Kunst und Idealismus schließen gerade in der heutigen Zeit oftmals einander aus, wobei Zweiteres eigentlich Bestandteil des Ersteren ist. Arthur Missas “Formenverfuger/Formenverfüger” und Francis Neniks “XO” sind definitiv Werke, bei welchen der idealistische und der künstlerische Antrieb des Autorendaseins an erster Stelle steht. ed[ition.] cetera-Gründer Eyk Henze weiß das sehr zu schätzen, wodurch eine Kooperation nur eine Frage der Zeit war. Chris Popp, staatlich geprüfter booknerd, wurde sehr neugierig…
Hallo Eyk! Ja, was ist das denn nun eigentlich: Ein Verlag, ein Vertrieb, ein Projekt, ein Versuch? Es wäre schön, wenn Du uns und den Lesern dieses Etwas einmal vorstellen könntest.
Was genau die ed[ition]. cetera ist, ist schwer zu sagen. Einerseits ist es ein Versuch, weil ich bisher nicht als Verleger gearbeitet habe. Allerdings wäre es zu diesem Versuch gar nicht erst gekommen, wenn es nicht auch eine Versuchung gewesen wäre – und noch immer ist – eine bestimmte Art von Literatur zu verlegen. Francis Neniks Debütroman “XO” bot nun endlich den geeigneten Anlass für etwas, was jahrelang nur ein Hirngespinst war.
Sagen wir so: Die ed[ition] cetera ist ein “Project” (in “XO” spielt ein Projectmacher eine Rolle und kommt nicht allzu gut weg dabei – heutzutage lauern Projekte überall oder brüsten sich Menschen mit ihnen) das mit Vertriebsformen experimentiert und irgendwann vielleicht ein “richtiger” Verlag sein wird, wobei mir die Assoziationen, die “richtig” bei anderen auslösen kann und bei mir auslöst, etwas Angst machen. Wir werden sehen, so wir nicht ganz blind werden für das Übrige und Andersmachen.
Wie kam es zu der Gründung? Und was sind die Ziele der ed[ition]. cetera?
Die Idee für eine Unternehmung namens ed. cetera hatte ich schon lange, zumal ich in Leipzig unter anderem Buchwissenschaft studiert habe. Nach und nach habe ich mir dann ein kleines Netzwerk aus buchaffinen Menschen geschaffen, nicht nur durchs Studium, sondern auch durch meine Mitarbeit beim “poesiefestival berlin” und mein Promotionsvorhaben, bei dem ich mich mit Lyrik in der DDR beschäftige. Als ich dann das Manuskript von Francis Nenik in die Hände bekommen habe, war mir klar, dass es an der Zeit ist, die Idee namens ed. cetera praktisch werden zu lassen.
Die Namensgebung ist bewusst spielerisch und außergewöhnlich gewählt. Gab es dafür einen bestimmten Grund?
Eigentlich habe ich nach etwas gesucht, was ähnlich in ist wie Namen von Verlagen die da beispielsweise blumebar oder luftschacht heißen. Einerseits schicke Namen, anderseits aber gerade deshalb auch Mode. ed[ition]. cetera mag da gesetzter daherkommen – wir haben aber auch zwei schick gesetzte Bücher im Programm -, vielleicht aber auch zeitloser. Jedenfalls musste ein Name her und eine Entscheidung gefällt werden
Bei Thomas Pynchon habe ich habe ich irgendwann irgendwo die Abkürzung “&c.” gelesen. Das fand ich als Verlagssignet ganz nett, habe auch einen Radiergummistempel davon gemacht, der aber kaum in Gebrauch ist. Vor der letzten Leipziger Buchmesse meinte ich, auf die Kacke hauen zu müssen und habe mir Visitenkarte besorgt. Und um ganz sicher zu gehen, habe ich die eckige Klammer hinzugefügt – soweit hat mich die wissenschaftliche Beschäftigung schon gebracht. Edition klingt für mich zudem etwas kleiner, feiner, mehr nach Inhalten als die erwartungsvolle Vokabel Verlag, die ihren Ursprung bloß im Vorstrecken des Geldes hat.
Konsequenterweise sollte ich, wenn ich denn mal in die Verlegenheit komme oder gezwungen werde, was ich da versuche, mit einem Wort zu fassen, auch von Editor sprechen. Aber ich kann und will den großartigen Urs Engeler nicht kopieren. Hinter den Dingen herrscht oftmals mehr Banalität, als wir glauben oder uns glauben gemacht wird.
Wird sich die Creative Commons-Sache denn auf Dauer durchsetzen können? Oder wird sie anhand der eher (oder völlig) absatzorientierten Verlage eines Mauerblümchendaseins fristen?
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob sich Creative Commons im Bereich der Literatur durchsetzen wird. Aber ich weiß, dass man gerade jetzt, wo sich die Buch- und Verlagsbranche in einem grundlegenden Wandel befinden, neue Wege ausprobieren muss. Ich meine, es gibt seit Monaten eine intensive Diskussion über Urheberrechte und so weiter, aber es gibt – zumindest in der Literaturlandschaft – kaum jemanden, der die Sache einfach mal praktisch probiert. Genau darum geht es uns aber: Sachen auszuprobieren, zu schauen, was unter den Bedingungen der digitalen Welt möglich ist und was nicht.
Wenn dann mal was schief geht, okay, dann ist es eben so, dann haben wir es wenigstens versucht. Hinzu kommt, dass Francis Nenik selbst wollte, dass sein Buch unter einer freien Lizenz erscheint, wobei in seinem Fall auch ein, sagen wir, politischer Aspekt eine Rolle spielt. Im Impressum zu “XO” schreibt er, dass wir – ich zitiere das jetzt einfach mal – “im Rahmen unserer je eigenen Möglichkeiten etwas tun gegen die überkommenen Modelle von Ökonomie, Kunst und Politik, dass wir etwas tun gegen die Selbstgefälligkeiten und die Konzentration von Macht und Kapital in den Händen weniger.”
Wird der absatzorientierte Markt denn generell irgendwann mal kollabieren? Was sind Deine Zukunftsvisionen, was die Folgen dieser Kapitaldiktatur angeht?
Ich habe da eigentlich kein konkretes Zukunftsszenario, sondern versuche die Sache vom Kleinen, das heißt der ed[ition]. cetera her so zu gestalten, wie ich sie gern hätte. Silke Helfrich, die den commonsblog betreibt, hat das mit Blick auf ed. cetera und “XO” ganz gut ausgedrückt und gesagt: “Gute Bücher machen, gute Bücher verkaufen (damit sie gemacht werden können) und trotzdem freie Kultur produzieren ist möglich.”
Bücher machen war nie wirklich schwer – und ist immer einfacher und günstiger geworden -, sie zu verkaufen dagegen sehr. Verlage mit beliebigen, austauschbaren Büchern – und das meine ich nicht normativ -, die also ihren Krimi beispielsweise an den Leser bringen wollen, bevor es ein anderer Verlag tut, benötigen einen hohen und ständigen Output, permanente öffentliche Präsenz, das Karussell muss sich unaufhörlich drehen. Das mag hübsche Umsätze generieren, kostet aber auch (Karrieren von Saisonautoren).
Unabhängig davon, ob ich das wollte oder nicht, ich könnte mir das gar nicht leisten. Ich habe gar keine andere Wahl als etwas andere Bücher zu machen, es etwas anders zu machen als die Großen der Branche und als etwas Geduld zu haben. Bei “XO” zeigt sich, dass es aufgehen kann – natürlich nicht muss -, dass man doch unerwartet viel Resonanz erzeugen, nach einem halben Jahr die Hälfte der Auflage verkaufen und von Lesern, die nach besonderen Büchern suchen, gut gefunden werden kann.
Auf die Leser und Buchhändler, die selbst aktiv sind, die ihre Lektüre aus der Masse – ebenfalls nicht wertend gemeint – auswählen wie (andere) ein Restaurant, Konzert oder Urlaubsziel, sind wir eben auch angewiesen. Das ist kein elitärer Dünkel, das ist eine Frage der Möglichkeiten, der Preise, die wir nicht zahlen wollen und der, die wir nicht zahlen können. Das beschert uns auch nur kleinere Umsätze und noch kleinere Gewinne. Es wird sich zeigen, ob und inwieweit sie die Spielräume erweitern werden, oder ob ed[ition]. cetera eine Spielwiese bleibt.
Du sprachst ja nun bereits mehrmals vom Verlagsdebüt, Neniks Buch “XO”, welches mir leider bislang noch nicht vorlag. Eines wird schon via Internet klar: Es dürfte ziemlich außergewöhnlich sein. Stell uns dieses Werk doch mal bitte vor. Worum geht es in diesem außergewöhnlichen Werk, und was unterscheidet es von herkömmlichen Büchern?
“XO” ist in der Tat ein außergewöhnliches Buch, denn es ist nicht gebunden. Das heißt, die 853 Seiten liegen in Form von 427 losen Blättern in einer eigens angefertigten Kartonage und werden nur durch eine Banderole zusammengehalten. Trotzdem ist “XO” kein Kunstbuch, sondern ein Roman – und bei einem solchen muss zunächst mal eines funktionieren, nämlich der Text. Dass das bei “XO” der Fall ist, wusste ich, als ich das Manuskript gelesen hatte.
Und die Kritiken, die das Buch in den vergangenen Wochen und Monaten bekommen hat, waren auch durch die Bank positiv, was mich natürlich umso mehr freut, als dass ich gar nicht damit gerechnet hatte, mit einer kleinen, neu gegründeten Verlagsunternehmung und einem solchen Roman so viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Inhaltlich ist es sehr schwer bis unmöglich zusammen zufassen, was in “XO” passiert. In dem Exposé, das Francis Nenik geschrieben und das wir auf die Kartonage gedruckt haben, heißt es, es gehe um das Vergehen einer Epoche als irdische Komödie und um das Werden einer anderen als Groteske. Welche Epoche damit allerdings gemeint ist, ist nicht so leicht zu sagen, und auch die Kritiker sind sich da nicht einig, was natürlich auch damit zu tun hat, dass an keiner Stelle in “XO” eine Jahresangabe oder ähnliches zu fnden ist.
In der “Zeit” war zum Beispiel von “barocke Sprachgewalt” die Rede und davon, dass die nicht immer ganz jugendfreien Sitten und Gebräuche, die in “XO” in sämtlichen Stilen und Formen beschrieben werden, auf das Zeitalter des Barock verweisen. Andere wiederum haben das Geschehen im Buch als eine Metapher auf unsere heutige Zeit gelesen, weil fast der gesamte Roman im Präsens geschrieben ist. Aber ich denke, jeder sollte sich da sein eigenes Bild mache auch wenn es – so viel kann ich verraten – einen ganz bestimmten Zeitraum gibt, in dem “XO” spielt. Vor so einer Aufmachung, so einem Text haben – das erfahre ich immer wieder – Leser eine falsche Ehrfurcht. Wie sperrig, komisch, hochtrabend und fach usw. “XO” aber ist, erfährt man erst, wenn man es auch tatsächlich liest.
Und dass die Kapitel in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können, wird durch die fehlende Bindung der Seiten begünstigt. Andere Texte arbeiten auch mit Vor- und Rückblenden, nur steht deren Reihenfolge meist fest. Insgesamt sind die Unterschiede zu anderen Büchern also gar nicht so groß. Fast möchte ich sagen, “XO” ist ein Buch für jedermann.
Die Lesungen, mit denen Du unterwegs bist – und auf diesen auch “XO” vorstellst -, laufen offensichtlich auch nicht gerade nach dem Prinzip “da sitzt jemand und liest” ab. Was kannst Du uns darüber erzählen?
Nun ja, das hängt immer auch von Veranstaltung und Veranstalter ab. Aber ja, am liebsten performativ, mit Musik bspw. Ich mache das sehr gerne und bin, was das angeht, ganz froh darüber, dass Francis nicht in die Öffentlichkeit geht. Ein Programm aber gibt es nicht, das wäre eine mögliche Maßnahme für die Zukunft. Höhepunkt bisher war eine Lesung aus “XO” zusammen mit der Leipziger Freejazzcombo Freipartikel. Mal sehen, was sich in diese Richtung noch entwickeln und tatsächlich auf die Beine stellen lässt. Bin selbst gespannt und sehr interessiert daran und offen für Ideen und Anregungen. Also wenn sich jemand angesprochen fühlt …
Das zweite Buch, das hinsichtlich Typographie und Layout ebenfalls aus der Reihe tanzt, ist “Formenverfuger” von Arthur Missa, welches hier auch mit einer Rezension wohlwollend erwähnt ist. Was hat Dich dazu bewogen, auch dieses Buch mit aufzunehmen?
Wahrscheinlich ist es genau dieses Aus-der-Reihe-Tanzen, das mich interessiert. Bei “Formenverfuger” zeigt sich das zum Beispiel in den vielen Stilen, mit denen hier sowohl literarisch als auch typographisch gearbeitet wurde. Außerdem ist das Buch unter einer Creative-Commons-Lizenz erschienen, was es mir nur noch einfacher gemacht hat, es mit ins Programm aufzunehmen.
Ich spreche in meiner Rezension zum “Formenverfuger” ja von Zorn, Wut, Aggression. Wie nimmst Du persönlich das Buch wahr?
Auf meiner Homepage spreche ich vom Skizzenbuch eines werdenden Autors. Emotionen sind ja häufig Grund und Anfang des Schreibens, in diesem Falle mal nicht die Liebe und nicht, jedenfalls nicht offensichtlich als Selbsttherapie. Das Potential des Autors hingegen war offensichtlich und als Konzeptbuch, das Form und Inhalt, Aufmachung/Typographie mit Text/-inhalt so einzigartig verbindet, hat mich beeindruckt und überzeugt. Was sonst persönlich im Hintergrund mitgespielt haben mag, gehört nicht hier her, und was einen Autor zum Text bewegt, interessiert mich nicht. Letzterer muss ohne dieses Wissen funktionieren.
Wie kam es denn zum Kontakt mit Francis Nenik beziehungsweise Missa? Kamen die eher zu Dir oder hast Du Dir die “Bücher” selbst herausgepickt?
An Neniks Manuskript bin ich über ein etwas verworrenes Gefecht an Beziehungen heran gekommen. Ich wusste, dass das Buch auch bei anderen Verlagen auf dem Tisch lag, dass die es wegen der gewagten Form und der freien Lizenz aber nicht machen wollten. Insofern könnte man sagen, dass der Roman und ich aufeinander zu gelaufen sind, ohne es am Anfang zu wissen. Francis Nenik selbst ist ein Pseudonym. das heißt, es gibt zwar einen Autor, aber der zieht es vor, nur mit seinen Büchern in Erscheinung zu treten. Bei Arthur Missa war es so, dass das Buch schon drei Jahre auf dem Markt war und ich davon wusste. Als ed. cetera dann soweit lief, habe ich mich entschieden, dem Buch eine Plattform zu geben, da es die nicht bzw. nicht mehr hatte.
Die Neugier verlangt natürlich auch nach der Frage: Gibt es schon potenzielle neue Kandidaten für die ed[ition]. cetera nach diesen beiden Werken?
Es gibt einige Kandidaten, zumal wir nach der Veröffentlichung von “XO” eine Reihe von Manuskripten zugeschickt bekommen haben, von denen das ein oder andere wirklich interessant klingt. Allerdings ist die ed[ition]. cetera eine kleine Unternehmung, das heißt, wir können nur wenige Bücher pro Jahr machen. Für den Winter planen wir deshalb erst mal nur mit dem neuen Buch von Francis Nenik, wobei es diesmal kein Roman ist, sondern ein Short-Story Band, den wir sogar binden lassen werden.
Kunst als Kunst statt Produkt hat einerseits durch das Internet wieder etwas mehr Forum, doch noch immer ist es alles andere als einfach,mit Außergewöhnlichem oder Anspruchsvollem viele Menschen zu erreichen, ganz gleich, ob es Literatur, Malerei oder Musik ist. Sind die Medien zu feige? Oder ist der “Konsument” schlichtweg zu borniert oder – auch wenn es nun böse klingen mag – zu dumm?
Für mich ist Literatur immer beides, das heißt sowohl Kunst als auch Produkt. Das versuche ich auch mit den Büchern zu zeigen. “XO” ist eben nicht nur Kunst, das heißt aufwendig produziert (arbeitsintensive Typographie, teures Papier, eigens angefertigte Kartonage), sondern auch ein Produkt, ein Alltagsgegenstand, der kostenlos im Netz konsumiert werden kann und auch konsumiert werden soll. Was ich will, ist, dass die Leute keine falsche Ehrfurcht vor Kunst im Allgemeinen und vor “XO” im Besonderen haben.
“XO” ist nüchtern betrachtet ja auch ein ganz normaler Roman, nur dass er aufgrund seiner Form ein bisschen anders funktioniert. Soll heißen: Wir wollen Literatur, aber keine heiligen Kühe produzieren. Bei “Formenverfuger” gibt es sogar eine Stelle, wo Missa den Leser fragt, ob er die Seite nicht lieber rausreißen will. Ob das die Leute machen, kann ich allerdings nicht sagen. Auf jeden Fall aber sind sie nicht zu dumm für die Art von Literatur, die wir produzieren, und zu borniert auch nicht. Das würde meinem Kunst- und Literaturverständnis auch komplett widersprechen. Und was die mediale Aufmerksamkeit angeht, so kann ich mich, zumindest was “XO” betrifft, auch nicht beschweren. Natürlich erreicht man mit einem solchen Buch nicht Hunderttausende, aber allein die Downloadzahlen für “XO” liegen inzwischen weit im vierstelligen Bereich, und bei der gedruckten Version ist auch schon über die Hälfte der Auflage weg. Insofern bin ich froh, über dass, was wir erreicht haben und freue mich genauso sehr auf dass, was da noch kommt.
Das Interview führte Chris Popp
Weblinks:
Fotos: punkzebra (Creative Commons Lizenz)
(Dieses Interview wurde ursprünglich für das noisyNeighbours-Printmagazin geführt und erschien in Ausgabe 37 – Download hier – vielen Dank an dieser Stelle an das nN-Team für die Gestattung der Übernahme dieses Artikels)