Agenten, Verräter und Mörder in Cambridge

Im Februar 1970 kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen bei einer Studentendemonstration, bei der zwei Menschen von Steinen getroffen werden. Einer der Anführer von damals ist der heutige Geschichtsprofessor Hunt, der niemals für die Geschehnisse belangt wurde. Heute ist er Doktorvater von David, Sohn von Stef, einem früheren Studentenkollegen von Hunt und Teilnehmer an besagter Demo; Jasper, ein Kalifornier, der eine Doktorarbeit über die Studentenproteste in den 1970er Jahren schreiben möchte und die deutsche Wera, die an einer Arbeit über den Jahrhundertspion Kim Philby schreibt. Es zeigt sich, dass nicht nur ab den 1930er Jahren die legendären Cambridge Fünf (Kim Philby, Donald Maclean, Guy Burgess, Anthony Blunt und John Cairncross) für die Russen gearbeitet haben, sondern dass das Anwerben von Studenten an Eliteuniversitäten bis heute unvermindert fortgesetzt wird.
„Sie waren in der Kommunistischen Partei?“
„Zeitweise.“
„Wann haben Sie Ihre Meinung geändert?“
„Als ich 1934 die Sowjetunion besuchte.“
Als Wera in Professor Hunts Büro die Leiche eines ermordeten Erwachsenen findet, gerät die ebenso elitäre wie exzentrische Collegewelt noch mehr ins Wanken. Was hat der Professor mit dem Toten gemein? Ist er der Mörder oder will ihm jemand den Mord anlasten? Und welche Rolle spielte Hunt bei der Demo 1970 genau? Wera entdeckt zudem auffällige Parallelen zwischen Hunts Leben und jenem von Kilby. Indessen fragt sich Hunt, wer wiederum ihm Böses möchte und wer eigentlich diese junge Frau aus Deutschland genau ist?
Vertrackter Spionageroman und spannende Biografie
Hannah Coler aka Karina Urbach („Das Haus am Gordon Place“) hat mit ihrem ersten Roman „Cambridge 5“ ein furioses Werk vorgelegt, welches für alle Fans von Spionagegeschichten „Pflicht“ sein sollte. Der Plot spielt in drei Zeitebenen und beleuchtet einerseits die Biografie von Kim Philby, den größten Verräter Großbritanniens, die Ereignisse bei dem Studentenprotest 1970 und den Geschehnissen respektive dem Mord in der Gegenwart. Wie bei solchen Romanen üblich, ist die Verwirrung groß, denn es bleibt bis zum Schluss unklar, wer hier welche Rolle übernommen hat beziehungsweise auf welcher Seite steht.
Kim Philby und seine Generation von jungen Studenten litten unter den sozialen Ungerechtigkeiten ihrer Gesellschaft. Der Hass auf die alten Männer, die den Weltkrieg nicht verhindert hatten, saß tief. Diese unfähige Vätergeneration hatte ihre Söhne auf die Schlachtfelder geschickt, während sie sich im Casino ihre Zigarren ansteckte.
Das Leben von Kim Philby (1912-1988) wird in Auszügen aus Weras beginnender Doktorarbeit erzählt, in denen sie auf zahlreiche Interviews und Memoiren damals beteiligter Personen Bezug nimmt. Eine wesentliche Rolle spielen auch die sogenannten Mitrochin-Papiere, benannt nach dem KGB-Offizier Wassili Mitrochin, der später die Seiten wechselte. Wie Studenten aus guten Kreisen in den 1930er Jahre angeworben wurden, sie sich in teils höchste Ämter hocharbeiten konnten und worüber sie letztlich stolperten, wird spannend und eindringlich am Beispiel der „Cambridge 5“ erzählt. Philby beispielsweise wurde 1944 Chef der Sektion IX beim britischen Nachrichtendienst, dessen Aufgabe es war, kommunistische Agenten zu entlarven. Ironie der Geschichte: Er selber war der Größte. Fünf Jahre später wurde er gar britischer Verbindungsmann zur CIA und dem FBI in Amerika.
Seine letzten Worte auf dem Sterbebett lauteten: „Bringt mich weg, es ist langweilig hier.“
Ein Leben in ständiger Angst vor Entdeckung wird in dem Roman greifbar. Ebenso die Auswahl geeigneter Personen als Spione, denn es sind nicht nur jene aus besseren Verhältnissen mit entsprechend guten Karrierechancen, sondern vielmehr die Unauffälligen. Hier kommen besonders Frauen ins Spiel, die nicht nur als „Sexfallen“ eingesetzt werden, sondern beispielsweise als Reinigungskräfte in den besten Häusern arbeiten, wo sich ein Blick auf und vor allem in die Schreibtische des Dienstherrn lohnen mag.
Wenn es nicht in einem Cambridger College passiert wäre, sondern in einer Sozialbauwohnung in King’s Hedges, hätte kein Hahn danach gekräht. Aber Cambridge und Oxford hatten immer diesen Mythos, es war das Refugium der Elite, hier witterte jeder einen saftigen Skandal. Die Leute hatten einfach zu viele Folgen von Inspektor Morse gesehen.
Die Stärken des Buches liegen vor allem in der Darstellung des Lebens von Kim Philby sowie der sehr geschickten Verästelungen zwischen den Ereignissen von heute (2014/2015) und jenen der 1970er Jahre. Wer warf die Steine? Wer mordete in Hunts Büro? Wo liegt das jeweilige Motiv oder sollte mal wieder alles nur vertuscht werden? Fragen über Fragen und eine klare Empfehlung!
- Autorin: Hannah Coler (Karina Urbach)
- Titel: Cambridge 5
- Verlag: Limes
- Umfang: 416 Seiten
- Einband: Taschenbuch
- Erschienen: Oktober 2019
- ISBN: 978-3-7341-0825-9
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Wertung: 13/15 dpt