Gleich mit der Tür ins Haus fällt der 1984 geborene Kölner Martin Zingsheim. Mit einem Programm, das die oftmals festgefahrenen Strukturen des Kabarett – verbissene, gewollt komische Sozialkritik oder oftmals ermüdendes, opportunistisch gefärbtes Ablästern über die Politik und ihre Marionetten – herrlich respektlos aufbricht. Denn während so mancher Kabarettist dann entweder den Besenstiel zu tief im Rektum stecken hat oder aber gefährlich in den massenkompatiblen Comedysektor abdriftet, geht Martin Zingsheim in seinem thematisch sehr offen angelegten Programm auf gewisse Art und Weise anarchistisch vor.
Sicherlich bekommt die Politik auch bei diesem Blondschopf eine ordentliche Breitseite verpasst, ebenso werden einige soziale Missstände und Undinge angeprangert, doch Zingsheim verbindet die Sezierung dieser Gesellschafts-, Politik- und generell Menschheitsgeschwüre mit so mancher virtuoser Sprachspielerei, ohne dass das Ganze jemals in Verkopftheit ausartet. Und selbst an die Themen, die mindestens jeder zweite Kabarettist aufs Korn nimmt, weiß der Entertainer mit einer Andersartigkeit und Frische heranzugehen, die als überraschend zu bezeichnen ist.
Zwei Dinge sind allerdings besonders erfrischend: Zum einen nimmt der noch junge Künstler so manche Worte oder Formulierungen und herrlich boshafte Äußerungen in den Mund, bei welchen dem Zuhörer in der Schocksekunde erst einmal kurz der Atem stockt und sich dessen Augen weiten, bevor dann das Zwerchfell seinen Dienst eifrig erledigt. Dass es dem Publikum diesbezüglich ähnlich ging, merkt man an dessen meist verzögertem, amüsiert-entsetzem Lachen – man spürt förmlich, wie den Zuschauern bei der Aufführung, welche im Düsseldorfer Kom(m)ödchen aufgezeichnet wurde, die Kinnlade gen Brust sackte, so als hätte es sich bei jedem hundsgemeinen Klops kollektiv gedacht: »Darf der das?«
Zum anderen untermalt Zingsheim seine Erzählungen, Anfälle des Echauffierens, satirischen Kleinodien und Anekdoten, wenn er nicht gerade luftige und dennoch anspruchsvolle Chansons von sich gibt, immer wieder beiläufig mit etwas Klavierspiel – die Art und Weise, wie der Nordrhein-Westfale völlig lässig bei seinen Monologen die Tasten bedient, hat zuweilen durchaus etwas Intimes, denn durch dieses fast schon freche Zusammenspiel fühlt man sich als einzelner Zuhörer beinahe involviert – so als wende sich Zingsheim exklusiv und direkt an ihn.
Ganz gleich, ob er mit der Neusucht Smartphone ins Gericht geht, bei “Esoerika” ein wenig über die esoterischen Spleens einer gewissen Erika sinniert, bei “United States Of Africa” mit bitterbitterbösem Zynismus bezüglich der dortigen Fußball-WM und den dort wie das runde Leder getretenen Menschenrechten das Publikum buchstäblich zum Verstummen bringt, auch musikalisch außergewöhnliche Spielereien zum Besten gibt oder den managergeprägten, marktanalyseverpesteten Mediendschungel mit seinen ungeschriebenen, aber offenbar gültigen Gesetzen auf die Schippe nimmt:
Wenn Martin Zingsheim diesen eingeschlagenen Pfad weiter entlang schreitet und sich nicht davon abbringen oder gar vom Mainstream verheizen lässt, steht dem Freund des feinsinnigen und dennoch brutal-ehrlichen Humors noch so einiges an großer Unterhaltung bevor.
Cover © ROOF Records
- Künstler: Martin Zingsheim
- Titel: Der Titel ist egal
- Label: ROOF Records
- Erschienen: 23.08.2013
- Spielzeit: ca. 59 Minuten
- ISBN: 978-3-864-84058-6
- Sonstige Informationen:
Erwerbsmöglichkeiten - Tracklist:
- Präliminarien
- Sozialromantik im Wilden Westen
- Sprache ist kompliziert
- Esoerika
- Aufstehen
- Telefonie Sinfonie
- Religiöse Provokationen
- Held
- Interaktiv
- United States Of Africa
- Raucherquadrate und Dostojewskij
- Lied
- Mit den Augen der Kinder
- Forever Young auf den Kanaren
- Nanananana
- Alles hängt zusammen
- Liebe
- Carmen
- Zugabe: Hermann singt Peter Plan
Wertung: 12/15 dpt