
Was wäre Alfred Döblins Klassiker „Berlin Alexanderplatz“ ohne Berlin? Gar nichts. Wie viel würde fehlen, wenn Barcelona keine Rolle spielen würde in Carlos Ruiz Zafóns „Der Schatten des Windes“? Sehr viel Atmosphäre würde wohl fehlen. Armistead Maupin könnte ohne San Francisco keine „Stadtgeschichten“ schreiben. Und Elena Ferrante hätte zwar weiterhin „Meine geniale Freundin“ in ihrer Buchreihe, aber ohne Neapel würden die verarmten Arbeiterviertel, die Gewalt und das Streben nach einem besseren, reicheren Leben nicht so spürbar auf jeder Seite mitschwingen. In „Schauplätze der Weltliteratur“ hat Herausgeber John Sutherland über 70 internationale Werke ausgewählt, in denen Orte eine ebenso große Rolle spielen wie die Charaktere und Begebenheiten. Chronologisch angeordnet reichen diese von Jane Austens „Anne Elliot“ von 1817 bis zu Irena Solàs „Singe ich, tanzen die Berge“ von 2019. Dabei werden die zeitlich zusammengehörenden Werke in „Romantische Aussichten“, „Kartierung der Moderne“, „Nachkriegspanoramen“ und „Zeitgenössische Schauplätze“ in Kapiteln gebündelt – ein weiteres Zeichen dafür, was für eine enge Beziehung Ort, Weltgeschehen und Gesellschaft in den Romanen miteinander eingehen.
Das Stöbern in der Weltliteratur und in den Orten beginnt bereits mit dem Inhaltsverzeichnis. Man kann, muss aber überhaupt nicht, der Chronologie folgen – es ist nämlich das unmittelbarere Vergnügen, erst einmal dort zu lesen, wo man das Werk kennt. Zwei bis vier Seiten werden jedem der Romane gewidmet. Die von einer sehr heterogenen Gruppe von Autorinnen und Autoren geschriebenen Texte sind unterschiedlich, persönlich und legen eigene Schwerpunkte. Angereichert – und das macht den Sammelband so besonders schön – werden die Texte von Landschafts- oder historischen Fotos, den Covern von Erstausgaben, Kartenmaterial, Postkarten, Gemälden, Porträtaufnahmen der Schriftstellerinnen und Schriftstellern sowie kleinen Anmerkungen in der Randspalte, die das Werk einordnen. Dabei wird hier nicht immer das gleiche Schema mühsam erfüllt, sondern vielmehr richtet sich das Beiwerk nach dem jeweiligen Roman. Man könnte also auch das Inhaltsverzeichnis einfach ignorieren und sich beim Blättern schlichtweg von der Optik leiten und zum Lesen verführen lassen.
Das Schöne an diesem Sammelband ist, dass man in kleinen Häppchen lesen kann. Vielleicht zwischen zwei anderen Büchern, immer mal wieder in einer kurzen Pause, beim Café-Besuch, beim Pendeln hin und zurück zur Arbeit im Zug oder der Bahn. Die Länge jedes Artikels ist überschaubar, die Abbildungen und Zitate lockern auf – und die Leser können schon in wenigen Minuten zumindest in Gedanken die ganze Welt durchreisen. Im Idealfall versetzt man sich dabei wieder in vergangene Lesestunden, bekommt Lust, Bücher erneut zu lesen oder auch unbekannte Bücher zu entdecken.
Fazit:
Der Sammelband „Schauplätze der Weltliteratur – Eine Reise zu den berühmten Orten großer Werke“ ist das perfekte Buch für literarische Reisen und Entdeckungen. Mit einer sehr abwechslungsreichen Auswahl an Romanen verführt Herausgeber John Sutherland dazu, sich in die Schauplätze der Werke hineinzuversetzen, und zeigt, wie wichtig der geographische Ort für das Erleben der Geschichten ist.
- Herausgeber: John Sutherland
- Titel: Schauplätze der Weltliteratur – Eine Reise zu den berühmten Orten großer Werke
- Originaltitel: Literary Landscapes. Charting the Real-Life Settings of the World’s Favourite Fiction.
- Übersetzer: Andreas Schiffmann und Alan Tepper
- Verlag: Theiss in der Verlag Herder GmbH
- Erschienen: 2025
- Einband: Hardcover
- Seiten: 256
- ISBN: 978-3-534-61030-3
- „Schauplätze der Weltliteratur“ bei Herder

Wertung: 15/15 dpt







