“Schmerzwinter” ist Nichts für zarte Gemüter

Leichter Schneefall über Hamburg. In einem Waldstück werden die Leichen von zwei jungen Frauen gefunden, die auffällig inszeniert wurden. Beide wurden unter anderem erschossen, zudem gibt es zahlreiche Körperöffnungen in Form von Ösen, die ihnen der Mörder verpasst hat. Die Obduktion ergibt, dass eine der beiden Frauen die andere erschossen hat. Ermittler Jan Nygård steht vor einem Rätsel, hat aber noch ein ganz anderes Problem zu lösen. Zwei Jugendliche haben mit Nygårds siebzehnjähriger Tochter Leonie etwas getrunken und es waren wohl auch Drogen im Spiel. Als sie Leonie auf ein Boot holen wollten, schlug Nygård einen der beiden Jungs ins Gesicht. Dieser war dummerweise Tim Roger, der Sohn der Staatsanwältin. Eine Überreaktion von Nygård und seit dem Tod seiner Frau vor drei Jahren nicht die erste.
Die neue Psychologin des LKA, Anna Wasmuth, soll ihn betreuen, doch Nygård hält nichts von dem Psychokram. Kurz entschlossen entscheidet sein Chef, dass Wasmuth ab sofort Nygård zur Seite stehen soll; quasi als Aufsicht. Derweil stoßen die Ermittler auf einen über zwanzig Jahre alten Fall. Damals hatte Karl Achten mindestens sieben Frauen ermordet und wie Puppen hergerichtet. Hat der „Puppenmacher“ einen Musterschüler gefunden? Weit gefehlt, denn der Mörder sieht sich selbst als den Meister schlechthin und hat bereits weitere Opfer gefunden.
Temporeiche Action von Derek Meister
„Schmerzwinter“ ist der Serienstart für Jan Nygård aus der Feder von Aaron Sander, den man womöglich als Marc Jansen („Polizeitaucherin Svea Roth“) kennen könnte, wobei dies in beiden Fällen nicht stimmt, denn hinter den Pseudonymen verbirgt sich Derek Meister, der zwischen 2006 und 2012 mit seiner Rungholt Reihe (spielt gegen Ende des 14. Jahrhunderts) ein deutliches Ausrufezeichen setzte. Wer historische Romane mag, sollte Rungholt kennen (lernen), aber dies nur als Hinweis am Rande.
Fans von Sebastian Fitzek, Arno Strobel, Veit Etzold und Co dürfen blind zugreifen. „Schmerzwinter“ ist ein tempo- und actionreicher Pageturner für all jene, die ihre Buchempfehlungen nicht der Krimibestenliste entnehmen. Soll heißen, hier geht es in knackigen Kapiteln voran und etliche Cliffhanger drücken zusätzlich auf das Gaspedal. Dass die Geschichte – sehr freundlich formuliert – arg konstruiert ist, muss man billigend in Kauf nehmen und ebenso ein besonders abstoßendes Verbrechen, dessen mitunter detailgetreue Darstellung man aushalten muss respektive möchte. Der Begriff „Gewaltporno“ fällt einem ein.
Lässt man sich auf das brutale Verbrechen ein, so kommt der Genreliebhaber auf seine Kosten. Der Protagonist ist nicht wirklich sympathisch, leidet seit drei Jahren unter dem Tod seiner Frau, die nach seiner Ansicht gezielt ermordet wurde. Ein Mord, den er nicht verhindern konnte und der Täter nie gefasst wurde. Seither gilt seine Fürsorge seiner kurz vor der Volljährigkeit stehenden Tochter, die wenig Interesse daran hat, sich weiter bevormunden zu lassen. Leicht traumatisiert von den damaligen Ereignissen hat Nygård eine kurze Zündschnur und gibt den Prototyp des prügelnden Polizisten.
Der Spannungsbogen ist durchaus hoch, wenngleich anders als erwartet. Der Täter steht irgendwann fest, gegen Mitte des Romans gerät Nygård sogar unter dessen Kontrolle, ohne Chance, sich dieser entziehen zu können. Doch der Roman geht weiter dank eines unerwarteten Kunstgriffs und so stellt sich die Frage, wann der Täter gestellt werden kann und wer ihm bis dahin womöglich noch zum Opfer fällt. Wenig überraschend ist der Showdown recht blutrünstig, wobei sich der Autor eine beachtenswerte Schlusspointe hat einfallen lassen.
- Autor: Aaron Sander
- Titel: Schmerzwinter
- Verlag: Lübbe
- Umfang: 352 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: September 2022
- ISBN: 978-3-404-18807-9
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Wertung: 11/15 dpt