autor: Daniel Cole
  • Titel: Die Muse
  • Originaltitel: Mimic Aus dem Englischen übersetzt von Sybille Uplegger
  • Verlag: Ullstein
  • Umfang: 448 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Februar 2024
  • ISBN: 978-3-548-06882-4
  • Produktseite

Wertung: 6/15 dpt


Schreibe einen Kommentar

Hinweis: Mit dem Absenden deines Kommentars werden Benutzername, E-Mail-Adresse sowie zur Vermeidung von Missbrauch für 7 Tage die dazugehörige IP-Adresse, die deinem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, in unserer Datenbank gespeichert. E-Mail-Adresse und die IP-Adresse werden selbstverständlich nicht veröffentlicht oder an Dritte weitergegeben. Du hast die Option, Kommentare für diesen Beitrag per E-Mail zu abonnieren - in diesem Fall erhältst du eine E-Mail, in der du das Abonnement bestätigen kannst. Mehr Informationen finden sich in unserer Datenschutzerklärung.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Du möchtest nichts mehr verpassen?
Abonniere unseren Newsletter!

Total
0
Share