Brigitta M. Schulte – Ruhrgemüse, polnisch (Roman)

Ende des 19. Jahrhunderts kehren die polnischen Zuwanderer Adam und Zuzanna Koszynski ihrer Heimat in Westpreußen den Rücken und siedeln sich in Dortmund an. Im Ruhrgebiet wollen sie sich ein neues Leben aufbauen. Hier ist der Bedarf an Arbeitskräften groß. Industrie und Bergbau boomen. Doch der Aufstieg bleibt zunächst nur ein Traum. Der Lohn ist knapp, die Arbeitsbedingungen sind hart. Ein Arbeitsunfall wirft Adam zurück. Doch er und seine Frau geben nie auf.

In ihrem Roman „Ruhrgemüse, polnisch“ nimmt uns Autorin Brigitta M. Schulte mit in eine Epoche großer gesellschaftlicher Veränderungen. Es ist die Zeit der erwachenden Arbeiterbewegung, die Geburtsstunde der Gewerkschaften, aber auch die Zeit großer politischer Umwälzungen und des Ersten Weltkrieges.

Ins Zentrum ihres Erzählens stellt sie exemplarisch das Paar Adam und Zuzanna. Exzellent recherchiert zeichnet sie das Alltagsleben der Menschen nach und serviert uns dabei immer wieder wissenswerte Details. So werden wir beispielsweise sogar ganz nebenbei Zeugen der Geburtsstunde des BVB Dortmund. Schulte gelingt es hervorragend die verschiedenen Lebensbereiche einzubeziehen und deren gesellschaftliche Relevanz sichtbar zu machen. Doch trotz der großen Ereignisse, in deren Schatten sich die Familie bewegt, bleibt Schultes Fokus immer auf die persönliche Geschichte ihrer Protagonisten gerichtet.

Der Traum vom wirtschaftlichen Aufstieg, von sozialer Gerechtigkeit und besseren Lebensbedingungen sind ebenso Thema wie die innere Zerissenheit und die Suche nach neuer nationaler Identität. Trotz aller Bemühungen „deutsch“ zu sein, erleben Adam und Zuzanna Diskriminierung und Benachteiligung wegen ihrer Herkunft.

Schulte zeigt uns ein sehr komplexes, spannungsreiches Bild. Diese Bevölkerungsgruppe war alles andere als homogen. Während Familie Koszynski alles daran setzt, um in Deutschland anzukommen und als Deutsche wahrgenommen zu werden, man ändert sogar den Nachnamen zu Kosshofer, halten andere verstärkt an ihrer polnischen Identität fest.

Die Autorin fängt den Zeitgeist mit all seinen unterschiedlichen Strömungen sehr gelungen ein und stellt den persönlichen Verdienst von Menschen wie Adam und Zuzanna Koszynski, die ihr gewerkschaftliches Engagement zum Lebensmittelpunkt machten, deutlich heraus. Der Begriff Arbeitskampf erhält hier eine besondere Würdigung. Die Bedeutung einer Errungenschaft wie z.B. dem Acht-Stunden-Tag wird hervorgehoben. Schultes Roman ist Geschichtsstunde zum Anfassen und setzt der Arbeiterbewegung ein verdientes Denkmal.

Mit nur ca. 180 Seiten Umfang ist „Ruhrgemüse, polnisch“ schnell zu lesen, ohne Tiefe oder historische Details vermissen zu lassen. Schultes Sprache ist klar, die Erzählstruktur ist immer übersichtlich. Empathisch bindet sie ihre Leser:innen an ihre Figuren. Nur gegen Ende des Romans verliert der Text etwas von dieser Nahbarkeit. Der Übergang in eine neue Epoche deutet sich schmerzlich an.

Fazit: „Ruhrgemüse, polnisch“ ist ein Familien-Roman zwischen Ankunft und Herkunft vor dem ereignisreichen Hintergrund enormer gesellschaftlicher Umwälzungen. Schulte stellt komplexe historische Zusammenhänge empathisch und übersichtlich dar. Der Roman steht aktuell auf der Longlist der Hotlist 2025. Eine Nominierung für die Shortlist wäre absolut verdient.

  • Autorin: Brigitta M. Schulte
  • Titel: Ruhrgemüse, polnisch
  • Verlag: STOUX edition
  • Erschienen: Mai 2025
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 188 Seiten
  • ISBN: 978-3948065409

Wertung: 13/15 dpt

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