Der zweite Teil der Italowestern-Enzyklopädie von Koch Media setzt die Idee der Reihe fort, weniger bekannte und kaum verbreitete Filme des Genres in einer DVD-Box zu veröffentlichen. Darin erwarten den geneigten Liebhaber gleich vier Italo-Western, von denen drei das erste Mal auf DVD erscheinen. Zusatzmaterial gibt es in Form von exklusiv produzierten Interviews mit schwankendem Informationsgehalt. Auch Filmbesprechungen mit interessanten Querverweisen ins und ums Genre herum lassen sich abrufen und bieten gekonntes Westernwissen.
Die Zusammenstellung der Box ist Koch Media gelungen, gerade weil die Filme von verdammt unterschiedlicher Substanz sind. Sie bilden
einen interessanten Einblick in die Entwicklung des Genres abseits der bekannten Größen und zeigen damit vielleicht ein Stück weit die Basis des Italo-Westerns.
Die Links führen zu den einzelnen Filmrezensionen: Mit “Die sich in Fetzen schießen“ liegt ein unglaublich derb-düsterer Streifen vor, der sich, wir schreiben das Jahr 1967, bereits gegen die Genre-Grenzen auflehnt. Im gleichen Jahr erscheint “Bleigericht“. Ein alberner Vertreter wildwestlicher Erzählstrukturen. So einer ist dem Rezensenten noch nicht untergekommen. Man sieht eine Art James Bond im Revolverheld-Stil, aber die Umschreibung klingt noch zu gut für den einzigen Ausreißer der Sammlung. Ebenfalls humorvoll, jedoch gekonnt erzählt, nimmt sich dann “Vier Teufelskerle“ aus. Diese bewegten Bilder kommen 1973 in die Kinos und versuchen, dem langsam verendenden Genre das Beste abzugewinnen. 1977 erscheint mit “Der Mann aus Virginia“ einer der letzten Italo-Western. Es ist ein fröhlich-melancholischer, wirklich gekonnter Abgesang auf das Genre in all seinen Facetten.
Cover © Koch Media
Gesamtwertung:
- Titel: Italowestern-Enzyklopädie No.2
- Produktionsland und -jahr: Italien/Spanien 1967/1977/1973/1967
- Genre:
Italowestern - Erschienen: 24.05.2013
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
ca. 357 Minuten auf 4 DVDs - Darsteller:
siehe Filmbewertungen
- Regie:
Michele Lupo (“Der Mann aus Virginia“)
Tanio Boccia (“Die sich in Fetzen schießen”)
Giuseppe Rosati (“Vier Teufelskerle”)
Paolo Bianchini (“Bleigericht”)
- Drehbuch:
siehe Filmbewertungen
- Extras:
Diverse Trailer
Exklusive Interviews mit Cast und Crew
Interview mit Gianni Garko
Beiträge mit Filmhistoriker Fabio Melelli
- Technische Details (DVD)
Sprachen: D, GB, IT
Untertitel: D
Video: 16:9
Audio: Dolby Digital 2.0
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 12/15 dpt
Die sich in Fetzen schießen (1967)
“Die sich in Fetzen schießen” ist ein hart gekochter Italo-Western. Ohne eine Spur von Humor und ironischer Selbstreflexion erzählt der Film seine Geschichte am Rande der Skurrilität. Es gibt nur minimales Personal, das vor der beinahe statischen Kulisse einer gut inszenierten Geisterstadt sein Schauspiel aufführt. Eigentlich fehlt nur noch der rote Samtvorhang und man würde das boshaft-wütende Theaterstück hinter den bewegten Bildern erkennen, die 1967 in italienische Kinos kamen.
Für den Italo-Western bedeutet das eine interessante Zeit. Leone und Corbucci haben bereits “Kunst gemacht” und zwischen diesen Höhenflügen häuft sich nun die Wiederholung typischer Elemente. Also muss das Genre anders werden; es muss neue Formen anzapfen und sich radikalisieren, um überlebensfähig zu bleiben. Ein Beispiel für diesen Prozess ist Corbuccis “Leichen pflastern seinen Weg” von 1968. Hier gibt es nicht nur die Besonderheit einer verschneiten Westernstadt zu sehen (für den Effekt verwendete man Unmengen an Rasierschaum) sondern auch eine vollständig stumme Hauptrolle.
Mit “Die sich in Fetzen schießen” macht sich Regisseur Tanio Boccia ebenfalls Luft in den engen Genre-Grenzen. Man übernimmt neue Elemente aus den klassischen Horrorfilmen, während gleichzeitig die Gewaltdarstellung bis ins sadistische dramatisiert wird. Erminio Pontiroli, der auch als Theater-Dramaturg arbeitete, liefert das Drehbuch, das ebenfalls als Grundlage für den Kult-Streifen “Willkommen in der Hölle” dient.
Nachdem die Gaunerbande um Anfüher Braddock (Furio Meniconi) selbigen vom Galgen befreite, machen sie kurz darauf fette Beute bei einem Postkutschenüberfall. Randall (Rodd Dana) liegt nach einem kurzen Scharmützel schwerverletzt am Boden und wird von seinen Räubergenossen eiskalt zurückgelassen. Einzig die Frau der Truppe, Shelly, gespielt von María Silva, protestiert gegen diesen Schritt, was ihren Geliebten Braddock nur zum Schmunzeln bringt. Den latent psychopathischen Säufer Laglen (Massimo Righi) interessiert das Schicksal seines einstigen Kumpanen ebenfalls wenig und so verstecken sich die drei Verbliebenen mitsamt der Beute im heruntergekommenen Hotel einer lang verlassenen Western-Stadt.
Shelly ist nur ein außergewöhnlicher Charakter in diesem Film, und damit auch ein Zeichen für den Neuerungszwang des Genres. Sie agiert als vollständig gleichberechtigtes Bandenmitglied mit Lederhosen, Pistolengurt und Cowboyhut. Ihr Frau-Sein wird in keinem Satz thematisiert, was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass man den Charakter ohne jede Geschlechtlichkeit inszeniert hätte. Parallel zur Handlung in der Geisterstadt werden Benny Hudson (Larry Ward) und Judy (Daniela Igliozzi) eingeführt. Aus nicht näher benannten Gründen sind beide in der Einöde gestrandet. Judy hat vor kurzem ihren Mann begraben müssen und nun ist ihr Planwagen verunglückt. Hudson kommt im rechten Moment vorbei und hilft der zart besaiteten, jungen Hausfrau Judy aus ihrer misslichen Lage.
Hudson ist ebenfalls eine untypische Figur. Zwar ist er im Grunde der Held des Films, doch wird er erst nach fünfundzwanzig Minuten eingeführt. Man erfährt kaum etwas über ihn. Er ist unbewaffnet aber garantiert kein Gewaltverächter und er kann, wie sich noch herausstellen wird, recht gut mit dem Schießeisen umgehen. Leider nehmen die Zwei nun Kurs auf die Geisterstadt, in denen die Gaunerbande bereits Bekanntschaft mit Molly Verner (Vivi Gioi), geschlossen hat. Molly ist eine verrückte alte Dame und ehemalige Besitzerin des Hotels. Sie hat sich geweigert, die Stadt zu verlassen, als ihr Reichtum mit den Gästezahlen dahinschmolz. Nun hofft sie auf eine Rückkehr des Geldes und sieht sich im Angesicht von Braddocks Beute darin bestätigt. Der Bandenchef nimmt alle gefangen. Am Ende kommt es zu einigen Auseinandersetzungen, bei denen jeder mit seinem Gegenpart abrechnen darf.
Dieser Western mit seinen langsamen und repetitiven Gewaltszenen ist ein interessanter Versuch, die Grenzen des Genres zu erweitern. Neben der detailreich überzogenen Kulisse sind es eben genau die kleinen aber feinen Unterschiede, deren Entdecken dem Genre-Liebhaber Freude bereiten, während die hart erzählte Geschichte etwas zäh und trocken bleibt, was aber durch die allesamt schrägen Charaktere trotzdem problemlos verköstigt werden kann. [Auf Anfang]
- Titel: Die sich in Fetzen schießen
- Originaltitel: Dio non paga il sabato
- Produktionsland und -jahr: Italien, Spanien 1967
- Genre:
Italo-Western - Erschienen: 24.05.2013
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
ca. 87 Minuten - Darsteller:
Larry Ward
Furio Meniconi
María Silva
- Regie:
Tanio Boccia
alias Amerigo Anton
- Drehbuch: Erminio Pontiroli
- Musik: Angelo Francesco Lavagnino
- Extras:
“Der Preis des Goldes” (Interview mit Daniela Igliozzi), 24
Minuten
“Vor Matalo” (Beitrag von Filmhistoriker Fabio Melelli), 8 Minuten
Diverse Trailer
Bildmaterial
- Technische Details (DVD)
Sprachen: D, GB, IT
Untertitel: D
Video: 16:9
Audio: Dolby Digital 2.0
- FSK: 18
- Sonstige Informationen:
Erschienen in der Italowestern-Enzyklopädie No. 2
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 10/15 dpt
Wells City ist eine reiche Western-Stadt mit reichen Leuten. Deswegen gibt es in dem Ort auch eine satt gefüllte Bank. Aber seit einiger Zeit wird das Geldinstitut durch mysteriöse Einbrüche um seine Dollars erleichtert. Die führenden Köpfe der Gemeinde halten Rat und Sheriff Lancaster (Piero Lulli), ein undurchsichtiger Typ mit fragwürdiger Vergangenheit, erklärt seine Machtlosigkeit gegenüber dem Verbrechen. Richter Kincaid (Ivan Staccioli) schlägt vor, den Revolverhelden Slim Corbett zu engagieren. Dieser Charakter ist ein jovialer James Bond-Verschnitt mit blonder Tolle und von berühmt berüchtigtem Ruf. Gespielt wird der ungewöhnliche Westernheld von Dean Reed in einer Überzogenheit, die sich in den zu Anfang vorrangig cartoonhaften Stil des Films gut einreiht.
Frauenheld und Alleskönner Corbett folgt dem Ruf seines alten Bekannten Kincaid. In Wells City angekommen, mischt er die hohen Herren zunächst kräftig auf und verblüfft durch drehbuch-dummen Scharfsinn. Er verdächtigt alle Mitglieder des Rates und es scheint, als ob Corbett wenig Mühe bei den Ermittlungen hat. Aber dann wird eine Postkutsche mit einem Batzen staatlicher Zuschussgelder für Wells City überfallen. Don Luis de la Vega, gespielt von Peter Martell (“Django – den Colt an der Kehle”, “Tears of Kali”), der reichste und einflussreichste Mann der Stadt, steckt offensichtlich dahinter und auch der Sheriff ist nur dessen Schachfigur.
Corbett verliert seine souveräne Stellung. Indizien werden konstruiert und der unbekümmerte Lebemann findet sich sogar für kurze Zeit im Gefängnis wieder. An dieser Stelle verändert der Film seinen Charakter massiv. Die Gewaltdarstellung nimmt an Quantität und Intensität zu. Wo sich vorher Zeichentrick-Verhalten und Komödienprügeleien abwechselten, schwindet die Beleuchtung und Don Luis lässt mehrfach seiner sadistischen Laune freien Lauf.
“Bleigericht” kam 1967 in die Kinos und kann als ein weiterer Beleg für den Radikalisierungszwang des Italo-Westerns verstanden werden (in Deutschland wurde nur eine stark gekürzte Fassung veröffentlicht, weswegen der hier vorliegende Film in voller Länge einige Szenen nur im O-Ton mit deutschen Untertiteln enthält). Allerdings kann die Inszenierung mit ihrer Zweiteilung in Albernheit und Gewalt nicht überzeugen. Corbett kann und weiß immer sofort alles. Ist er am Boden, dauert es keine Minute, bis ihm eine helfende Hand gereicht wird. Die Dialoge sind entweder albern, unsinnig oder machen die Handlung überflüssig. An all dem liegt es, dass der Film schlicht langweilig ist. Brutalität und zwanghafter Humor sollen das vertuschen, was die Darstellung aber umso peinlicher werden lässt.
- Titel: Bleigericht
- Originaltitel: Dio li crea… io li ammazzo!
- Produktionsland und -jahr: Italien 1967
- Genre:
Italo-Western - Erschienen: 24.05.2013
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
87 Minuten - Darsteller:
Dean Reed
Peter Martell
- Regie: Paolo Bianchini
- Drehbuch: Fernando Di Leo
- Musik: Marcello Gigante
- Extras:
“Der Cowboy mit der Gitarre” (Interview mit Regisseur Paolo Bianchini),
30 Minuten
“Der Bounty Killer” (Beitrag von Filmhistoriker Fabio Melelli), 8 Minuten
Diverse Filmtrailer
Bildmaterial
- Technische Details (DVD)
Sprachen: D, GB, IT
Untertitel: D
Video: 16:9
Audio: Dolby Digital 2.0
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Erschienen in der Italowestern-Enzyklopädie No. 2
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 5/15 dpt
Vier Teufelskerle (1973)
1973 erscheint mit “Vier Teufelskerle” Giuseppe Rosatis (Regie) einziger Italo-Western. Dieser weitgehend unbeachtete Vertreter des Genres kommt zunächst wie ein amerikanischer Klassiker daher. Am Ende des Sehvergnügens muss man sich allerdings die Frage stellen, was einem hier ins Hirn gespiegelt wurde. Genre-Interieur Gianni Garko (“Sartana”-Filme) gibt mit Aladin eine ebenso komische wie außergewöhnliche Rolle. Auch andere Teile des Films balancieren zwischen Parodie und Original auf wirklich unterhaltsame Weise.
Der Italo-Western steuert in dieser Zeit seinem Untergang entgegen. Nach anfänglicher Radikalisierung der typischen Elemente ist man jetzt dazu übergangen, eben diese zu parodieren. Die ersten Persiflagen sind bereits erschienen (beispielsweise Enzo Barbonis “Verflucht, verdammt und Halleluja!”, 1972) und mit “Vier Teufelskerle” entsteht eine Art Hybrid, der unterhalten soll wie ein “Großer” ohne sich jedoch ernst zu nehmen, um die Vorteile von Spannung und Komödie zu vereinen.
Die Geschichte setzt ein, als Unions-Soldaten auf dem Weg ins Fort Apache von mexikanischen Banditen überfallen werden. Sie haben es auf die große Waffenlieferung abgesehen, welche der US-Konvoi mit sich führt. Dieser Konflikt ist klassisch amerikanisch, wäre da nicht der eigentliche Beweggrund der Mexikaner. Ihr Anführer Angelo Gonzales (Simón Andreu) will nicht einfach nur den weißen Mann bekämpfen, unschuldige Siedler ausrauben und friedliche Städtchen terrorisieren. Gonzales arbeitet für den österreichischen General Müller (Daniele Vargas). In der deutschen Übersetzung wird daraus der Österreicher General Murkser und in der englischen Synchronisation der Spanier Lopez. Murkser ist ein größenwahnsinniger alter Mann in Gardeuniform, der sich in einer Art Bergfestung pseudo-königlich eingerichtet hat, die Realität gekonnt ausblendet und einige Banditen um sich schart.
Gelegentlich prostet er einem Portrait von Napoleon zu oder versichert beim Blick in den Spiegel dem Kaiser Maximilian, das Land freilich zu erobern. Der exzentrische Alte hat die Rechnung dabei leider ohne Aladin (im Original heißt die Rolle Korano) und Captain Chadwell (Stephen Boyd) gemacht. Letzterer wurde als Experte mit seinen beiden Offizieren, gespielt von Renato Rossini und Harry Baird, ins Fort Apache gerufen, um dem dortigen Kommandanten bei den Schwierigkeiten mit den Banditen zu helfen. Gianni Garko mimt mit Aladin einen gewitzten, koran-zitierenden Moslem mit durchschlagender Kanone und Whiskeydurst, der im Fort einige außermilitärische Dienste übernommen hat.
Jovial und beladen mit guten Sprüchen locken die vier Teufelskerle den Banditenhaufen in eine Falle, wobei ihnen prompt der Anführer Gonzales ins Netz geht. Aladin ist schon in Vorfreude auf das Kopfgeld, das er für den gesuchten Mexikaner erhalten wird. Aber der kann zum Verdruss aller aus dem Fort entkommen. Damit ist nämlich auch Chadwells Informationsquelle hinfort. Er wollte von Gonzales wissen, wo sich Murksers Versteck befindet. Doch weder der verschwundene Gonzales noch die Feste Murksers stellen am Ende ein Problem für die trickreich kämpfenden Frohnaturen dar.
“Vier Teufelskerle” ist ein gelungener Versuch, das Letzte aus dem Genre herauszuholen. Man übertreibt kilometerweit. Blutige Schießereien wechseln mit Bud Spencer-esken, komödiantischen Schlägereien. Da macht es einerseits Spaß zuzugucken, wirkt aber andererseits auf Puristen und Ästheten wie ein allzu scheckiges Knallbonbon, von dem bereits ein leichter Aas-, pardon!, Trash-Geruch ausgeht. Interessant! [Auf Anfang]
- Titel: Vier Teufelskerle
- Originaltitel: Campa Carogna … la Taglia cresce
- Produktionsland und -jahr: Italien, Spanien 1973
- Genre:
Italo-Western - Erschienen: 24.05.2013
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
ca. 87 Minuten - Darsteller:
Gianni Garko
Stephen Boyd
- Regie: Giuseppe Rosati
- Drehbuch:
Giuseppe Rosati
Carlo Veo
Enrique Llovet - Musik: Robby Poitevin
- Extras:
“Der Wind in meinem Gesicht” (Interview mit Komponist Nico Fidenco), 23
Minuten
Interview mit Gianni Garko, 9 Minuten
“Garko gegen Alle” (Beitrag von Filmhistoriker Fabio Melelli), 9 Minuten
Diverse Trailer
Bildmaterial - Technische Details (DVD)
Sprachen: D, GB, IT
Untertitel: D
Video: 16:9
Audio: Dolby Digital 2.0
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Erschienen in der Italowestern-Enzyklopädie No. 2
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 11/15 dpt
Der Mann aus Virginia (1977)
“Der Mann aus Virginia” repräsentiert im zweiten Teil der Enzyklopädie gewissermaßen das Ende des Italo-Westerns. 1977 mit dem altgedienten Genre-Star Guiliano Gemma (“Der Tod ritt dienstags”, “Tampeko – Ein Dollar hat zwei Seiten”) in der Hauptrolle veröffentlicht, blickt der Film in all seinen Facetten auf fast zwanzig Jahre italienische Western-Produktion zurück. Regisseur Michele Lupo (“Arizona Colt”, “Sie nannten ihn Mücke”) geht es dabei weniger um eine spannende Geschichte. Vielmehr ist seine Inszenierung eine gelungene Collage von Western-Elementen mit wechselhaften Stimmungen, die jedoch immer durch eine große Melancholie gefiltert werden.
Die Geschichte spielt am Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs. General Lee hat kapituliert. Man befindet sich im Jahr 1865 und der Zuschauer erhält Einblick in ein Gefangenenlager der Nordstaatler. Viele Soldaten der Konföderation werden entlassen. Sie haben die Wahl, für Hungerlöhne zu arbeiten oder zurück in den Süden zu gehen. Typisch für den Italo-Western ist dabei der realistische Blick auf die beiden Kriegsparteien. So sind die Nordstaatler keine notorischen Gutmenschen, wie man es aus den amerikanischen Western gelegentlich ableiten könnte. In diesem Fall arbeiten die Lagerkommandanten mit einer Handvoll Kopfgeldjäger, angeführt von Bob Whittaker (Raimund Harmstorf) zusammen, die die Reihen der gefangenen Soldaten nach steckbrieflich gesuchten Gesichtern abgrasen. Diese werden dann lieber tot als lebendig gegen Dollars eingelöst, damit man sich die Verpflegung der Klein- und Kleinstverbrecher sparen kann.
Preston (Miguel Bosé), ein sehr junger und naiv-gut gelaunter Südstaatler ist Insasse dieses Lagers. Genauso wie der reservierte und abgebrühte Random (sic!), gespielt von Giuliano Gemma, möchte er zurück in seine Heimat anstatt im Norden zu bleiben. Preston will jetzt endlich in Frieden auf der Ranch seines Vaters arbeiten, nachdem er »[sein] ganzes Leben nur gekämpft [hat]«.
Auf ihrer langen Wanderschaft werden die beiden gute Freunde. Preston plaudert hoffnungsvoll über Ranch, Schwester Helen und die Familie. Random schweigt über seine Geschichte. Bei seinem Alias-Namen hat er sich von einem Aufdruck auf einer Holzkiste inspirieren lassen und auch sonst gibt es keine Anhaltspunkte über seine Identität. Nach einer Beinahe-Konfrontation mit Whittaker und dessen Truppe erahnt man jedoch bereits Prestons professionelle Kampffähigkeiten.
Die beiden Kumpanen geraten dennoch in Schwierigkeiten und werden steckbrieflich gesucht.
Nachdem sich Random einige Tage und Wochen auf der Preston-Ranch eingelebt und eingearbeitet hat, Helen (Paola Bosé) wirft ihm bereits schmachtende Blicke zu, scheint alles einem harmonisch-idyllischen Ende entgegenzugehen. Random erwidert ihre Gefühle. Vielleicht sieht er sich schon mit seiner Herzdame als Farmer alt werden, als Helen plötzlich von einer Bande Gesetzloser entführt wird. Jetzt muss sich Random seiner Vergangenheit stellen und wird am Ende sogar gezwungen, mit dem Entführer zusammen zu arbeiten, um seine Geliebte zu retten.
Die Stimmung in “Der Mann aus Virginia” ist so wechselhaft wie ein Spaßbonbon mit Senf gefüllt. Komische, idyllische Szenen untermalt mit Musik, die aus alten Werbefilmen stammen könnte, wechseln mit Landschaften der Zerstörung und traumatischen Ereignissen, mit einer schweren, stechend-psychodelischen Musik unterlegt, die an Ennio Morricone erinnert.
Der Film ist jedoch ein Hochgenuss für Freunde des Genres und eher wie eine experimentelle Praline zu verstehen. Man verzeiht Schnittfehler und mangelnde Motivationen. Seine stark ausdifferenzierten Kapitel und Stimmungen bilden einen sofort nachvollziehbaren Querschnitt durch die Elemente des Italo-Westerns. Es geht um Männer-Freundschaft, Liebe, Rache und darum, dass man seiner eigenen Geschichte in der wilden Weite grundsätzlich nie entkommen kann. [Auf Anfang]
- Titel: Der Mann aus Virginia
- Originaltitel: California
- Produktionsland und -jahr: Italien, Spanien 1977
- Genre:
Italo-Westerm - Erschienen: 24.05.2013
- Label: Koch Media
- Spielzeit:
96 Minuten - Darsteller:
Giuliano Gemma
Raimund Harmstorf
Paola Bosé
- Regie: Michele Lupo
- Drehbuch:
Erminio Pontiroli
Roberto Leoni - Musik: Gianni Ferrio
- Extras:
“Der Drehbuchautor aus Rom” (Interview mit Roberto Leoni), 31 Minuten
“Die Abenddämmerung des Westens” (Beitrag von Filmhistoriker Fabio Melelli), 8
Minuten
Englischer Trailer
Bildmaterial
- Technische Details (DVD)
Sprachen: D, GB, IT
Untertitel: D
Video: 16:9
Audio: Dolby Digital 2.0
- FSK: 16
- Sonstige Informationen:
Erschienen in der Italowestern-Enzyklopädie No. 2
Erwerbsmöglichkeit
Wertung: 11/15 dpt