Kenneth Fearing – Die große Uhr (Buch)


Auf der Jagd nach sich selbst

Die große Uhr
© Elsinor

Der einflussreiche Medienmogul Earl Janoth ist nach einer Veranstaltung auf dem Weg zu seiner Geliebten Pauline Delos. Vor ihrem Wohnhaus sieht er, wie sie sich gerade in einiger Entfernung von einem Mann verabschiedet, wodurch er von ihrer Affäre erfährt. Allerdings steht der Fremde im Schatten, so dass er ihn nicht erkennen kann. In Paulines Wohnung erzählt sie Earl, wo sie waren. In einer einfachen Kneipe, einem Antiquariat und einer Bar. Einen, wenngleich fiktiven, Namen des Fremden gibt es obendrein. Es kommt zu einem Streit, dem Einsatz einer Brandy-Karaffe und letztlich zu einer schönen, wenngleich ermordeten Pauline.

Warum nicht? Ich kannte das Risiko und den Preis. Und dennoch – warum nicht? Vielleicht gehörten Risiko und Preis ja sogar zu den Gründen, es zu tun. Der Preis wäre hoch; man bräuchte glänzende Lügen und viel Schauspielerei; aber wenn ich bereit war, diesen Preis zu zahlen, warum nicht? Noch größer waren die Gefahren. Von denen hatte ich nicht einmal eine Ahnung.

In seiner Verzweiflung wendet sich Janoth an seinen Geschäftspartner Steve Hagen, will sich gar der Polizei stellen. Doch der Konzern Janoth Enterprises ist wirtschaftlich schwer angeschlagen, es gilt zu kämpfen und so bietet Hagen seinem Boss ein Alibi an. Es gilt zudem, den großen Unbekannten zu finden, denn, wenn dieser den ganzen Abend, noch dazu unter Zeugen, mit Pauline unterwegs war, dann liegt doch auf der Hand, dass er der gesuchte Mörder ist. Im Verlagshaus wird George Stroud, seines Zeichens Chefredakteur eines True-Crime-Magazines sowie Kunstsammler und Alkoholiker in einer Person, auf die Recherchen angesetzt. Auf zweitausend Beschäftigte könnte Stroud zugreifen, da muss er einen Fremden, auf den es einige Hinweise gibt, mit einem ausgewählten Team wohl schnell finden können. Eine allerdings nur scheinbar einfache Aufgabe, denn Stroud selbst ist der gesuchte Liebhaber.

Platz 3 der Krimibestenliste im Februar 2023

„The Big Clock“, 1946 erstmals im Original erschienen, gilt als einer der großen Klassiker des Noir, wobei der Autor Kenneth Fearing bei uns nahezu unbekannt ist, da es bislang keine Übersetzungen gab. Umso erfreulicher, dass Krimiexperte Martin Compart das vorliegende Werk bei Elsinor herausgegeben und gleich noch mit einem 25-seitigen Nachwort versehen hat. In dem Nachwort gibt es ausführliche Erklärungen zu dem Roman, dessen Verfilmung sowie einen Überblick über das Gesamtwerk des Autors (Fearing ist hauptsächlich als Lyriker bekannt) und natürlich dessen Biografie.

Vielleicht war ich es auch einfach nur leid, immer das zu tun, was sich gehörte; noch mehr verabscheute ich vermutlich, bleiben zu lassen, wovon man besser die Finger ließ.

„Die große Uhr“ steht stellvertretend für die moderne Arbeitswelt, in der die Zeit zum Wohle der Unternehmen gefressen wird und sich der Mensch als Individuum nicht immer zurechtfindet. So auch Stroud, der mit seinem Job hadert und mehr Gehalt verlangt. Man darf also durchaus den Roman auch als Kapitalismuskritik des Autors, ein Marxist, der Probleme mit der Kommunistischen Partei hatte und gegen den Stalinismus ankämpfte, verstehen. Oder man liest es halt einfach als einen Noir, in dem der Protagonist gegen sich selber ermittelt. Ein tolles Sujet, großartig umgesetzt. Selbst vom meist kritischen Raymond Chandler, so ist auf der Buchrückseite zu lesen, gab es größtes Lob.

„Die große Uhr“ beginnt auf den ersten Seiten leicht sperrig, bevor es plötzlich Schlag auf Schlag geht. Die Figuren sind eingeführt, Pauline Delos ermordet und nun kann Stroud sehen, wie er aus der Nummer wieder rauskommt. Hätte er mal lieber die Finger von der attraktiven Blondine gelassen, was für einen notorischen Ehebrecher natürlich schwerfällt. Stroud ist nicht unbedingt sympathisch. Wie gesagt ein Ehebrecher, noch dazu ein schwerer Alkoholiker (wie der Autor) und dennoch ein Vater, der sich um seine Tochter liebevoll kümmert. Kunstsammler ist er außerdem, was ihn fast zu Fall bringen wird.

Stroud ist ohne Frage die Hauptfigur, gleichwohl nicht der einzige Ich-Erzähler. Wie in all seinen Romanen schreibt Fearing aus mehreren Perspektiven; im vorliegenden Fall sind es gleich sieben. Neben Stroud und Janoth wären noch Hagen, Strouds Frau Georgette, eine Künstlerin sowie zwei Reporter zu nennen. Der Schreibstil, sprich die sieben Ich-Erzähler, ist kurzzeitig gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber sehr gut. Packend ist zu verfolgen, wie sich die Schlinge um Stroud mehr und mehr zuzieht. Wer ungewöhnliche Plots mag sollte hier zugreifen und sich nicht zuletzt auf das ebenso informative wie detailverliebte Nachwort freuen.

  • Autor: Kenneth Fearing
  • Titel: Die große Uhr
  • Originaltitel: The Big Clock (1946). Aus dem Amerikanischen von Jakob Vandenberg. Mit einem Nachwort von Martin Compart
  • Verlag: Elsinor
  • Umfang: 200 Seiten
  • Einband: Taschenbuch
  • Erschienen: Dezember 2022
  • ISBN: 978-3-942788-71-7
  • Produktseite


Wertung: 12/15 dpt


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