Simone Hirth – Die Kröte (Roman)

“Show, don’t tell” beschreibt eine Erzähltechnik, die dem Leser einen unmittelbaren Zugang zur Geschichte öffnet, indem das, was vermittelt werden soll, nicht beschrieben, sondern nachspürbar inszeniert wird, durch die Handlung, die gezeigten Emotionen, die Dialoge etc. „Die Kröte“ von Simone Hirth ist ein Paradebeispiel dieser Vorgehensweise. Doch der Reihe nach.

Wie in ihren vorangegangenen Büchern leiht Hirth sich einen Märchenstoff, um ihre Geschichte zu erzählen. Das Märchen vom Froschkönig wird umgemünzt in „Die Kröte“. Die Königstochter ist hier Milena, die alleinerziehende Mutter einer Tochter. Anstelle der Kugel wird das Handy aus dem Wasser gerettet, und wie im Märchen lässt auch Milena sich zu einem leichtfertigen Versprechen hinreißen, um der Kröte für die Rettung des geliebten Gegenstands zu danken.

Ähnlich wie im Märchen konzentriert sich die Handlung auf die Beziehung zwischen der jungen Frau und der Amphibie. Eine von Beginn an erzwungene Beziehung, die von der Kröte dominiert wird, da sie der Frau Verhaltensweisen aufzwingt, die ihr zuwiderlaufen. Was im Märchen idealisiert wird, weil die vermeintlich hochmütige Königstochter zum Einhalten ihres Versprechens gezwungen wird, was wiederum zum Happyend führt, wird von Hirth als das Absurdum entlarvt, das sich dahinter verbirgt.

Die Übergriffigkeit der Kröte, die auf die Einhaltung eines Versprechen pocht, um Dinge zu fordern, die wiederum unmoralisch sind bzw. die Würde der anderen Person verletzen, wird von der Autorin sehr präzise aufgedeckt. Und es braucht gar nicht viel, um aus diesem Paradox ein weiteres sehr viel politischeres Paradox abzuleiten, welches sich gesellschaftspolitisch derzeit abzeichnet.

So ringt Hirths Ich-Erzählerin Milena von Beginn an um die Deutungshoheit der Geschichte, während die Kröte das Erzählen nur mit einer einzigen Absicht begleitet: Den Bericht zu stören und die Wahrheit, also die eigentliche Faktenlage, zu verzerren.

Der weitere Handlungsverlauf ist schnell skizziert: Milena wird von der Kröte, die sie unvorsichtigerweise in ihr Leben gelassen hat, terrorisiert. Dabei widersteht Hirth dem Klischee, ihre Protagonistin als Idealfigur zu inszenieren. Milena ist ein Mensch mit Schwächen und genau diese nutzt ihre Widersacherin gnadenlos aus. Als die Kröte beginnt, Milenas Tochter zu manipulieren, wächst der Widerstandswille in Milena und sie beschließt, die Kröte loszuwerden. In dem Hotel, in dem sie arbeitet, begegnet sie dem König, dem charismatischen Politiker einer rechts orientierten Partei. Milena lässt sich täuschen. Sie mag die Politik der Partei des Königs zwar nicht, hält diese jedoch für nicht gefährlich. Sie folgt dem attraktiven Mann aufs Zimmer, ist sogar an einer Affäre mit ihm interessiert. Als sie jedoch rechtsextremes Material in seinen Sachen entdeckt, wird ihr bewußt, mit wem sie es zu tun hat und stellt ihn zur Rede. Sie will ihre Entdeckung der Öffentlichkeit preisgeben, um den König bloßzustellen. Die Begegnung eskaliert, der König wird handgreiflich, Milena ebenfalls. Leider geschieht sein Übergriff hinter verschlossenen Türen, Milenas Kurzschlusstat in der Öffentlichkeit. Die Beweislage spricht für ihn.

Hirths Roman ist wie ein Monolog aufgebaut, ein sich in Echtzeit entfaltender Text, in dem die Protagonistin die Ereignisse rekapituliert und einordnet, während die Kröte den Erzählfluss permanent unterbricht. Dabei werden beispielhaft die Mechanismen sichtbar, derer sich die Kröte bedient, wodurch Hirth die populistische Kommunikationsstrategie der Neuen Rechten exemplarisch vorführt.

Hirths Kröte redet permanent dazwischen. Sie lügt, pöbelt, beleidigt, provoziert, widerspricht sich selbst, ignoriert Fakten, verschiebt die Grenzen des Sagbaren. Dabei ist sie klug und berechnend. Sie weiß, um die Wirkung ihrer Taktik. Sie spielt mit der Empörung einer vermeintlichen Öffentlichkeit. In Echtzeit entlarvt Hirth durch ihre perfekt eingesetzte „Show, don’t tell“-Methode die klassichen Instrumente eines populistischen Diskurses.

Immer wieder kehrt Hirth zur Bedeutung der Worte zurück. Ihr Roman erscheint wie eine Abwehrschrift, um die durch den populistischen Diskurs in Gefahr gebrachte Sprache zu schützen. Hirths Stärke liegt in der präzisen Analyse und Beobachtung aktueller Entwicklungen.

„Und es ist kein Geheimnis, dass
Politiker Wahlen gewinnen wollen. Und dass sie dafür mitunter einiges tun. Dass
sie dafür vor allem einiges erzählen. Dass sie dafür Wörter benutzen. Sich
Wörter zu eigen machen, sie gefügig machen und in eine Form pressen.“

Seite 15

Milenas will um jeden Preis die Integrität der Sprache retten.

„Die Wörter sind größer als ich und ich schaue in Demut zu
ihnen auf. Ich bin froh, dass ich sie habe. Dass sie mich tragen. Ich werde
alles tun, dass sie mir erhalten bleiben.“

Seite 16

Konsequent folgt die Autorin ihrer Agenda. Es gilt das Verhalten der Kröte und auch des Königs zu entlarven. Diesem Ziel ist der gesamte Plot untergeordnet. Dadurch erscheint Milenas Handeln besonders gegen Ende nicht immer völlig authenisch. Und natürlich passt Hirth das klassische Märchen dem modernen Rahmen an, wobei sie sich zahlreiche Freiheiten nimmt. Doch im Gesamtkonzept ist diese Vorgehensweise durchaus stimmig und der Roman, den ich eher als eine Erzählung bezeichnen würde, transportiert kraftvoll Resilienz und bietet Raum für Diskurs und Solidarität.

Darüber hinaus liest sich der Text schnell. Die Handlung ist gradlinig, der Zugang zum Kernthema fällt leicht, denn Hirths Sprache ist ebenso poetisch wie direkt.

Leseempfehlung!

  • Autor: Simone Hirth
  • Titel: Die Kröte
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Erschienen: August 2025
  • Einband: Gebundene Ausgabe
  • Seiten: 208 Seiten
  • ISBN: 978-3218014717

Wertung: 12/15 dpt

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