Les Misérables (Spielfilm, DVD/Blu-Ray)


Les Misérables (Spielfilm DVD/Blu-Ray)… – ist eine britische Musicalverfilmung – ist eine Musicaladaption eines französischen Klassikers – ist ein Roman des französischen Nationalschriftstellers Victor Hugo aus dem Jahre 1862 – ist eine detailreiche, mit historischen Fakten aufgefüllte Erzählung, die nicht nur um die Zeit des Juniaufstands 1832 in Paris spielt und mit humanistischer Emphase den Menschen gegenüber seiner sozialen und historischen Umstände emanzipieren möchte …

Das wäre in etwa der medientechnische Abriss des Stoffes, um den es hier in seiner aktuellsten Erscheinung, nämlich der britischen Musicalverfilmung (2012 in den Kinos, seit Juni 2013 auch auf DVD/Blu-Ray) geht. Dazwischen liegen gefühlte einhundert weitere Filme, die sich, seit man bewegte Bilder machen kann, ebenfalls bei “Les Misérables” bedienen. Man kann sich also durchaus fragen, was die Besonderheit der neuesten Form ausmacht und wie viel vom Buch noch übrig.

Nichts davon kann hier in ausreichender Ausführlichkeit beantwortet werden. Unmöglich ist auch, Victor Hugos riesigen Roman ohne Verluste in Akte, Szenen und Dialoge zu übersetzen. Auch Musicals verdichten Stoffe anders als Erzählungen. Puristische Bewertungen zwischen Buch und Film und Film und Musical wären also blöd.

Versteht sich alles von selbst. Nimmt man aber Hugo beim Wort, kommen genau dieses Problem ins Spiel um den Stoff. Sein Roman strebt die vollständige Wiedergabe der sozialen und historischen Umstände an, gegenüber derer sich sein Held Jean Valjean durch gute Taten emanzipieren soll. Die minutiösen Beschreibungen der Schlacht um Waterloo oder die akribische Darstellung der Pariser Kanalisation sind Beispiele dieser versuchten, vollständigen Angabe. Eine Huldigung der Hintergründe.

Die Musicalverfilmung “Les Misérables” hingegen ist die hochkonzentrierte, dramatische Essenz des Stoffes. Es gibt die Charaktere und ihre moralischen Konflikte. Vertextung und Musik folgen dabei dem englischsprachigen Musical. Alle Schauspieler singen ihre Parts selbst. Die deutsche Synchronisation beschränkt sich also auf wenige gesprochene Worte zwischen den gesungenen Szenen und ist überflüssig.

Die Inszenierung des Films spielt sich und seine Bühnenherkunft voll aus: Er liefert neben episch aufgeladenen, gewaltigen Bildern auch kleine, detaillierte, kulissenhafte Räume. Ein weiterer großartiger Effekt ergibt sich durch die besondere Art des Musical-Gesangs und dessen Produktionsweise. Die Schauspieler sangen ihre Parts ein, während sie am Set die Szenen spielten. Man hat daher nie das Gefühl eines deplatzierten, klinisch reinen Studiogesangs wie bei anderen Musical-Verfilmungen. Die Singstimmen sind zum Großteil keine professionellen Musicalstimmen. Sie sind hart und stellenweise gebrochen bis zum Sprechgesang. Als musikalische Begleitung spielte am Set lediglich ein Klavier, das sich dem Tempo der agierenden Schauspieler anpasste und damit die Grundlage für das später hinzugefügte Orchester bildete.

Das Ergebnis dieser dramatischen Essenz, dieser epischen Kulissenhaftigkeit und unglaublich nahen, realistisch gesungenen (sofern das möglich ist) Schauspielerei ist ein Film, der, zumindest in seinem Hauptteil, manchen Musical-Gegner für die Geschichte erweichen wird und auch einen emotional unnahbaren Zen-Mönch an den Tränendrüsen kitzeln dürfte.

Im Gegensatz zu Hugos Roman fügen sich die Charaktere passgenau in ihr dramatisches Schicksal. In den Hauptrollen stehen dabei Hugh Jackman  als Valjean und sein Widersacher Javert, der überragend von Russell Crowe gesungen und gespielt wird. Des Weiteren agieren  Anne Hathaway als die tragische Figur Fantine sowie Helena Bonham Carter und Sacha Baron Cohen, die als Schurken-Ehepaar Thénardier für einige Lacher im tragödienreichen Bilderwerk sorgen.

Valjean ist ein entlassener Sträfling, dem mit seiner kriminellen Vergangenheit kein normales Leben möglich ist. Im Frankreich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehört er, wie ein Großteil der Bevölkerung, zur verarmten Unterschicht. Der Versuch, ein Brot für seine hungernde Schwester zu stehlen, kostet Valjean neunzehn Jahre seines Lebens in einem Straflager. Der Eintrag auf seinen Ausweispapieren verhindert, dass er jemals wieder mit ehrlicher Arbeit sein Geld verdienen wird. Nach der Gnadentat eines katholischen Priesters kann und will Valjean ein rechtschaffenes Leben beginnen. Dazu muss er seine Identität aufgeben.

Valjean: »Take an eye for an eye!
Turn your heart into stone!
This is all I have lived for!
This is all I have known!
(…)
What spirit came to move my life?
Is there another way to go?
I am reaching, but I fall
And the night is closing in
And I stare into the void
To the whirlpool of my sin
I’ll escape now from that world
From the world of Jean Valjean
Jean Valjean is nothing now
Another story must begin!«

Als ehemaliger Gefangener ist Valjean jedoch dazu verpflichtet, sich regelmäßig bei den Behörden zu melden. Nachdem diese Meldungen ausbleiben, begibt sich Valjeans früherer Gefängnisaufseher, Inspektor Javert, auf die Jagd nach dem flüchtigen Sträfling. Die darauffolgende Verfolgung ist ein in Liedtext ausgeführter Widerstreit der Weltanschauungen: Javert glaubt an die Monarchie und ihre Gesetze. Nicht die Gesellschaft sondern die Natur entscheidet bei der Geburt, ob ein König oder ein Krimineller das Licht der Welt erblickt. Und natürlich kann sich der Mensch niemals ändern. Javert wird zum Fatalisten, als sich seine Moral gegen ihn wendet. Valjean ist die leibhaftige Antithese zu dieser Moral. Javert kann das nicht zulassen, weil sonst seine gesamte Welt zerbricht.

Javert: »Damned if I’ll live in the debt of a thief!
Damned if I’ll yield at the end of the chase.
I am the Law and the Law is not mocked
I’ll spit his pity right back in his face
There is nothing on earth that we share
It is either Valjean or Javert!«

Die Haupthandlung mündet schlussendlich im Pariser Juniaufstand, in dessen Kontext die Liebesgeschichte zwischen Cosette (Amanda Seyfried), der Pflegetochter Valjeans, und Marius (Eddie Redmayne) erzählt wird.

An dieser Stelle wird die dramatische Essenz regelrecht beißend. Die Augen tränen daher auch häufig und nicht immer aus tragischen Gründen. Die anfänglichen Balance zwischen Film und Musical kippt. Es kristallisieren sich nun immer deutlicher die Kritikpunkte der Musical-Hasser heraus. Mehr professionelle Sänger treten auf, sodass der Gesang ins pathetische, schwülstige abdriftet. Aufopfernde Liebesbekundungen verstörter Frauen im strömenden Regen und andere Huldigungen des Kitschs stehen im Vordergrund und man möchte einfach zu den Stellen springen, wo Hugh Jackman und Russell Crowe sich die Seele aus dem Leib spielen. Wegen dieser Leistungen lohnt sich der Film allemal und bürstet einem bei entsprechender Lautstärke die Nackenhaare durch. Ansonsten kann man noch sagen, dass eine Essenz ohne Substanz im Übermaß ungenießbar bleibt.

Cover  © Universal Pictures

  • Titel: Les Misérables
  • Originaltitel: Les Misérables
  • Produktionsland und -jahr: UK, 2012
  • Genre:
    Drama
    Tragödie
    Musical
  • Erschienen: 06/2013
  • Label: Universal Pictures
  • Spielzeit:
    151 Minuten auf DVD
    158 Minuten auf Blu-Ray
  • Darsteller:
    Hugh Jackman
    Russell Crowe
    Anne Hathaway
    uvm…
  • Regie: Tom Hooper
  • Drehbuch:
    William Nicholson
    Alain Boublil
    Claude-Michel Schönberg
    Herbert Kretzmer
  • Musik: Claude-Michel Schönberg
  • Extras:
    – Les Misérables: Ein revolutionärer Ansatz
    – Das Original Meisterwerk: Victor Hugos Les Misérables
    – Filmkommentar mit Regisseur Tom Hooper
  • Technische Details (DVD)
  • SprachenD, GB, F
  • Untertitel: D, GB, F, DK, NL, FIN, HEB, N, S, TRK
    Video:
    1,85:1 Anamorph Widescreen
    Audio:
    D, GB, F (5.1 DD)
  • Technische Details (Blu-Ray)
    Sprachen
    :
    D, GB, F
    Untertitel:
    D, GB, F, I, BRA, DK, EST, FIN, GR, HEB, LET, LIT, NL, N, PL, RO, S, E
    Video:
    1,85:1 High Definition Widescreen
    Audio: 
    D, F, I (DD 5.1), GB (DTS-HD Master Audio 7.1)
  • FSK: 12
  • Sonstige Informationen:
    Label-Seite zum Film
12 von 15 Punkten

1 Kommentar
  1. ad “absurde kunstform” – nicht, dass ich musicals mag, im gegentum. aber über rezeptionsästhetik, “willing suspension of disbelief”, und mehr oder weniger “realistisch” daherkommende kunstformen u. genres hab ich im frühen pleistozän mal promoviert. das thema, ob romane weniger “absurd” als fernsehserien, konzeptalben oder meinet1/2er auch musicals sind könnten/sollten wir also vielleicht irgendwann nochmal diskutieren/fundieren 🙂

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